Uber-Chef rollt das Feld gerne von hinten auf
Von Stefan Paravicini, FrankfurtDer Fahrdienstvermittler Uber will schon im nächsten Jahr an seinem wichtigsten Rivalen Didi Chuxing in China vorbeiziehen. Das hat die für das Geschäft vor Ort verantwortliche Liu Zhen auf einer Konferenz in Hongkong angekündigt, wenige Stunden nachdem das Start-up eine weitere Finanzierungsrunde über 3,5 Mrd. Dollar mit einem Staatsfonds aus Saudi-Arabien unter Dach und Fach gebracht hatte, in der Uber mit 68 Mrd. Dollar bewertet wurde. Glaubt man den mehr oder weniger transparenten Zahlen, die über den Markt verfügbar sind, müsste Uber in China aber erst eine gewaltige Aufholjagd gelingen, bevor man zum Überholmanöver ansetzen könnte. Derzeit werden Didi Chuxing im Reich der Mitte mehr als vier Fünftel der Marktanteile zugesprochen. Letzter in der StaffelTravis Kalanick, Mitgründer und CEO des 2010 gestarteten Unternehmens, ist schon seit der Highschool dafür bekannt, das Feld gerne von hinten aufzurollen. Als Läufer in der 4×400-Meter-Staffel seiner Schule war er immer dann am schnellsten, wenn er aus relativ aussichtsloser Position auf die Schlussrunde geschickt wurde. Doch bei aller Verbissenheit, zum Sieg hat das nicht immer gereicht. Auch beruflich ist Kalanick nicht immer vorneweg gelaufen, wie es Uber heute mit der Vermittlung von Fahrdiensten in mehr als 400 Städten und gut 70 Ländern tut.Kurz vor seinem Abschluss in Computerwissenschaften an der University of California Los Angeles (UCLA) brach Kalanick 1998 zusammen mit ein paar Freunden das Studium ab, um sich dem Start-up Scour anzuschließen, ein Filesharing-Dienst, vergleichbar mit der etwas später gestarteten Napster. Es war die Zeit kurz vor dem Höhepunkt des Dotcom-Booms. Doch Scour hatte schnell Ärger mit der Musikindustrie, so wie Uber heute unter anderem Ärger mit den Taxigenossenschaften hat.Die Investoren damals bekamen anders als die Geldgeber von Uber heute allerdings schnell kalte Füße, und Scour sah sich potenziellen Schadenersatzansprüchen in Höhe von 250 Mrd. Dollar gegenüber. Das Start-up flüchtete unter den Schutzschirm von Chapter 11, und Kalanick startete auf den Ruinen der Firma mit Redswoosh ein neues Unternehmen, das die einstigen Kläger zu seinen Kunden machen sollte. Die Idee klang gut, funktionierte allerdings nur leidlich. Ein größerer Deal mit einem Kunden scheiterte 2005 daran, dass das Gerücht die Runde machte, Kalanick sei auch der letzte bei ihm verbliebene Softwareingenieur von Bord gegangen.Die Wende kam mit Mark Cuban, der in Deutschland vor allem als Eigentümer des US-Basketballteams Dallas Mavericks mit Superstar Dirk Nowitzki ein Begriff ist. Cuban investierte in Redswoosh und spielte den Ball damit wieder in Kalanicks Feld, der sein Team neu aufbaute, einige relevante Kunden gewinnen konnte und das Unternehmen 2007 für rund 20 Mill. Dollar an den deutlich größeren Rivalen Akamai verkaufte. Seinen Anteil steckte Kalanick unter anderem in ein Haus in San Francisco und als Angel Investor in einige Start-ups im Silicon Valley, in deren Geschäftsideen er auch viel eigene Zeit steckte.Nach einem Aufenthalt in Paris, wo er zusammen mit dem kanadischen Unternehmensgründer Garrett Camp vergeblich auf ein Taxi wartete, gründeten die beiden 