Wirtschaftsnobelpreis für US-Ökonomin Claudia Goldin
Nobelpreis für Claudia Goldins Forschung zur Rolle der Frauen am Arbeitsmarkt
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Der Wirtschaftsnobelpreis geht in diesem Jahr an Claudia Goldin. Die an der Harvard University lehrende US-Ökonomin erhält den Preis für die Aufdeckung „der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt“. Golding ist erst die dritte Frau überhaupt, die diese Ehrung erhält, und zudem die erste, die solo damit ausgezeichnet wird.
„Wie ein Detektiv“ Daten gesucht
„Ihre Forschungen haben uns neue und oft überraschende Einblicke in die historische und aktuelle Rolle von Frauen auf dem Arbeitsmarkt gegeben“, erklärte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften ihre Wahl. Goldin habe nicht nur gezeigt, wie die Unterschiede bei den Einkommen und Beschäftigungsquoten zwischen den Geschlechtern entstanden sind und warum die Kluft immer noch so groß ist, sondern auch den Wandel über einen Zeitraum von 200 Jahren untersucht. Dabei habe sie „wie ein Detektiv gearbeitet“, um an die Daten zu kommen. „Die Rolle der Frauen in der Arbeitswelt zu verstehen, ist wichtig für die Gesellschaft“, betonte Jakob Svensson, Vorsitzender des Komitees für den Preis in Wirtschaftswissenschaften. „Dank Goldins bahnbrechender Forschung wissen wir jetzt viel mehr über die zugrunde liegenden Faktoren und darüber, welche Hindernisse in Zukunft beseitigt werden müssen.“ Konkrete Handlungsempfehlungen gebe Goldin zwar nicht, entscheidend sei aber, dass sie viele Forscher in den USA, aber auch in anderen Ländern inspiriert habe, sich diesen Fragestellungen zu widmen, ergänzte Komitee-Mitglied Randi Hjalmarsson.
U-förmige Entwicklung
Die 1946 in New York geborene Goldin habe gezeigt, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen über den Zeitraum von 200 Jahren keinem Aufwärtstrend folge wie lange gedacht, sondern eine U-förmige Kurve bilde. So nahm die Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft im frühen 19. Jahrhundert ab, stieg dann aber mit dem Wachstum des Dienstleistungssektors zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Goldin erklärt dieses Muster mit dem strukturellen Wandel und den sich verändernden sozialen Normen hinsichtlich der Verantwortung der Frauen für Haus und Familie.
Trotz Modernisierung, Wirtschaftswachstum und steigenden Anteils erwerbstätiger Frauen im 20. Jahrhundert hat sich die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern über einen langen Zeitraum kaum geschlossen. Goldin führt dies zum Teil darauf zurück, dass Bildungsentscheidungen, die sich auf die lebenslangen Karrierechancen auswirken, in einem relativ jungen Alter getroffen werden. Würden die Erwartungen junger Frauen von den Erfahrungen früherer Generationen geprägt – etwa von ihren Müttern, die erst nachdem die Kinder erwachsen waren, wieder arbeiten gingen –, dann verlaufe die Entwicklung langsam. Der Zugang zur Antibabypille wiederum spielte wegen der neuen Möglichkeiten der Karriereplanung eine Rolle beim kontinuierlichen Bildungsanstieg der Frauen im Laufe des 20. Jahrhunderts. Während in der Vergangenheit ein Großteil der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede durch Unterschiede in der Ausbildung und der Berufswahl erklärt werden konnte, bestünden diese heutzutage im gleichen Beruf – und größtenteils ab der Geburt des ersten Kindes, wie Komitee-Mitglied Hjalmarsson erklärte.
