Nestlés CEO-Kandidaten sind zu misstrauisch
Von Martin Dunzendorfer,SalzburgWas wäre das für eine Gelegenheit gewesen. Nicht nur fachliche Kompetenz und unternehmerische Weitsicht hätten die derzeit heißesten Anwärter auf die Nachfolge von Paul Bulcke als CEO von Nestlé unter Beweis stellen können, sondern auch ein Gefühl für die gestiegenen Informationsbedürfnisse der Öffentlichkeit und Vertrauen in eine sachliche Berichterstattung. Doch Vertrauen in die Fairness und – darauf läuft es hinaus – Respekt vor dem Verstand anderer ist nicht das, was Mitglieder der Nestlé-Führung auszeichnet.Jedenfalls vermittelt der Executive Board des weltgrößten Lebensmittelkonzerns mit wenigen Ausnahmen stets den Eindruck, als traue man Firmenfremden nicht zu, schwierigere Sachverhalte zu verstehen. Oder die Mitglieder gehen davon aus, dass alle Welt versucht, Aussagen zum Nachteil von Nestlé zu verdrehen. Ein wenig Paranoia schwingt da schon mit, auch wenn diese Einstellung wegen negativer Erfahrungen nicht ganz grundlos ist. Brabeck geht 2017 in RenteNestlé, nach Marktkapitalisierung eines der schwersten Unternehmen in Europa, hatte Medienvertreter aus aller Welt ins österreichische Salzburg eingeladen. Dort sind die Schweizer neben Audi, Siemens und Rolex Hauptsponsor der Festspiele. Gespannt war man vor allem auf den gemeinsamen Auftritt von Luis Cantarell, Laurent Freixe und Wan Ling Martello. Sie gelten als die Kronprinzen bzw. Kronprinzessin im Konzern. Da der Verwaltungsratsvorsitzende Peter Brabeck-Letmathe (Jahrgang 1944) während einer Podiumsdiskussion in Salzburg sagte, dass er 2017 seinen Posten zur Verfügung stellen werde, und davon ausgegangen wird, dass Bulcke (Jahrgang 1954) sein Nachfolger wird, ist spätestens jetzt das Rennen um den operativen Chefposten eröffnet.Der Spanier Cantarell (Jahrgang 1952) verantwortet seit Oktober 2014 die Zone Emena, die neben Europa auch den Mittleren Osten und Nordafrika umfasst. Zuvor war er Chef der Sparte Nestlé Nutrition. Cantarell löste den Franzosen Freixe (Jahrgang 1962) ab, der seither für Nord- und Südamerika zuständig ist. Die US-Amerikanerin Wan Ling Martello (Jahrgang 1959), zuvor Finanzchefin des Konzerns, ist seit Mai für Asien, Ozeanien und Afrika verantwortlich. Doch nicht zum ersten Mal erschienen die drei CEO-Kandidaten seltsam unnahbar und abgehoben. Während Pressevertreter in den Präsentationen mit Aussagen zu aktuellen geschäftlichen Problemen und Chancen in ihren Regionen gerechnet hatten, berichteten Cantarell, Freixe und Martello von ganz anderen Herausforderungen: der Unterernährung von Kindern in vielen Teilen der Welt, den Gefahren der Fettleibigkeit und der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Das Nestlé seinen Teil dazu beitragen will, diesen sozialen Problemen beizukommen, kommt bei vielen Verbrauchern sicher gut an, doch von drei Managern dieses Formats darf man mehr als die Information erwarten, dass Nestlé unter anderem mit der Reduzierung des Fett-, Zucker- und Salzgehalts in ihren Produkten der Übergewichtigkeit beizukommen versucht oder dass die von Schweizern ausgegangene Initiative zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit “Alliance for Youth” schon Erfolge verzeichnete und fortgesetzt wird. Entsprechend verblüfft war das Auditorium, denn trotz “quiet period” – am Donnerstag werden die Halbjahreszahlen veröffentlicht – hatte man weit mehr erwartet. Ansonsten war Nestlé darauf bedacht, möglichst wenig (unüberwachten) Kontakt zwischen Medienvertretern und Board-Mitgliedern entstehen zu lassen.Die Reihe der Nestlé-CEOs, die der Öffentlichkeit mit Misstrauen und auch einer Portion Überheblichkeit begegnen, wird sich wohl dennoch fortsetzen. Cantarell und Freixe haben im Vergleich zu Martello einen Vorteil: Sie sind – was bei Nestlé für die Spitzenposition wichtig ist – Eigengewächse; beide sind direkt nach der Uni zu Nestlé gestoßen: Cantarell 1976, Freixe 1986. Dagegen arbeitet Martello erst seit November 2011 für Nestlé; sie kam von Wal-Mart. Da Cantarell aber zwei Jahre älter als der scheidende CEO Bulcke ist, dürfte Freixe die weitaus besseren Karten haben.