2009 Ubercab als Chauffeur- und Limousinendienst, der zunächst nur auf Einladung genutzt werden konnte und auf einen engen Kreis von Freunden und Bekannten in San Francisco beschränkt blieb. Das Unternehmen blieb zunächst eine Spielerei im Portfolio. Dann schlug Camp, der sich gerade wieder in die von ihm gegründete StumbleUpon eingekauft hatte, Kalanick vor, sich voll auf Ubercab zu konzentrieren. Der sagte Nein. Uber war damals “supercrazy freakin’ small”, also ziemlich klein, wie Kalanick in einem Interview mit “Fast Company” im vergangenen Herbst im Rückblick sagte. Beschleunigung mit SkalenIn einem Gespräch mit dem Team von Ubercab um den damaligen CEO Ryan Graves dämmerte Kalanick dann allerdings, dass das Unternehmen nicht klein bleiben musste. “Ich begann zu verstehen, wie die Mathematik die Nadel bewegen würde”, erinnert sich Kalanick und meint damit die Skaleneffekte, die Uber für die Konkurrenz heute so schwer zu schlagen machen.Denn mit mittlerweile mehr als einer Million Fahrern, die in mehr als 400 Städten und 70 Ländern mit ihrem Privatauto für Uber unterwegs sind, ist Uber nicht nur schneller und meistens auch günstiger als die meisten Taxis. Das Unternehmen verfügt gestützt auf seine App, die als Dreh- und Angelpunkt seiner Vermittlungsdienste auf den Smartphones von Nutzern und Fahrern installiert ist, auch über immense Daten zum Mobilitätsverhalten seiner Kunden. Kalanick übernahm als CEO und strich als eine seiner ersten Amtshandlungen das “Cab” aus dem Namen, um Kritikern aus dem Taxigewerbe weniger Angriffsfläche zu bieten. Keine drei Jahre später beteiligte sich der Internetkonzern Google mit seinem Venture-Capital-Arm zu einer Bewertung von rund 4 Mrd. Dollar. Es war der Startschuss für die globale Expansion von Uber, für die Kalanick in der Zwischenzeit mehr als 10 Mrd. Dollar bei Investoren eingesammelt hat.Dass Uber mehr ist als eine App, zeigen die jüngsten Investitionen in Kartentechnologie und Robotik-Know-how. “Wenn kein Fahrer mehr im Auto sitzt, dann sinken die Kosten für eine Uber-Fahrt unter die Kosten für den Besitz eines Autos”, deutete Kalanick bereits 2014 auf einer Technologiekonferenz die Richtung an. “Und dann wird es keine Eigentümer von Autos mehr geben.” Eine These, auf die Kalanick am Mittwoch in Berlin in einer Diskussion mit Daimler-Chef Dieter Zetsche angesprochen werden könnte.Wenn Kalanick nicht gerade in einer neuen Stadt oder einem neuen Land mit Uber das Feld von hinten aufrollt, läuft er mit Vorliebe auf dem Dach des Firmensitzes in San Francisco und bringt es dabei auf 40 Meilen in der Woche. Während er seine Runden dreht, kreisen die Gedanken häufig um China, wo Uber noch mit großem Abstand Didi Chuxing hinterherläuft. Auf der Schlussrunde in ChinaDer Rivale, der allein in China in mehr als 400 Städten präsent ist, verhandelt derzeit ebenfalls über eine Finanzierungsrunde mit einem Volumen von 3,5 Mrd. Dollar, wobei der US-Technologiekonzern Apple bereits 1 Mrd. Dollar zugesichert hat. Kalanick, der mit der Geigerin Gabi Holzwarth in San Francisco lebt, hat derweil schon darüber nachgedacht, ganz nach China überzusiedeln. Will Uber tatsächlich schon 2017 an Didi Chuxing vorbeiziehen, werden seine Qualitäten auf der Schlussrunde jedenfalls gefragt sein.