Viel Zuspruch aus der Fachwelt
Die Fachwelt begrüßte die Wahl des Nobelkomitees. „Es ist höchste Zeit, dass eine dritte Frau mit dem Preis der Sveriges Riksbank für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel ausgezeichnet wird“, erklärte etwa Moritz Schularick, neuer Chef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Goldin sei eine herausragende Ökonomin. Entscheidender als ihr breites Spektrum an Themen seien die Methoden, die sie anwendet. „Sie nutzt wertvolle Erkenntnisse aus der Vergangenheit für die Gegenwart: Mithilfe von historischen Daten quantifiziert sie langfristige Entwicklungen, woraus sich Aufschlüsse über zentrale ökonomische Zusammenhänge gewinnen lassen.“ – ein wichtiger Teil von Schularicks eigener Forschungsagenda. Tatsächlich habe sie ihn eingeladen, „meinen ersten Vortrag am National Bureau of Economic Research (NBER) zu halten, als sie dort Programmdirektorin war“. Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest verweist in seiner Würdigung Goldins’ auf wissenschaftlich Verbindendes: So war Goldin 2022 in München zum Distinguished CES Fellow gewählt worden und hatte einen Vortrag gehalten über „Karriere und Familie: Die jahrhundertelange Reise der Frauen zur Gleichberechtigung“. Ihre Forschungsthemen seien auch für Laien sehr verständlich und für uns alle relevant, fügte Fuest hinzu. „Sie ist unglaublich kreativ und gehört zur Spitze der weltweiten volkswirtschaftlichen Forschung“, lobte der Ifo-Chef zudem.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnete die Wahl als „Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland für mehr Chancengleichheit“. In kaum einem vergleichbaren Land sei die Lohnlücke zwischen Mann und Frau mit im Schnitt 18% so groß wie in Deutschland, sagte er zu dpa-afx. Ökonom Sascha Steffen von der Frankfurt School of Finance & Management kommentierte laut dpa-afx: „Besonders bemerkenswert sind ihre Erkenntnisse über das anhaltende Lohngefälle zwischen den Geschlechtern. Goldins Beiträge bilden eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen und künftige Forschungen.“
1 Mill. skr mehr
Der Wirtschaftsnobelpreis geht im Gegensatz zu den klassischen Nobelpreisen nicht auf das Testament des Dynamit-Erfinders Alfred Nobel (1833 bis 1896) zurück. Der mit 11 Mill. skr (rund 950.000 Euro) – 1 Mill. skr mehr als im Vorjahr – dotierte Preis wurde von der Riksbank erst 1968 anlässlich ihrer 300-Jahres-Feier gestiftet. Daher heißt er auch nicht offiziell Nobelpreis, sondern „Preis der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften zum Andenken an Alfred Nobel“. Verliehen wird er aber zusammen mit den traditionellen Nobelpreisen am Todestag Nobels, dem 10. Dezember. Von den 55 Auszeichnungen gingen 26 an Einzelpersonen, 20 an zwei Preisträger, und neunmal teilten sich drei Personen den Wirtschaftsnobelpreis. Jüngste aller Laureaten war die damals 46-jährige Esther Duflo. Sie ist nach der 2009 ausgezeichneten Elinor Ostrom die zweite Frau, die den Preis erhielt – und die erste, die zusammen mit ihrem Ehemann geehrt wurde. Duflo erhielt 2019 zusammen mit Abhijit Banerjee den Nobelpreis. 2007 war Leonid Hurwicz mit 90 Jahren der insgesamt und über alle Kategorien hinweg Älteste, der je mit einem Nobelpreis geehrt worden war. Der bislang einzige deutsche Preisträger ist der Bonner Wissenschaftler Reinhard Selten, der 1994 zusammen mit John Nash und John Harsanyi für ihre Beiträge zur nichtkooperativen Spieltheorie ausgezeichnet wurde.
2022 | Ben Bernanke (USA), Douglas Diamond (USA) und Philip Dybvig (USA) für ihre Erforschung von Banken und Finanzkrisen |
2021 | David Card (Kanada/USA) für seine empirischen Beiträge zur Arbeitsökonomie sowie Joshua D. Angrist (USA) und Guido W. Imbens (Niederlande/USA) für ihre methodischen Beiträge zur Analyse kausaler Zusammenhänge |
2020 | Paul R. Milgrom (USA) und Robert B. Wilson (USA) für Verbesserungen der Auktionstheorie und Erfindung neuer Auktionsformate |