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Nestlés Deutschlandchef tischt unterhaltsames Themenmenü auf

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 6.9.2013 Nestlé-Produkte gab es, soweit erkennbar, nicht beim "Frühstücksgespräch" der Frankfurter Volksbank im trotz enger Bestuhlung voll besetzten Restaurant Opéra. Und ob die Küche in Frankfurts...

Nestlés Deutschlandchef tischt unterhaltsames Themenmenü auf

Von Bernd Wittkowski, FrankfurtNestlé-Produkte gab es, soweit erkennbar, nicht beim “Frühstücksgespräch” der Frankfurter Volksbank im trotz enger Bestuhlung voll besetzten Restaurant Opéra. Und ob die Küche in Frankfurts Alter Oper gelegentlich zumindest Maggi-Würze verwendet, ließ sich auf die Schnelle nicht recherchieren. Nicht weniger reichhaltig und für das Publikum offenkundig nicht minder wohlschmeckend als die Erzeugnisse des weltweit führenden Nahrungsmittelkonzerns war indes das Menü der Themen, die der Vorstandsvorsitzende der Nestlé Deutschland AG, Gerhard Berssenbrügge, im Gespräch mit FAZ-Herausgeber Werner D’Inka den Gästen servierte. Die Welt der LebensmittelMit dem 60-jährigen Deutschland-Statthalter des Schweizer Multis hatte Volksbank-Chefin Eva Wunsch-Weber für die traditionsreiche Veranstaltung auch diesmal einen Redner gewonnen, der dem Auditorium informativ, unterhaltsam und bei Bedarf gerne pointiert die Welt erklärt – in diesem Fall insbesondere die Welt der Lebensmittel: von tatsächlichen oder auch aufgebauschten Skandalen, von gesunder Ernährung über den auch hierzulande festzustellenden Vormarsch der “Mobile Eater”, der “Unterwegsesser”, und die Ampelkennzeichnung auf Verpackungen bis hin zur “Romantisierung der Landwirtschaft”.Nehmen wir als ersten Gang des von Berssenbrügge angerichteten Menüs die Lebensmittelskandale. Diese bestreitet er natürlich nicht, zumal er weiß, dass durch Gammelfleisch, kontaminiertes Futtergetreide, Ehec-Erreger, Mäusekot im Mozzarella etc. eine ganze Branche in Verruf geraten kann. Er verkneift sich aber auch nicht den Hinweis, dass es sehr viele Nichtregierungsorganisationen gebe, zu deren “Geschäftsmodell” es einfach gehöre, Dinge anzuprangern – worunter globale Unternehmen naturgemäß stärker litten als lokale Erzeuger.Dieser Herausforderung müssten sich die Ernährungsbranche als Ganzes – von den Bauern über Handwerk und Industrie bis zum Handel – wie auch die einzelnen Unternehmen und im Grunde auf einer dritten Ebene auch jede Marke, jedes Produkt stellen. Nestlé Deutschland selbst verschreibe sich einer Politik der Öffnung, um beispielsweise zu zeigen, welche Sorgfalt man in der Produktion an den Tag lege – wie etwa die 50fache Kontrolle jedes einzelnen Gläschens Babynahrung. Das Unternehmen hat eine “Q4” genannte Qualitätsinitiative gestartet mit den vier Dimensionen ausgewogene Ernährung (z. B. Salzreduktion in Maggi-Produkten), Sicherheit (etwa Transparenz der Lieferketten), Umwelt (Senkung von CO2-Emissionen sowie Wasser- und Energieverbrauch) und Gesellschaft (z. B. Bekämpfung von Kinderarbeit).Bei Berssenbrügges zweitem Gang brandet im Opéra zum ersten Mal an diesem Morgen Beifall auf: Es geht um das Thema “Veggie Day”. Allzu viele Grüne scheinen nicht anwesend zu sein, denn der Manager sorgt für fast schon stürmische Begeisterung mit seinem Hinweis, dass die Verbraucher keineswegs so dumm seien, wie sie von der Politik dargestellt würden. Zwar habe Nestlé ausreichend fleischlose Produkte im Angebot, aber, so seine rhetorische Frage, warum müsse man alles reglementieren und die Menschen bis ins hohe Alter bevormunden?Auch zur Verklärung tradierter landwirtschaftlicher Produktionsweisen findet Berssenbrügge deutliche Worte. Die Hälfte der Produkte dürfte so, wie die Bauern vor 50 Jahren gearbeitet hätten, heute gar nicht auf den Markt gebracht werden. “So lässt sich die Welt nicht ernähren”, sagt er, gesteht aber auch zu, dass die Industrie selbst die Konsumenten mit den vielleicht “etwas zu schönen Bildern” in der Werbung in die Irre geführt habe. Viele Menschen glaubten ja tatsächlich, dass Kühe lila seien, meint der Nestlé-Mann, der früher lange bei Jacobs Suchard (“Milka”) gearbeitet hat. Noch ein Sohn FrankfurtsDoch es ist nicht allein von Lebensmitteln die Rede in diesem Frühstücksgespräch. Es geht beispielsweise auch um das Thema Managervergütung. Auf die 1 : 12-Initiative in der Schweiz angesprochen – niemand soll mehr als das Zwölffache der untersten Lohngruppe im selben Unternehmen verdienen -, warnt Berssenbrügge zum einen vor Eingriffen in die freie Soziale Marktwirtschaft und zum anderen vor “fatalen” Folgen für die Schweiz als Wirtschaftsstandort. Nur weil es in Einzelfällen Exzesse gegeben habe – es fällt der Name des früheren Novartis-CEO und -Präsidenten Daniel Vasella -, seien nicht alle Manager schlechte Menschen, und Strukturen, die mit Sinn und Verstand geschaffen worden seien, dürften wegen solcher Einzelfälle nicht in Gänze über den Haufen geworfen werden.Gewissermaßen das Dessert hatte der Deutschlandchef von Nestlé – vom Moderator zu diesem Thema eingeladen – gleich zu Beginn aufgetischt: In absehbarer Zeit sind zwei Gedenktage zu feiern. Im Jahr 1814 wurde in der Frankfurter Töngesgasse Heinrich Nestle geboren, der 1866/67 – inzwischen umbenannt in Henri Nestlé – in Vevey am Genfer See das Unternehmen gründete und mit der Erfindung des Kindermehls zu einem Pionier der Lebensmittelindustrie avancierte. Ein 200-jähriges und ein 150-jähriges Jubiläum also – da wäre es doch an der Zeit, in Frankfurt einen schönen Platz nach Heinrich Nestle zu benennen, der, so Berssenbrügge, weltweit vielleicht noch bekannter sei als ein anderer berühmter Sohn Frankfurts: Goethe.