Nachruf

Wolfgang Schäuble prägte Deutschlands Politik mehr als ein halbes Jahrhundert

Wolfgang Schäuble prägte mehr als ein halbes Jahrhundert Deutschlands Politik. Am Dienstag ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.

Wolfgang Schäuble prägte Deutschlands Politik mehr als ein halbes Jahrhundert

Wolfgang Schäuble prägte Deutschlands Politik

Von Angela Wefers, Berlin

Über dem Bundestag wehten am Mittwoch die Fahnen auf Halbmast. Wolfgang Schäuble – mehr als ein halbes Jahrhundert Parlamentarier, CDU-Vorsitzender, Fraktionschef, Minister in verschiedenen Ressorts, Architekt der Deutschen Einheit und Bundestagspräsident – ist am 26. Dezember verstorben. Schäuble wurde 81 Jahre alt. Sein Leben endete nach langer schwerer Krankheit im Kreis seiner Familie. Bundestagspräsidentin Bärbel Baas (SPD) würdigte Schäuble als „Ausnahmepolitiker, leidenschaftlichen Parlamentarier und großen Europäer“. Kaum jemand habe die deutsche Politik so lange maßgeblich mitgeprägt wie er. Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erinnerte an das Wirken Schäubles bei der Deutschen Einheit. In ihrer gemeinsamen Zeit im Bundeskabinett habe sie seine „enorme Erfahrung und Sachkenntnis und auch seine Bereitschaft zu Kompromissen“ kennengelernt.

„Prägender Christdemokrat“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte Schäubles „Intellekt, seine Freude an der demokratischen Auseinandersetzung, sein konservatives Weltbild und seine rhetorische Schärfe“. Diese habe ihn in mehr als 50 Jahren seiner politischen Laufbahn ganz besonders ausgezeichnet. „Deutschland verliert einen prägenden Christdemokraten, der gerne stritt und dabei doch nie aus dem Blick verlor, worum es geht in der Politik: Das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu machen“, konstatierte Scholz. CDU-Parteichef Friedrich Merz schrieb auf der Plattform X: „Ich verliere mit Wolfgang Schäuble meinen engsten Freund und Ratgeber, den ich in der Politik je hatte.“

Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg im Breisgau geboren. Den Sprachduktus seiner alemannischen Heimat hat er nie zu verbergen gesucht. Die Nähe seines Wahlkreises Offenburg zu Frankreich und der Schweiz hat seine Weltläufigkeit und Haltung als überzeugter Europäer geprägt. Schäuble sprach fließend Französisch und dies deutlich entspannter als Englisch. Mit seinen Worten „Am 28., 24 Uhr, isch over“, setzte er 2015 bei einer Asienreise nicht nur sprachlich Maßstäbe, sondern auch Griechenland in der Euro-Krise ein Ultimatum. Entweder würde die Regierung in Athen auf den Sparkurs einschwenken oder die Euro-Mitgliedschaft riskieren. Am 28. Februar lief das Hilfsprogramm des Euro-Rettungsschirms ESM aus. Schäubles Popularität als Politiker hat der harte Kurs in der Euro-Krise nicht angekratzt.

Schäuble war acht Jahre Bundesfinanzminister – von 2009 bis 2017 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Als sich nach der Wahl 2017 abzeichnete, dass die SPD das Finanzministerium begehren würde, steuerte Schäuble das Amt des Bundestagspräsidenten an. Im Bundestag war frisch die AfD eingezogen – und Schäuble bot deren Polemik beständig die Stirn. Er erinnerte an die Existenz von Regeln in der demokratischen Auseinandersetzung. Andernfalls würden Hass, Hetze und Eskalation in die Öffentlichkeit getragen.

Schäuble studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaft in Freiburg und Hamburg. Schon zu Beginn des Studiums 1961 trat er in die Junge Union ein, 1965 in die CDU. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen promovierte er über die berufsrechtliche Stellung von Wirtschaftsprüfern und begann 1971 in der Steuerverwaltung in Baden-Württemberg. Bei Steuern und föderalen Finanzen bewegte sich Schäuble auch in späteren Jahren auf sicherem Terrain und dachte fiskalisch. Er favorisierte früh eine globale Mindeststeuer. Die Schuldenbremse respektierte er mehr als nötig. Mit der „schwarzen Null“ im Visier ließ er die Ausgaben moderater steigen als die vorsichtig geschätzten Einnahmen. Damit gelangen ihm schon 2014 Überschüsse im Bundeshaushalt, obwohl die neue Schuldenregel erst 2016 griff. Von den Überschüssen zehrt noch die Ampel-Koalition. Weniger nah war Schäuble der Finanzmarkt. Mit einem überraschenden nationalen Leerverkaufsverbot in der Finanzkrise hätte er fast die Platzierung einer Bundesanleihe riskiert. Auch das Verhältnis zur Kreditwirtschaft blieb seit der Finanzkrise weitgehend unterkühlt.

Mitglied des Bundestags war Schäuble seit 1972. Das erste Regierungsamt hatte er von 1981 bis 1989 als Bundesminister für besondere Aufgaben und Kanzleramtschef von Helmut Kohl (CDU). Nach dem Fall der Mauer verhandelte er den Einheitsvertrag Deutschlands. Bis 1991 war er bei Kohl Bundesinnenminister, von 2005 bis 2009 erneut in der ersten Regierung von Merkel. Die CDU/CSU-Fraktion führte Schäuble seit 1991 und wurde nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 auch CDU-Parteivorsitzender. Von beiden Ämtern trat er am 16. Februar 2000 in der Spendenaffäre zurück, nachdem schwarzen Kassen bei der CDU auftauchten.

Seit einem Attentat eines Verwirrten im Oktober 1990 war Schäuble auf den Rollstuhl angewiesen. Seine Behinderung thematisierte er selten, witzelte aber gelegentlich darüber – etwa als er seinen Staatssekretär Werner Gatzer in einer Pressekonferenz anwies, einen Stuhl mitzubringen, da er seinen jetzt mitnehme. Schäuble musste die Pressekonferenz vorzeitig verlassen, Gatzer übernahm.

Ein Freund Berlins

Schäubles Rede im provisorischen Parlamentssaal des Bonner Wasserwerks gab 1991 den Ausschlag, dass Berlin Regierungssitz wurde: Wie keine andere Stadt sei Berlin das Symbol für Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtstaatlichkeit, konstatiert Schäuble. Solle die Teilung überwunden werden, können nichts so bleiben, wie es war, auch nicht in Bonn und im Rheinland. Schäuble war Ehrenbürger Berlins. Er genoss das Kulturleben und begleitete nach den Worten seines Parteifreunds Kai Wegner, Regierender Bürgermeister Berlins, das politische Ringen in der Stadt mit großem Wohlwollen. Schäuble hinterlässt seine Frau Ingeborg, mit der er seit 1969 verheiratet war, und vier erwachsene Kinder.

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