Richard Bransons Stern verblasst
Von Andreas Hippin, London50 Jahre Virgin – Richard Branson (69) wird sich das Jubiläumsjahr anders vorgestellt haben. Der britische Selfmade-Milliardär hatte die Marke im Februar 1970 ins Leben gerufen. Aus seinem Schallplattengeschäft wurde im Laufe von vier Jahrzehnten ein undurchsichtiges Konglomerat von mehr als 400 Unternehmen. Virgin hatte immer einen frechen, jugendlichen Touch und kultivierte das Image, anders zu sein als die etablierten Unternehmen einer Branche. Was er auch anfasste, schien seinen Erfolg zu mehren. Nun knirscht es an allen Ecken und Enden. In der jüngsten Reichenliste der “Sunday Times” wird das Vermögen seiner Familie auf 3,63 Mrd. Pfund beziffert – 425 Mill. weniger als ein Jahr zuvor. Staatshilfe gefordertDer misslungene Testflug einer Trägerrakete des Raumfahrtunternehmens Virgin Orbit diese Woche kam zwar nicht ganz unerwartet, ist aber sinnbildlich für die Geschäftsentwicklung der vergangenen Wochen. Die seit Jahren defizitäre Fluggesellschaft Virgin Atlantic, die Branson gemeinsam mit Delta Air gehört, steht vor dem Aus. Das britische Schatzamt verweigerte dem prominenten Brexit-Gegner, der seit seinem Umzug auf die Britischen Jungferninseln in Großbritannien keine Steuern mehr zahlte, bislang die erhoffte Staatshilfe. Die Sanierer Alvarez & Marsal arbeiten Bloomberg zufolge bereits an einem Insolvenzplan für die Airline. Virgin Australia wurde bereits zahlungsunfähig. Neben Branson (10 %) gehören Etihad, die chinesische HNA und Singapore Airlines zu den Eigentümern der zweitgrößten Fluggesellschaft des Fünften Kontinents. Die Eigentümer wollten kein weiteres Geld in das Unternehmen stecken. Stattdessen forderten sie einen Bail-out durch die australische Regierung, die dankend abwinkte. Die Regionalfluggesellschaft Flybe, die Branson zusammen mit dem Finanzinvestor Cyrus und dem Logistiker Stobart zum Preis von 1 Penny je Aktie übernommen hatte, ereilte ein ähnliches Schicksal. Die Auswirkungen der Lungenkrankheit Covid-19 auf den Luftverkehr hätten alle Bemühungen zur Rettung von Flybe zunichtegemacht, erklärten die Eigner, die allesamt kein Geld für Verlierer übrig haben.Virgin agiert wie eine Risikokapitalgesellschaft. Unternehmen werden aus dem Boden gestampft, um sie zu verkaufen – entweder ganz oder in Teilen. Mit dem Erlös werden neue Ideen finanziert. Für so ein Geschäftsmodell benötigt man tiefe Taschen. Branson sucht sich Partner, die den Großteil des Risikos tragen. Zudem fallen Lizenzgebühren an, wenn Firmenkäufer die Marke weiter verwenden wollen. Als Virgin Mobile von Liberty Global geschluckt wurde, schlossen die Beteiligten eine Lizenzvereinbarung über 20 Jahre ab. Als CYBG Virgin Money übernahm, war die Holding ebenfalls bereit, für die Nutzung des Namens der erworbenen Bank zu bezahlen.Es bedurfte nicht der Pandemie, um Bransons Höhenflug zu beenden. Die Misserfolge häuften sich bereits davor. Im vergangenen Jahr verlor Virgin Trains die Betreiberlizenz für die West Coast Main Line, die London mit Nordwestengland und dem Süden Schottlands verbindet. Sie wird nun von Avanti, einem Joint Venture von First Group und Trenitalia betrieben.Wenn Branson wirklich Geld in Virgin Atlantic stecken will, muss er seine Beteiligung am in New York notierten Raumfahrtunternehmen Virgin Galactic versilbern. Dem “Wall Street Journal” zufolge werden bereits Gespräche über den Verkauf eines Teils davon geführt. Vielleicht ist der Zeitpunkt dafür gar nicht schlecht. Bransons Stern verblasst. Auch der Weltraumtourismus wird unter der Pandemie leiden. Und seitdem sich potente Wettbewerber wie Blue Origin (Jeff Bezos) und Space X (Elon Musk) in diesem Geschäft tummeln, wird es Zeit, weiterzuziehen.Bransons Image ist angeknackst, seitdem er Oxfordshire verließ, um auf die Karibikinsel Necker zu ziehen. Der Kampagne gegen den EU-Austritt erwies er mit seinem Engagement einen Bärendienst. Doch hat er es ein halbes Jahrhundert lang geschafft, verstaubte Geschäftsmodelle umzukrempeln und Trends zu setzen. Das macht ihm so schnell keiner nach.