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Vom Bahnhofsvorsteher zum Chef der SNCF

Von Gesche Wüpper, Paris Börsen-Zeitung, 2.11.2019 Die Startbedingungen für ihn könnten kaum schwieriger sein. Erst legten zahlreiche Mitarbeiter der französischen Staatsbahn SNCF Mitte des Monats unangekündigt die Arbeit nieder und sorgten so für...

Vom Bahnhofsvorsteher zum Chef der SNCF

Von Gesche Wüpper, Paris Die Startbedingungen für ihn könnten kaum schwieriger sein. Erst legten zahlreiche Mitarbeiter der französischen Staatsbahn SNCF Mitte des Monats unangekündigt die Arbeit nieder und sorgten so für den Ausfall zahlreicher Züge. Dann stellten in den vergangenen Tagen die Mitarbeiter eines Technikzentrums einfach Wartungsarbeiten ein, um gegen zu niedrige Löhne und zu hohe Arbeitsbelastung zu protestieren. Mitten in den Herbstferien fielen deshalb viele Hochgeschwindigkeitszüge in den Westen und Südwesten Frankreichs aus. Ausgerechnet vor diesem Hintergrund hat Jean-Pierre Farandou am 1. November bei der SNCF das Steuerrad von Guillaume Pepy übernommen, der die französische Bahn fast zwölf Jahre lang geleitet hat.Es gebe keine soziale Krise bei der SNCF, beharrte der 61-jährige Pepy wenige Tage vor seinem Abschied. Doch Gewerkschaftsvertreter widersprechen ihm. “Das soziale Klima ist extrem angespannt”, meint Arbeitnehmervertreter Olivier Depoulain von Unsa ferroviaire. Viele Mitarbeiter würden sich in dem Unternehmen nicht mehr wiedererkennen. “Das Unbehagen sitzt sehr tief, auf allen Ebenen des Unternehmens.” Farandou übernehme die Leitung der SNCF in einer “sozialen Notfallsituation”, schreibt Didier Aubert von der Gewerkschaft CFDT-Cheminots in einem offenen Brief an den neuen Chef der Bahn. Das Verhältnis zwischen der Unternehmensführung und den Bahnmitarbeitern habe sich in der jüngsten Zeit verschlechtert und zu großem Misstrauen geführt. “Sie haben die Macht und die Verantwortung, die Eisenbahner an diesem Wendepunkt für die SNCF zu besänftigen”, fordert er.Denn bei der französischen Bahn wird jetzt die vergangenes Jahr von Präsident Emmanuel Macron erkämpfte Reform umgesetzt. Und spätestens Ende nächsten Jahres steht die Liberalisierung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Frankreich an. Eigentlich hätte die Regierung von Macron gern einen Manager aus der Privatwirtschaft als Nachfolger für Pepy genommen, heißt es in Paris. Doch angesichts der entscheidenden Veränderungen, vor denen die SNCF stünde, habe sie sich lieber für einen internen Kandidaten entschieden. Die Tatsache, dass das Gehalt an der Spitze des staatlichen Unternehmens auf 450 000 Euro brutto pro Jahr begrenzt ist, habe die Suche außerhalb noch zusätzlich erschwert.Farandou hat den großen Vorteil, dass er die SNCF von Grund auf kennt. Er spreche “Eisenbahnerisch”, scherzt der in einem Vorort von Bordeaux als Sohn eines Zollbeamten und einer Grundschullehrerin geborene Bahnchef gern. Denn der 62-Jährige hat fast seine gesamte Karriere bei der SNCF verbracht, auch wenn er nach dem Bergbaustudium an der École des Mines in Paris zunächst für Amax in den USA arbeitete. 1981 wechselte er zur französischen Bahn, wo er als Bahnhofsvorsteher im rund 150 Kilometer nordöstlich von Toulouse gelegenen Rodez begann.Danach stieg der verheiratete Vater von zwei erwachsenen Kindern nach und nach die Karriereleiter hoch. Als Leiter war er unter anderem für die Eröffnung der TGV-Hochgeschwindigkeitszugstrecke von Paris nach Lille und die Thalys-Verbindung zwischen der französischen Hauptstadt und Brüssel verantwortlich. Später war er als Personalchef für die leitenden Angestellten der SNCF zuständig, bevor er Leiter des städtischen Nahverkehrs im Großraum Lyon und schließlich Chef des Nahverkehrs der SNCF wurde. 2012 dann rückte er an die Spitze der auch in Deutschland aktiven SNCF-Nahverkehrstochter Kéolis auf.Farandou werde nicht ständig auf allen Hochzeiten tanzen, meint ein Kenner des Unternehmens. Der Rugby-Fan dürfte zunächst den Akzent auf die Arbeit vor Ort legen und die Begegnung mit den rund 142 000 Mitarbeitern der SNCF suchen, um die angespannte Lage zu entschärfen. An seinem ersten Arbeitstag – in Frankreich ein Feiertag – wollte er sich in dem beim Pariser Gare de l’Est gelegenen Betriebskontrollzentrum der SNCF einen Überblick verschaffen.