Stresstest für Andrew Bailey
Stresstest für Andrew Bailey
Von Andreas Hippin, London
Der Chef der Bank of England, Andrew Bailey, hat einen harten Tag vor sich. Das geldpolitische Komitee der Notenbank wird seine Zinsentscheidung verkünden. Sie wird nicht allen gefallen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Monetary Policy Committee (MPC) den Leitzins bei 5,25% belassen wird. Doch in der City wünschen sich viele eine erste Senkung oder zumindest die klare Aussage, dass der Zinsgipfel erreicht ist. Andere fürchten eine Lohn-Preis-Spirale und ein Wiederaufflammen der Inflation. Zudem reißen die vielleicht nicht zwingend erforderlichen Anleihenverkäufe der Notenbank im Zuge des "Quantitative Tightening" ein großes Loch in ihre Bilanz.
Aussitzen als Gabe
Der 121. Gouverneur der "Old Lady of Threadneedle Street" hat ausreichend Sitzfleisch, um einen solchen Stresstest auszusitzen. Mit Themen, bei denen man es nicht allen recht machen kann, hat er reichlich Erfahrung. Zudem wird er wohl bis Vertragsende 2028 im Amt bleiben. Nicht einmal Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng hätten es gewagt, ihn zu feuern. Doch dürfte er sich seinen Job anders vorgestellt haben, als er 2020 vom flamboyanten Mark Carney das Steuer der britischen Zentralbank übernahm.
"Große sexy Schildkröte"
Der damalige Schatzkanzler Sajid Javid wollte einen erfahrenen Notenbankveteranen, der im Durcheinander rund um den britischen EU-Austritt nichts anbrennen lässt. Die Führungskräfte der Bank of England atmeten auf, als sich der fordernde Kanadier verabschiedete und jemand kam, der als "einer von uns" wahrgenommen werden konnte. Schließlich hatte Bailey mehr als 30 Jahre in den festungsartigen Gewölben der Notenbank verbracht, bevor ihm 2016 die Führung der Finanzaufsicht FCA (Financial Conduct Authority) übertragen wurde. Carney bezeichnete den Cambridge-Absolventen angeblich einmal als "große sexy Schildkröte". Durch die Entscheidung für Bailey schaffte es in der 330-jährigen Geschichte der Bank of England immer noch keine Frau an die Spitze. Doch Nemat "Minouche" Shafik, die vor Carneys Abgang als heiße Kandidatin gehandelt wurde, wollte ohnehin lieber die Führung der London School of Economics übernehmen.
Pandemie zum Amtsantritt
Kaum hatte Bailey übernommen, breitete sich das Sars-CoV-2-Virus im Vereinigten Königreich aus. Die Regierung sah sich zu Ausgangssperren gezwungen und versetzte die Wirtschaft in eine Art Winterschlaf. Die Notenbank druckte das dafür nötige Geld. So wie sein Vorgänger am Tag nach dem EU-Referendum zur Arbeit erschien, um notfalls am Markt intervenieren zu können, war Bailey da, als verhindert werden musste, dass die Pandemie auch zur wirtschaftlichen Katastrophe wird. Man darf davon ausgehen, dass der Historiker, der seine Doktorarbeit über die Auswirkungen der Napoleonischen Kriege auf die Textilwirtschaft von Leicester schrieb, in dieser Zeit mehr als einmal mit den Grenzen seiner Weisheit Bekanntschaft machte.
Vom Regen in die Traufe
Nun kann man sich darüber streiten, ob man während der Pandemie derart umfassende Staatshilfen brauchte. Schließlich wurden dadurch reichlich Zombiefirmen über Wasser gehalten, Arbeitsplatzverluste also eher hinausgeschoben als wirklich verzögert. Doch das war eine Entscheidung der Regierung. Die Bank of England schuf lediglich die finanziellen Voraussetzungen dafür. Natürlich hätte man früher mit den Anleihenkäufen aufhören können. Hinterher ist man immer schlauer. Das gilt bedingt auch für die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine. Bailey hat wie viele andere die Inflation für ein vorübergehendes Phänomen gehalten. Doch fing die Bank of England im Dezember 2021 als erste G7-Notenbank an, den Leitzins zu erhöhen. Nun dürfte sie allerdings angesichts der Hartnäckigkeit der britischen Inflation die letzte der großen Notenbanken sein, die damit beginnt, ihn wieder zu senken.