Weiteres Strafverfahren gegen Winterkorn
Von Carsten Steevens, Hamburg Der vor fünf Jahren kurz nach Bekanntwerden des Dieselabgasskandals zurückgetretene Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn (73) muss sich auch wegen des Verdachts der Marktmanipulation vor Gericht verantworten. Wie das Landgericht Braunschweig am Donnerstag mitteilte, wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 16. September 2019 durch die 16. große Wirtschaftsstrafkammer unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet (Az. 16 KLs 75/19).Demnach soll Winterkorn, der Anfang 2007 den Vorstandsvorsitz des VW-Konzerns übernommen hatte, trotz Kenntnis von dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Dieselmotoren des Typs EA 189 in etwa 500 000 Fahrzeugen auf dem US-Markt und des sich seit Frühjahr 2015 abzeichnenden erheblichen finanziellen Risikos durch Schadenersatzforderungen und Strafzahlungen in den USA den Kapitalmarkt vorsätzlich nicht rechtzeitig informiert haben. Tatsächlich wurde der Dieselbetrug, der den weltgrößten Fahrzeugbauer inzwischen rund 32 Mrd. Euro gekostet hat, erst durch eine am 18. September 2015 von US-Umweltschutzbehörden veröffentlichte Mitteilung bekannt. Am 22. September informierte Volkswagen die Börse in einer Ad-hoc-Mitteilung. Winterkorn als Konzernchef soll insofern seinen kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten nicht rechtzeitig nachgekommen sein. Gemäß Wertpapierhandelsgesetz müssen Vorstände börsennotierter Unternehmen kursrelevante Ereignisse unverzüglich nach Bekanntwerden im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt machen.Den Vorwurf, er habe eine Ad-hoc-Mitteilung unterlassen, um den Börsenkurs der VW-Aktie zu beeinflussen, ließ Winterkorn zurückweisen. Der diesem Vorwurf zugrunde liegende Sachverhalt sei kompliziert und die entsprechenden kapitalmarktrechtlichen Fragen in weiten Teilen streitig, erklärte sein Anwalt. Die Verteidigung habe mit Unterstützung von Gutachtern belegt, dass die Beschuldigung seines Mandanten “aus tatsächlichen wie aus rechtlichen Gründen nicht fundiert” sei.Bei Volkswagen hieß es, man äußere sich nicht zu der nun bekannt gewordenen Zulassung der Anklage im Zusammenhang mit Vorwürfen der informationsgestützten Marktmanipulation gegen den früheren Konzernchef durch das Landgericht Braunschweig. Bis zur Klärung der Vorwürfe gelte für den Angeklagten weiterhin die Unschuldsvermutung. Darüber hinaus zeigte sich Volkswagen “weiterhin überzeugt, seine Publizitätspflichten im Zusammenhang mit der Dieselthematik ordnungsgemäß erfüllt zu haben”. Bis zum Sommer 2015 habe der Vorstand keine gesicherten Erkenntnisse darüber gehabt, dass die in US-Dieselfahrzeugen verwendete Software eine nach US-Recht verbotene Abschalteinrichtung enthielt. “Selbst nach Offenlegung der Umschaltlogik gegenüber den US-Behörden im September 2015 durften und mussten die Verantwortlichen bei Volkswagen davon ausgehen, dass die Thematik mit den US-Behörden entsprechend der bisherigen Behördenpraxis einvernehmlich geregelt werden wird.” Dabei sei davon auszugehen gewesen, dass sich die finanziellen Folgen in einer Größenordnung bewegen würden, die für ein Unternehmen der Größe von Volkswagen keine Kursrelevanz hat.Ein wegen identischer Vorwürfe eingeleitetes Strafverfahren gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden und früheren Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch sowie gegen den Vorstandschef Herbert Diess war im Mai dieses Jahres gegen Zahlung von jeweils 4,5 Mill. Euro an die Staatskasse eingestellt worden. Die Frage der rechtzeitigen Information der Anleger spielt aber auch in dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Braunschweig eine zentrale Rolle, in dem die Sparkassenfondsgesellschaft Deka Investments als Musterklägerin Schadenersatz für erlittene Kursverluste fordert. Der Streitwert beläuft sich aktuell auf mehr als 4 Mrd. Euro.Winterkorn muss sich bereits wegen Betrugsverdachts vor Gericht verantworten (vgl. BZ vom 10. September). Wann der Prozess gegen ihn und vier weitere Verantwortliche im sogenannten NOx-Verfahren beginnt, ist aber noch offen (Az. 6 KLs 23/19). Das Landgericht Braunschweig will abwarten, bis die 6. große Wirtschaftsstrafkammer die Termine im Betrugsprozess bestimmt hat, bevor der Ablauf des Verfahrens wegen Marktmanipulation festgelegt werden soll. Als erster großer Strafprozess im Dieselabgasskandal von Volkswagen in Deutschland beginnt am kommenden Mittwoch in München das Gerichtsverfahren gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler.