Unternehmerlegende Heinz Dürr wird 90 Jahre alt
Das “Unternehmen als gesellschaftliche Veranstaltung” ist ein Leitspruch des Maschinenbau-Patriarchen Heinz Dürr. Ein Unternehmen sei der Gesellschaft und seinen Beschäftigten verpflichtet, sagt er, es müsse ordentliche Produkte und Dienstleistungen liefern, die von der Gesellschaft gebraucht werden.
Dass die Produkte des 1896 als Bauflaschnerei gestarteten und heute als Dürr AG firmierenden Anlagenbauers nicht nur in Stuttgart, sondern in der ganzen Welt – und vor allem in der Autoindustrie – gebraucht werden, hat der Enkel des Gründers Paul Dürr in den Sechzigern erkannt. Zusammen mit seinem Vater Otto Dürr gründete er 1964 die erste Auslandstochter in Brasilien, da war er gerade Anfang 30 und wenige Jahre in der Unternehmensleitung tätig. Für VW baute man eine Lackiererei in São Bernardo do Campo – einem wichtigen Standort der Schwerindustrie, wo der deutsche Autobauer noch heute produziert. In den folgenden Jahren kamen weitere Dürr-Standorte hinzu, etwa in Mexiko, in den USA und in Südafrika. “Ich wollte die Firma großmachen”, erinnerte sich Heinz Dürr, der 1957 in den Familienbetrieb eingestiegen war, nachdem er eine Schlosserlehre und ein (abgebrochenes) Maschinenbaustudium hinter sich gebracht hatte. “Wir hatten gute Produkte, und ich war stolz auf diese Produkte. Ich wollte hinaus in die Welt und war überzeugt, dass die Welt unsere Maschinen brauchte und haben wollte.”
Insofern dürfte Dürr mit seinen Tauchlackieranlagen aus Sicht des Firmenerben die Definition des Unternehmens als gesellschaftliche Veranstaltung erfüllt haben. Innerhalb eines guten Jahrzehnts nach der ersten Expansion ins Ausland war die Firma in allen wichtigen Automobilmärkten weltweit vertreten.
Natürlich lief nicht immer alles rund: Als Flop erwies sich in den Siebzigern das sogenannte Vertak-Verfahren, bei dem Automobilkarosserien kopfüber in Behandlungsbäder getaucht wurden. Die Neuentwicklung sah zwar spektakulär aus, die Taktzeiten waren für die Kunden aber einfach zu lang. Doch die Dürr-Ingenieure tüftelten über die Jahre weiter an der idealen Karosserie-Bewegung – und landeten zu Beginn der Jahrtausendwende beim Purzelbaum. Im sogenannten “Roll over Dip”-Verfahren rotiert das Gehäuse beim Durchlaufen des Tauchbeckens um die eigene Achse. Das Verfahren wurde zum Kassenschlager.
Vom Industrie- zum Bahnchef
Heinz Dürrs Definition von einem Unternehmen geht aber noch weiter. “Es soll sich um die Menschen im Unternehmen kümmern und dafür sorgen, dass diejenigen, die dem Unternehmen Geld geben, eine ordentliche Rendite erhalten.” Ersteres versuchte der Firmenlenker etwa mit einer Mitarbeiterzeitung, mit einer Bibliothek sowie Theater- und Konzertaufführungen in der Fabrik umzusetzen.
Letzteres wurde für Dürr spätestens ab dem Jahr 1990 relevant, als Heinz Dürr – zu dem Zeitpunkt Aufsichtsratschef der Firma – den Maschinenbauer an die Börse führte. Es war damals ein ungewöhnlicher Schritt für ein mittelständisches Familienunternehmen, brachte aber die nötigen finanziellen Mittel für eine Übernahme des Applikationstechnik-Spezialisten Behr. Es folgten weitere Zukäufe, die die Schulden jedoch gefährlich in die Höhe trieben. Kurz nach der Jahrtausendwende geriet der Konzern in eine Schieflage, auch weil es sich bei den gekauften Unternehmen selbst teils um Sanierungsfälle handelte.
Aus der Geschäftsführung war Heinz Dürr bereits 1980 ausgetreten, nachdem der damalige Bosch-Chef Hans Lutz Merkle ihn als Vorstandsvorsitzenden für den angeschlagenen Elektrokonzern AEG empfohlen hatte. Geholfen hatte ihm dabei sein früherer Einsatz als Chef des Arbeitgeberverbands der Metallindustrie in Baden-Württemberg. “Das hat mich bekannt gemacht”, erzählte Dürr später.
Noch mehr Bekanntheit erlangte er ab 1991, als er auf Bitten vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl den Vorstandsvorsitz der Deutschen Bundesbahn übernahm. Im Zuge der Bahnreform, bei der die Bundesbahn und Reichsbahn zusammengeführt und von einem Staatskonzern zu einem Dienstleistungsunternehmen umgewandelt wurden, wurde Dürr schließlich Chef der Deutschen Bahn AG und blieb bis zum Jahr 1997 in der Position. Danach wechselte er in den Aufsichtsrat, den er bis 1999 leitete.
Dem Anlagenbauer Dürr ist der Unternehmer, der an diesem Sonntag seinen 90. Geburtstag feiert, noch immer verbunden – als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats. Als Ankeraktionär hält er mit seiner Familie 29% am ehemaligen “königlichen Hofflaschner”, wie der württembergische König Wilhelm II. die Firma einst betitelte.