Samwer ist dann mal weg
Von Helmut Kipp, FrankfurtSechs Jahre nach dem milliardenschweren IPO will Oliver Samwer einen Schlussstrich unter das Kapitel Börse ziehen. Zu viele Pflichten, zu komplex, zu teuer. Kapital gibt es für Rocket Internet anderswo in Hülle und Fülle. Zur Finanzierung braucht der 48-Jährige den Kapitalmarkt nicht mehr. Hauptversammlungen wird es zwar auch künftig geben, doch aller Voraussicht nach war das virtuelle Aktionärstreffen am gestrigen Donnerstag sein letztes als CEO einer börsennotierten Rocket Internet. Entfremdung unverkennbarMit dem Delisting endet eine Verbindung, die von Anfang an unter keinem sonderlich guten Stern stand. Bereits am ersten Handelstag sauste der Aktienkurs in den Keller. Ein klares Zeichen, dass Rocket Internet und die Emissionsbanken die Zahlungsbereitschaft der Investoren mit einem Ausgabepreis von 42,50 Euro mehr als ausgereizt hatten. Damit war das Debüt verpatzt. Der Kurs erholte sich zwar und notierte zeitweise jenseits von 50 Euro, doch ab Frühjahr 2015 verlor die Aktie mehr und mehr an Wert. In der Folge rutschte Rocket Internet zunehmend aus dem Blickwinkel von Investoren. Samwer, ohnehin kein großer Kommunikator, fand keinen Weg, Anleger vom Potenzial seines Start-up-Inkubators zu überzeugen. Ihn störte, dass seine Unternehmen hauptsächlich an der (fehlenden) Profitabilität gemessen wurden statt an Wachstum und Marktpotenzial. So blieb ihm die Anerkennung des Kapitalmarkts versagt. Zuletzt war die Entfremdung unverkennbar. Die Quartals-Calls mit der Presse überließ er seiner Finanzchefin. Wer die Telefonnummer für Medienanfragen wählt, hört nur ein fortgesetztes Klingeln. Niemand hebt ab.Nun soll es schnell gehen mit dem Rückzug vom regulierten Markt und vom Prime Standard. Im November könnte Schluss sein. Auf die außerordentliche Hauptversammlung folgen das offizielle Rückerwerbsangebot und schließlich die auf mindestens vier und höchstens zehn Wochen angesetzte Annahmefrist. Bereits mit Ablauf der Offerte soll das Delisting in Kraft treten, so Samwers Zeitplan. An der Börse Luxemburg ist Rocket schon nicht mehr vertreten.Oliver Samwer, Oli genannt, ist seit zwei Jahrzehnten im Internet- und Start-up-Geschäft unterwegs. Nach dem Studium an der privaten WHU ging der Betriebswirt als Trainee zur Investmentbank Sal. Oppenheim. Zusammen mit seinen Brüdern Marc und Alexander gründete er vor 13 Jahren Rocket Internet. Ihr Aushängeschild war der Online-Modehändler Zalando. Die Söhne des bekannten Kölner Rechtsanwalts Sigmar-Jürgen Samwer galten damals als Wunderkinder des deutschen Internets. Groß wurden sie damit, Geschäftsideen zu kopieren und in verschiedenen Ländern an den Markt zu bringen. 1999 gründeten sie mit Partnern den Ebay-Klon Alando und verkauften ihn nach gut 100 Tagen für 50 Mill. Dollar an das US-Original. Dann zogen sie den Klingelton-Anbieter Jamba hoch und verkauften ihn an den US-Konzern Verisign. Vor dem Rocket-IPO gab Oli Samwer in einem flammenden Appell an seine Mannschaft den Anspruch aus, eine der weltgrößten Internet-Companys zu bilden. Daraus wurde nicht viel, wie allein schon die Marktkapitalisierung von aktuell gerade einmal 2,5 Mrd. Euro deutlich macht. Unlängst ist die Aktie vom MDax in den SDax abgestiegen.Die Inkubation neuer Geschäftsmodelle geriet in den vergangenen Jahren ins Stocken. Samwer fiel es zunehmend schwer, aussichtsreiche Geschäftsmodelle zu finden, in die Rocket investieren kann. Offen gab er zu, mehr Kapital als Ideen zu haben. Auch bei den Exits hatte der Gründer und CEO kein glückliches Händchen. Vor allem beim Essenslieferdienst Delivery Hero, der gerade in den Dax aufgestiegen ist, und beim Kochboxenversender Hellofresh stieg er zu früh aus. Vom rasanten Kursanstieg dieser beiden früheren Kernbeteiligungen hat Rocket nicht mehr profitiert.Derzeit macht vor allem die Corona-Pandemie vielen Start-ups zu schaffen. “Unsere privaten Unternehmen sind in Summe weiter stark von den negativen Covid-19-Auswirkungen betroffen”, räumt Samwer ein. Bei vielen Netzwerkunternehmen seien ein geringeres Wachstum und teilweise starke Umsatzeinbußen im Vergleich zum Vorjahr zu erwarten. Samwers Anteil steigtFür den Rückkauf bietet Rocket lediglich 18,57 Euro je Aktie. Dieser Betrag liegt um 56 % unter dem IPO-Ausgabekurs vom Herbst 2014. Experten schätzen, dass die Aktie mindestens 30 Euro wert ist. Für die Samwers ist der Rückerwerb also ein gutes Geschäft, bekommen sie doch einen wesentlichen Teil ihres eigenen Unternehmens zu Niedrigpreisen zurück. Je mehr Wertpapiere die außenstehenden Aktionäre an das Unternehmen verkaufen, desto mehr steigt ihr Anteil. Möglich macht das Ganze das Aktiengesetz, das seit der Neuregelung im Jahr 2015 für den Rückzug aus dem regulierten Markt nur ein öffentliches Angebot vorschreibt, dessen Preis mindestens dem durchschnittlichen Sechs-Monats-Börsenkurs entsprechen muss.Anders als bei einem zwangsweisen Ausschluss von Minderheitsaktionären gibt es bei einer Delisting-Offerte kein Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit des Angebotspreises.