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Stada-Chef mit Elan auf wackligem Posten

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 5.8.2016 Dr. Matthias Wiedenfels hat als neuer Vorstandschef des Pharmakonzerns Stada eine Gratwanderung zu meistern. Der Posten ist ihm zugefallen, weil der langjährige Firmenlenker Hartmut Retzlaff...

Stada-Chef mit Elan auf wackligem Posten

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDr. Matthias Wiedenfels hat als neuer Vorstandschef des Pharmakonzerns Stada eine Gratwanderung zu meistern. Der Posten ist ihm zugefallen, weil der langjährige Firmenlenker Hartmut Retzlaff aus Krankheitsgründen eine Auszeit antrat – mit unbestimmtem Ende. Da das Unternehmen ins Visier aktivistischer Aktionäre geraten ist, darf Wiedenfels nicht nur wie ein CEO auf Zeit agieren, sondern muss in die Vollen gehen, obwohl unklar ist, ob es für ihn nur bei einem Intermezzo an der Firmenspitze bleiben wird.Er sitzt aber nicht nur auf einem wackligen Chefsessel, weil die Rückkehr von Retzlaff offen ist, sondern weil sich auch die Aktivisten eine andere Führungsriege bei dem Bad Vilbeler Traditionskonzern vorstellen. Wenn nach der bevorstehenden Kampfabstimmung auf der Hauptversammlung Ende August ein neuer Aufsichtsrat gewählt würde, könnten die Tage des Top-Managements gezählt sein, das sich nur noch aus Wiedenfels und Finanzvorstand Helmut Kraft zusammensetzt – für einen MDax-Konzern schon vor dem Ausscheiden Retzlaffs eine ungewöhnlich schlanke Struktur. Im Unternehmen könnte es gleichwohl für Stabilität sorgen, wenn nach einem Austausch des Aufsichtsrats im Vorstand noch Vertreter sind, die für Kontinuität stehen.Loyalität gegenüber seinem Vorgänger darf Wiedenfels unterstellt werden. Retzlaff hatte den von ihm als Berater geschätzten Juristen aus der Kanzlei Ashurst abgeworben und ins Unternehmen geholt, zunächst in die Rechtsabteilung, später in den Vorstand, und ihn als seinen Nachfolger aufgebaut. Insofern ist der gebürtige Kieler seit einiger Zeit in operative Entscheidungen eingebunden. Der 43-jährige Manager war seit Mai 2013 im Stada-Vorstand nicht nur für Recht und Compliance verantwortlich, sondern auch für Unternehmensentwicklung. Wiedenfels betont, dass er mit Retzlaff in einem “fast freundschaftlichen Verhältnis” steht und er und Stada dem langjährigen Firmenchef “viel zu verdanken haben”. Wechsel in die IndustrieVor seinem Wechsel in die Industrie arbeitete Wiedenfels, Vater einer Tochter, für die Kanzlei Ashurst mit Schwerpunkt Kapitalmarktrecht und M & A. Als junger Anwalt kam er schon am ersten Arbeitstag in der Sozietät als Rechtsberater mit Stada in Kontakt. Auf eine Partnerkarriere verzichtete der promovierte Jurist schließlich mit der Aussicht auf den Vorstandsposten im Pharmakonzern. 2009 wechselte er die Seiten und startete als Chefjustiziar, vier Jahre später rückte er in die oberste Führungsriege auf.Wiedenfels lässt sich von der unsicheren Gemengelage nicht ins Bockshorn jagen. “Ich stelle mich so auf, wie sich ein CEO aufstellen muss”, unterstreicht er und spart nicht an Eigenlob für sich und Vorstandskollege Kraft. Sie würden das Rad nicht neu erfinden, denn sie halten das Kerngeschäft für kerngesund. Man habe im Halbjahresbericht mit “eindrucksvollen Zahlen” unter Beweis gestellt, “dass wir unser Handwerk verstehen”, klopft er sich auf die Brust.Im Abwehrkampf gegen die Aktivisten kam auf Kraft und Wiedenfels jüngst die Aufgabe zu, neue Mittelfristziele zu verkünden, um die Existenzberechtigung von Stada als eigenständiges Unternehmen zu untermauern. Die Renditeziele halten die Aktivisten gleichwohl noch nicht für ausreichend, auch wenn einige ihrer Forderungen in Bad Vilbel auf offene Ohren stoßen.Die Planung bis 2019 muss Wiedenfels nun mit Verve umsetzen, egal wie lange er am Ruder bleiben kann. “Ich würde die Position mit der gleichen Energie weiterführen”, kündigt der drahtige Manager an, der Sportarten wie Wasserski, Boxen und Tennis zu seinen Hobbys zählt. Er könne das Unternehmen nicht interimistisch führen, sondern müsse sich so aufstellen, wie es das Gesetz verlange und es auch seinem eigenen Managementanspruch entspreche, betont der CEO. “Ich würde es genauso machen, wenn ich nur drei Monate einen Platz warm zu halten hätte.” Er sei mit Freude dabei, das operative Geschäft voranzubringen. Wiedenfels räumt auch Defizite in der Vergangenheit ein. So hat er sich selbst ins Pflichtenheft geschrieben, künftig deutlich klarer zu kommunizieren und deutlich mehr mit Investoren zu sprechen. VertragspokerWann und ob der 62-jährige Retzlaff zurückkehren könnte, dazu will man sich im Unternehmen nicht äußern. Seinen bis 31. August 2016 laufenden Vertrag hatte der Aufsichtsrat im Herbst vergangenen Jahres um weitere fünf Jahre verlängert. Unterschiedliche Signale in Medien über die Rückkehr Retzlaffs könnten also von laufenden Verhandlungen über die Konditionen des Ausstiegs initiiert sein. Der Aufsichtsrat stand in den vergangenen Jahren in der Kritik, Retzlaff überzogene Vergütungen und speziell ein zu üppiges Paket an Pensionszusagen gewährt zu haben.Wiedenfels erläuterte in der Halbjahreskonferenz, dass Retzlaff im Falle einer Rückkehr rein rechtlich zunächst einfaches Vorstandsmitglied ohne Geschäftsbereich wäre, er müsste vom Aufsichtsrat erst wieder zum CEO bestellt werden.