Peking macht den nächsten Tech-Titanen mundtot
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Gründer und Erfolgsmanager von großen Technologieunternehmen sind es gewöhnt, mit allerlei Herausforderungen und unternehmerischen Risiken umzugehen. Im Tech-Eldorado China jedoch kommt immer mehr ein politisches Risiko zum Vorschein, dem auch die brillantesten Köpfe in der Branche nicht Herr zu werden wissen. Chinas politische Führung duldet keine Kritik, auch keine gut kaschierte. Und schon gar nicht aus dem Munde von Persönlichkeiten, die in der breiten Bevölkerung ein hohes Ansehen genießen, womit wir bei Chinas hochtalentierten Internetmilliardären wären.
Verhängnisvolles Gedicht
Wang Xing, der Gründer und Chef des drittgrößten chinesischen Internetkonzerns Meituan, hat kürzlich eine Einladung zum „Teetrinken“ erhalten. Anders als in Großbritannien bedeutet dies in China kein gemütliches „Get Together“ in High-Society-Kreisen, sondern eine disziplinarische Vorladung vor hohen Regierungsvertretern, bei der man hinter verschlossenen Türen zur Schnecke gemacht wird. Wang hatte vor wenigen Wochen in einem Social-Media-Eintrag einen 1100 Jahre alten Gedichtvers aus der Tang-Dynastie weitergepostet und damit einiges Aufsehen erregt.
Die Gedichtpassage ist eine Art mokierender Rückblick auf Verfehlungen eines früheren chinesischen Kaisers, der zur Unterdrückung ihm rebellisch erscheinender Intellektueller landesweit Bücher verbrennen ließ. So weit, so unverfänglich, könnte man meinen. Chinas Netzgemeinde spekulierte aber sofort, dass der Meituan-Chef mit dem Gedicht eine Art Analogie zu gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen und dem Umgang des Staates mit der „Tech-Intelligenzia“ herstellen wollte.
Pekings Obrigkeit scheint dies ähnlich zu sehen und hat sich den Meituan-Chef persönlich vorgeknöpft. Dem Vernehmen nach hat er bei der Teestunde eine schwere Verwarnung und die Auflage erhalten, künftig ein niedriges Profil zu bewahren, sich möglichst wenig in der Öffentlichkeit blicken zu lassen und sich vor allem jedweder Meinungsäußerung zu enthalten.
Wang scheint mit einem blauen Auge und einem Maulkorb einigermaßen gut davonzukommen. Zumindest rechnen die Marktteilnehmer nicht damit, dass Meituan nun einer gezielten Vendetta des Staates anheimgestellt wird, wie man sie in den vergangenen Monaten bei den von Jack Ma gegründeten Technologieriesen Alibaba und Ant Group erlebt hatte.
Chinas Regierung hat in den letzten Monaten eine atemberaubende Regulierungskampagne gefahren, der in erster Linie Unternehmen zum Opfer fallen, deren Gründer es gewagt haben, sich in der Öffentlichkeit oder auf sozialen Medien in einer Art geistreich zu äußern, die Peking als Affront empfindet. Illustres Beispiel ist Chinas bekanntester und erfolgreichster Tech-Entrepreneur, Jack Ma, der nach wortreicher und durchaus geistreicher Kritik am chinesischen Regulierungsgebaren im Fintechsektor mit der Ohrfeige des Jahrhunderts bestraft wurde. Erst wurde der Börsengang des von Ma aufgezogenen Fintechriesen Ant Group abgesagt und die Firma zu einer drakonischen Restrukturierung verdonnert, unter der sie noch lange laborieren wird. Dann wurde die ebenfalls von Ma kontrollierte Alibaba wegen wettbewerbsfeindlichen Verhaltens mit einer Rekordstrafe von 2,8 Mrd. Dollar belegt.
Jack Ma, der mit seiner schillernden Persönlichkeit und unternehmerischem Erfolg über Jahre eine Rockstar-ähnliche Aura in China genoss und eine regelrechte Fangemeinde im Rücken hatte, wird nun wie ein Staatsfeind behandelt und darf sich auf Pekings Geheiß im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen.
Chinas Digitalwirtschaft steuert immense Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft bei, und wachstumsstarke Internetdienstleister vom Schlage Alibaba, Tencent oder Meituan haben einen großen Anteil daran. Man könnte meinen, dass den hinter dem Erfolg stehenden Gründern der führenden Tech-Konzerne der Dank der Nation gewiss ist, doch sorgt die chinesische Parteiführung dafür, dass das Gegenteil der Fall ist.