Schottische Nationalistenführerin verabschiedet sich

Nicola Sturgeon: Das Ende einer Ikone

Nicola Sturgeon wird sich im kommenden Jahr nicht zur Wiederwahl stellen. Dabei wurden alle Unterschlagungsvorwürfe gegen sie fallengelassen.

Nicola Sturgeon: Das Ende einer Ikone

Nicola Sturgeon: Das Ende einer Ikone

hip London

Nicola Sturgeon (54) hat sich diesen Monat aus dem aktiven politischen Leben verabschiedet. Sie schrieb den Mitgliedern der Scottish National Party (SNP) in ihrem Wahlkreis Glasgow Southside, den sie seit 1999 vertritt, dass sie bei den Regionalwahlen im kommenden Jahr nicht wieder antritt. Außerdem stellte die ehemalige schottische Regierungschefin das Cover ihrer Memoiren vor. Der Titel: „Frankly“ („Offen gesagt“).

Für die Gegner des britischen EU-Austritts auf dem europäischen Kontinent war die schlagfertige Gegenspielerin von Boris Johnson eine Ikone. Sie schaffte es, den muffigen Kulturnationalismus der SNP grundlegend zu modernisieren.

„Kind der Thatcher-Jahre“

Der Aufstieg der schottischen Nationalistin ist eine Erfolgsgeschichte, der die Skandale und Missgeschicke der jüngsten Vergangenheit keinen Abbruch tun. Hätte sie nicht im hohen Norden Großbritanniens das Licht der Welt erblickt, wäre sie vielleicht bei Labour gelandet.

Sturgeon beschrieb sich einmal als ein „Kind der Thatcher-Jahre“. Ihr Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und mehr Gleichheit habe sie motiviert, in die Politik zu gehen. Sie wuchs in einfachen Verhältnissen in der industriell geprägten Hafenstadt Irvine auf. Schon in ihrer Jugend schloss sie sich der Friedensbewegung an. Die nukleare Abrüstung Großbritanniens gehört für sie bis heute zu den wichtigsten Forderungen. Das mag daran liegen, dass die britische Atom-U-Bootflotte ihren Heimathafen in Schottland hat.

Im Schatten von Alex Salmond

Als Sturgeon ihr Jurastudium an der University of Glasgow 1992 abschloss, war sie bereits sechs Jahre Mitglied der SNP. Im selben Jahr war sie die jüngste Kandidatin für einen Sitz in Westminster. Ins schottische Regionalparlament zog sie mit 29 ein und machte der damals in Holyrood regierenden Koalition aus Labour und Liberaldemokraten ordentlich Dampf, wenn es um ihre Lieblingsthemen Bildung, Gesundheit und Justiz ging.

Später machte sie als schottische Gesundheitsministerin die Schließung von Notaufnahmen rückgängig. Die Rezeptgebühren schaffte sie ab. Sie stand jedoch stets im Schatten von SNP-Chef Alex Salmond, der auch die Kampagne für ein Unabhängigkeitsreferendum führte. Nachdem sich bei der Volksabstimmung 2014 keine Mehrheit für den nationalen Alleingang gefunden hatte, überließ er ihr das Feld. Sturgeon war die erste Frau, die gleichzeitig als SNP-Chefin und Regierungschefin Schottlands fungierte.

Gesetz wird zum Stolperstein

Die Pandemie kratzte nicht an ihrem Image, obwohl Schottland nicht besser damit umging als andere Teile des Vereinigten Königreichs. Es war auch nicht der Umstand, dass Schottland eines der größten Haushaltsdefizite der entwickelten Welt aufweist, der sie 2023 zum Rücktritt von der Regierungsspitze veranlasste.

Sie stolperte vielmehr über ein von ihr vorangetriebenes Gesetz (Gender Recognition Reform Bill), das einen Wechsel des Geschlechts vereinfachen sollte. Die britische Regierung blockierte es mit der Begründung, dass es Frauenrechte gefährden könnte. Sturgeons Versuch, das Thema zu einem weiteren Beispiel für die Fremdbestimmung durch Westminster aufzublasen, scheiterte kläglich.

Unterschlagungsvorwürfe fallengelassen

Zwei von drei Schotten lehnten das Gesetz ab. Und dann war da noch der Fall eines mehrfachen Vergewaltigers, der in einem schottischen Frauengefängnis untergebracht wurde, nachdem er sich entschlossen hatte, nunmehr als Frau zu leben. Fortan wurde Sturgeon bei jeder Gelegenheit gefragt, ob der Vergewaltiger eine Frau sei oder nicht.

Was ihrem Ruf am meisten schadete, war jedoch eine fast vier Jahre dauernde Untersuchung der Parteifinanzen durch Police Scotland. „Operation Branchform“ sollte den Verbleib von 660.000 Pfund ermitteln, die Unabhängigkeitsbefürworter für die Organisation eines erneuten Referendums gespendet hatten. Inzwischen verlautbarten die Strafverfolger, dass gegen sie nicht mehr ermittelt wird.

Ehemann vor Gericht

Sturgeon sagte nach der Mitteilung, sie fühle sich erleichtert und ein wenig rehabilitiert. „Ich habe nichts Falsches getan, und ich glaube nicht, dass es jemals den kleinsten Beweis dafür gab, dass ich irgendetwas Falsches getan habe“, fügte sie hinzu.

Doch der Glanz der Ikone ist im Zuge der Untersuchungen verblasst. Auch gegen den SNP-Schatzmeister Colin Beattie wird nicht mehr ermittelt.

Ihr Ehemann Peter Murrell, von dem sie getrennt lebt, erschien dagegen vor dem Edinburgh Sheriff Court. Ihm wird Unterschlagung vorgeworfen. In der Einfahrt des Hauses von Murrells Mutter wurde im Zuge der Ermittlungen ein luxuriöses Wohnmobil beschlagnahmt.

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