Italien

Roms Regierungschef Draghi stellt Umweltschutz in den Mittelpunkt

Am Freitagabend hatte Ex-EZB-Chef Mario Draghi seine Regierungsmannschaft vorgestellt. Am Samstag hatte er das Ministerpräsidentenamt offiziell übernommen, und am Sonntag schwor er sein Kabinett auf einen gemeinsamen Umweltkurs ein.

Roms Regierungschef Draghi stellt Umweltschutz in den Mittelpunkt

Ex-Zentralbankchef Mario Draghi hat nach Wochen der politischen Blockade am Samstag das Ministerpräsidentenamt in Rom übernommen. Erst wurden der 73-Jährige und sein Kabinett vom Staatschef vereidigt. Später übergab Vorgänger Giuseppe Conte dem Ökonomen den Regierungspalast.

Schon am Freitag präsentierte er seine Ministerliste. Er stützt sich auf ein ungewöhnlich breites Parteienspektrum von links bis rechts – und bekam entsprechendes Lob von vielen Seiten. Vertreten sind sowohl 15 Politiker aus dem bisherigen Mitte-Links-Bündnis seines Vorgängers Conte als auch aus der Opposition. Hinzu kommen acht Experten.

Am Sonntag dann hatte er Medienberichten zufolge sein Kabinett auf einen Kurs der Gemeinsamkeit eingeschworen trotz alter Rivalitäten. „Unsere Regierung wird eine des Umweltschutzes sein“, zitierten Zeitungen den früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) anlässlich seiner ersten Kabinettssitzung . Das wurde in Rom als Signal an die EU gewertet, die im Gegenzug für milliardenschwere Corona-Hilfen mehr „grünen“ Wandel fordert.

Eine programmatische Rede Draghis ist für Mittwoch angekündigt, wenn der neue Premier im Zwei-Kammern-Parlament um das Vertrauen der Abgeordneten und Senatoren wirbt.

Damit will der Neu-Politiker nach den Querelen und Intrigen, die Fortschritte in Rom oft ausbremsten, eine breite Machtbasis aufbauen. Nur die ultrarechten Fratelli d‘Italia (Brüder Italiens) haben eine klare Opposition angekündigt.

Anders als erwartet besteht die neue Regierung überwiegend aus Vertretern der politischen Parteien, vor allem des sozialdemokratischen PD und der Mitte-Rechts-Partei Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi. Die größte Partei im Parlament, die 5-Sterne-Bewegung, ist stark unterrepräsentiert, stellt aber mit Luigi Di Maio wie bisher den Außenminister.

Beobachter hatten erwartet, dass die Repräsentanten der politischen Parteien, die mit Ausnahme der postfaschistischen Fratelli d’Italia alle die Regierung unterstützen, weniger Gewicht haben würden.

An einigen Schlüsselpositionen hat Draghi parteilose Fachleute platziert. Neuer Wirtschafts- und Finanzminister wird sein enger Vertrauter Daniele Franco, 67, derzeit als Generaldirektor die Nummer 2 bei der Banca d’Italia. Franco hat den Großteil seines Berufslebens bei der Notenbank verbracht, war jedoch auch einige Jahre bei der EU-Kommission.

Marta Cartabia, frühere Präsidentin des Verfassungsgerichts, wird Justizministerin, die ebenfalls parteilose Luciana Lamorgese bleibt Innenministerin. Das neue Superministerium für den ökologischen Wandel erhält der Physiker Roberto Cingolani, langjähriger Leiter des Genueser Forschungsinstituts Istituto Italiano di Tecnologia (IIT). Cingolani war zuletzt CTO des Rüstungskonzerns Leonardo und spricht auch Deutsch: Von 1989 bis 1991 arbeitete er am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung. Auch an der Spitze des Ministeriums für die digitale Transformation steht mit Ex-Vodafone-CEO Vittorio Colao ein Parteiloser.

Wichtigste Politiker in der Regierung sind neben Di Maio Giancarlo Giorgetti, Vize-Chef der Lega, als Industrieminister, der frühere Präsident des EU-Parlaments und Ex-EU-Kommissar Antonio Tajani, der für die öffentliche Verwaltung zuständig ist, und der neue Arbeitsminister Andrea Orlando von der PD, der unter der Linksregierung von Enrico Letta Umweltminister war. Verteidigungsminister bleibt Lorenzo Guerini, ebenfalls PD.

Nachdem sich die 5-Sterne-Bewegung in einer Mitgliederbefragung am Donnerstag für eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen und damit Draghi eine sehr große Mehrheit im Parlament gesichert hatte, ließ sich der künftige Premierminister mit der Vorstellung seines Kabinetts am Freitag Zeit. Er ließ sich den ganzen Freitag über nicht in die Karten blicken. Während das alte Kabinett unter Premierminister Giuseppe Conte in seiner letzten Sitzung diverse Coronarestriktionen verlängerte, arbeitete Draghi an seinem Regierungsprogramm und der Liste seiner Ministermannschaft. Dabei sprach er sich eng mit Mattarella ab. Völlig ungewohnt für Italien gab es diesmal nicht das übliche Postengeschacher. Draghi hörte einfach nicht auf die Einflüsterungen der vielen Parteien, die ihn unterstützen.

Der vor neun Tagen mit der Regierungsbildung beauftragte Draghi will nun schnell loslegen. Die neue Regierung soll am heutigen Samstag vereidigt werden. Anders als in den letzten beiden Regierungen seit 2018, als gerade Unerfahrenheit und Inkompetenz als Plus galten, weil etwa 5-Sterne-Gründer Beppe Grillo der Auffassung ist, jeder könne Minister werden, setzt Draghi nun weitgehend auf Sachverstand. Ein detailliertes Programm will der neue Premierminister erst am Dienstag und Mittwoch vorlegen, wenn sich seine Regierung in den beiden Häusern des Parlaments einer Vertrauensabstimmung unterzieht.

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