Thyssen-Manager führt Stahlfusion mit Tata
Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfDer Schritt war längst überfällig – so überfällig, dass schon über neuen Sand im Getriebe spekuliert wurde: Mehr als ein Jahr nach der Einigung auf die Fusion ihrer Stahlsparten in Europa haben Thyssenkrupp und der indische Konkurrent Tata Steel endlich die Vorstände für ihr Gemeinschaftsunternehmen benannt. Die Führung im Joint Venture übernimmt Thyssenkrupp: Andreas Goss, der 54-jährige Stahlchef von Thyssenkrupp, wird CEO von Europas künftig zweitgrößtem Stahlkonzern hinter ArcelorMittal. Mit der vom aktivistischen Investor und Großaktionär Cevian maßgeblich vorangetriebenen Abtrennung der Stahlsparte trennt sich der angeschlagene Industriegüterkonzern zugleich von Milliardenschulden und von seinen historischen Wurzeln.Stellvertreter von Goss an der Spitze des Joint Venture Thyssenkrupp Tata Steel B.V. mit geplantem Sitz in der steuerlich günstigen und von montaner Mitbestimmung unversehrten Region Amsterdam werde der Niederländer Hans Fischer, der zugleich Technikchef sein soll und bislang Vorstandschef von Tata Steel Europe war, teilten die beiden Unternehmen am Montag mit. Neuer Finanzvorstand (CFO) des Joint Ventures wird Sandip Biswas, derzeit Group Executive Vice President Finance der britischen Tata Steel Limited. Die Position des Chief Strategy Officer wird Premal Desai übernehmen, bisher CFO von Thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg. Aufgabe des vierköpfigen Vorstands werde es sein, “den Integrationsprozess nach Abschluss der Fusion zu leiten und die Umsetzung der Geschäftsstrategie voranzutreiben, sobald das geplante Joint Venture die erforderlichen behördlichen Genehmigungen erhalten hat”. Ehemals Siemens-ManagerAuf den ehemaligen Siemens-Manager und studierten BWLer Andreas Goss warten zunächst unangenehme Aufgaben. Der umfängliche und hemdsärmelig auftretende Bayer aus Regensburg in der Oberpfalz muss 4 000 von 48 000 Arbeitsplätzen abbauen, bevor das Unternehmen voraussichtlich 2020 an die Börse geht – wann genau, darüber entscheidet Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff, der gemäß der Vereinbarung mit Tata auch 55 % des Emissionserlöses für seinen Konzern erhalten wird.Seit 2012 arbeitet Goss im Vorstand von Thyssenkrupp Steel Europe, zunächst als Finanzchef, seit 2014 als Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft und zugleich seit 2015 auch als Chef des Arbeitgeberverbands Stahl. Dem Unternehmen hat die Zeit unter Goss gutgetan: Die Stahlsparte erzielte im abgelaufenen Geschäftsjahr 2017/18 (per Ende September) einen operativen Gewinn von 687 Mill. Euro. Sie war damit nach der Aufzugssparte, die 866 Mill. Euro einfuhr, der zweitgrößte Gewinnbringer.Doch die größte Bewährungsprobe dürfte Goss noch bevorstehen. Er muss das marode Tata-Geschäft in Großbritannien sanieren – mit zwei sanierungsbedürftigen und vermutlich überzähligen Hochöfen in der südwalisischen Hafenstadt Port Talbot, die wegen kontinuierlich austretender Schwefelgase noch für Umweltskandale sorgen könnten. Seine reichen Erfahrungen auf der Insel werden Goss dabei von Nutzen sein. Er hat für Siemens in Birmingham, Frimley und Port Talbot gearbeitet und ist gut verdrahtet. So ist er etwa Mitglied im Board of Trustees of the Science Museum Group in the UK.Auf Seiten der Gewerkschaft sitzt ihm bei den im Januar 2019 beginnenden Stahl-Tarifverhandlungen der nordrhein-westfälische IG- Metall-Chef Knut Giesler gegenüber. “Goss ist ein robuster Gegner. Der spricht klare Worte. Der kann aber auch selbst klare Worte vertragen.” Goss sei immer leistungsorientiert, habe aber auch Verantwortungsbewusstsein für die Mitarbeiter.Das wird sich im Zusammenspiel mit Tata noch als wichtiger Punkt erweisen: Die Inder können nach der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens später theoretisch auch die Mehrheit an dem Joint Venture (JV) übernehmen. Die Aufstockung des zunächst für sechs Jahre für beide Partner auf je 50 % begrenzten Anteils würde nach einem Börsengang erfolgen. Börsengang ab 2020 geplantIm kurz vor Weihnachten 2017 zwischen Thyssenkrupp und den Gewerkschaftern der IG Metall vereinbarten Tarifvertrag “Zukunft Stahl” heißt es dazu: “Bei ausgezeichneter wirtschaftlicher Entwicklung des JV besteht die Möglichkeit, zuvor bereits ein IPO einzuleiten und gegebenenfalls durchzuführen, um hierdurch eine weitere Stärkung der Eigenkapitalbasis des JV zu erzielen; in diesem Fall halten Thyssenkrupp und Tata während des Sechs-Jahres-Zeitraums gemeinsam mindestens 50,1 % der Anteile des JV.”Das bedeutet: Thyssenkrupp könnte sich im Zuge eines Börsengangs auch nahezu ganz aus dem Unternehmen zurückziehen. Spätestens dann bräuchte Goss Charakterzüge, die ihm der Chef der IG Metall Duisburg-Dinslaken, Dieter Lieske, nachsagt: “Goss ist ein Typ mit Ecken und Kanten. Der kann auch mit dem Ellenbogen arbeiten und der kann beißen.”