Reisefreudiger EU-Beamter Henrik Hololei unter Druck
lis/rec – Es ist ein Fall, der in der Luftfahrtbranche und der Brüsseler Politik gleichermaßen für Aufregung sorgt. Der für die Branche zuständige Spitzenbeamte der EU-Kommission steht seit Wochen wegen des Verdachts auf Interessenkonflikte unter Druck: Henrik Hololei, der seit 2015 die Generaldirektion Mobilität und Verkehr leitet, hat sich offenbar mehrmals von Katar zu Freiflügen einladen lassen. Die EU-Kommission sah sich deshalb bereits zum Handeln gezwungen. Rufe nach einer Ethikbehörde werden laut. Hololei sieht sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, aus Zivilgesellschaft und Politik sowie auch aus der Branche.
Der Fall ist in doppelter Hinsicht brisant. Politisch, weil Katar im Zentrum eines Korruptionsskandals steht, der seinen Ursprung im Europaparlament hat und bereits zu mehreren Verhaftungen führte. Wirtschaftlich, weil sich die Gratisreisen des Spitzenbeamten zeitlich – sie sollen zwischen 2016 und 2021 stattgefunden haben – zum Teil mit Verhandlungen über ein Flugverkehrsabkommen überschnitten, das der staatseigenen Airline Katars, Qatar Airways, Vorteile im Europa-Geschäft verschafft.
Das Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und Katar ist im Oktober 2021 unterzeichnet worden. Es wurde seinerzeit von vielen europäischen Airlines kritisiert, die Wettbewerbsnachteile für ihr eigenes Geschäft befürchteten. Dem Vernehmen nach sollen sich nun genau diese Fluglinien – unter ihnen die Lufthansa – für eine Abberufung Hololeis starkmachen. Das Luftverkehrsabkommen liegt seit dem im Dezember aufgeflogenen Korruptionsskandal im EU-Parlament auf Eis.
Ans Licht gekommen ist die Flug-Affäre durch Recherchen des Magazins „Politico“. Die Enthüllung mag eine Nummer unspektakulärer daherkommen als die Razzia belgischer Behörden, die im Dezember Koffer voller Bargeld sicherstellten und so den Korruptionsskandal im EU-Parlament aufdeckten. Doch auch die Flug-Affäre hat es in sich: Denn damit hat „Katargate“ auch die EU-Kommission erreicht.
In einer ersten Reaktion sah sich die Brüsseler Behörde gezwungen, ihre Compliance-Vorschriften zu verschärfen. Wobei das angesichts der bisherigen Praxis eher ein Euphemismus ist: Hololei hatte sich seine von Katar bezahlten Reisen – neun an der Zahl – selbst als unbedenklich autorisiert. Bis vor kurzem stand dieses Vorgehen – kein Scherz – im Einklang mit den internen Regeln der EU-Kommission. Künftig werden sich Leiter von Fachbereichen eine solche Zustimmung eine Ebene höher beim Kabinettschef des jeweiligen Kommissars abholen müssen.
Wiederholungstäter
Transparency International genügt das nicht. Dort hält man die Begründung, Hololei habe sich an geltende Regeln gehalten, ohnehin für fadenscheinig. „Sowohl Herr Hololei als auch die Kommission sollten für Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden, die auf den ersten Blick unethisch waren und definitiv nicht im öffentlichen Interesse lagen.“ Transparency International nimmt den Vorfall zum Anlass, um an frühere Verfehlungen Hololeis zu erinnern. So habe er es 2019 versäumt, neun Sitzungen mit Industrievertretern offenzulegen, darunter Airbus und Bombardier. Die nun öffentlich gewordene Inanspruchnahme von Freiflügen, möge sie rechtlich auch in Ordnung sein, lässt zumindest jegliches Fingerspitzengefühl vermissen.