Twitter-CEO Costolo beweist vor allem sein Improvisationstalent
Von Sebastian Schmid, New YorkNur wenige Konzernchefs sind auf die Folgen einer unerwarteten Entwicklung vorbereitet wie Twitter-CEO Dick Costolo. Statt nach seinem Studienabschluss an der Universität Michigan eines der Jobangebote im Technologiesektor anzunehmen, ging Costolo lieber mit einem Improvisationstheater auf Tour. In dieser puristischsten Form des Theaterspiels wird keinem Drehbuch gefolgt, sondern spontan reagiert. Dass die enttäuschenden Quartalszahlen seines Konzerns durch einen Fehler vorab an die Öffentlichkeit gelangten, dürfte den 51-Jährigen daher kaum aus der Bahn geworfen haben.Kritiker des seit 2010 amtierenden Twitter-Chefs bemängeln indes, dass er nicht nur improvisiert, wenn es nötig ist, sondern generell gerne von Idee zu Idee zu hüpfe. Tatsächlich zeichnet sich Costolos Karriere durch zahlreiche Kurswechsel aus. Die stabilste Phase hatte er unmittelbar nach Beendigung seiner Theaterkarriere. Für acht Jahre arbeitete der Computer- und Kommunikationswissenschaftler für Andersen Consulting in Chicago (Michigan). In den Folgejahren gründete er mehrere Start-ups mit, die erfolgreich weiterverkauft werden konnten. Die Webdesignfirma Burning Door Networked Media ging 1996 an Digital Knowledge Assets, die Internetüberwachungsgesellschaft SpyOnIt verkaufte er im Jahr 2000 an 724 Solutions. Seine nächste Mitgründung Feedburner ging 2007 an Google. Nachdem er dort kurz gearbeitet hatte, wechselte er 2009 zunächst als COO zu Twitter, ehe er 2010 für Mitgründer Evan Williams übernahm.Obwohl Costolo die Zahl der monatlich aktiven Nutzer nahezu verdoppelt und den Umsatz noch deutlich stärker gesteigert hat, sieht er sich noch immer dem Misstrauen der Wall Street gegenüber. Die Zweifel der Analysten sind in jeder Telefonkonferenz herauszuhören: Verlieren die Werbekunden das Vertrauen? Warum gibt es keine konkretere Prognose des erwarteten Nutzerwachstums? Wann werden endlich schwarze Zahlen geschrieben?Die kritischen Fragen stehen nur scheinbar im Gegensatz zu den zahlreichen Kaufempfehlungen für die Aktie. Die Erwartungen an Twitter fallen hoch aus. Viele Marktbeobachter zweifeln allerdings daran, dass Costolo einen Plan hat, das vorhandene Potenzial abzurufen. Mit dem jüngsten Quartal hat er sicher kein neues Vertrauen gewonnen. Und auch mit der erneuten Änderung, wie die Zahl der monatlich aktiven Nutzer kalkuliert wird, beweist Costolo einmal mehr nur sein Improvisationstalent. Seine strategischen Fähigkeiten bleiben umstritten.