Präsidentschaftswahl

Zweikampf der Extreme in Chile

Der ultrakonservative Außenseiter José Antonio Kast ist mit den höchsten Stimmanteilen in die Stichwahl um die chilenische Präsidentschaft am 19. Dezember eingezogen. Und sein Gegner dort ist der erst 35-jährige Gabriel Boric, der Führer der linken „breiten Front“ und Verbündete der kommunistischen Partei.

Zweikampf der Extreme in Chile

Von Andreas Fink, Buenos Aires

Nun ist also eingetreten, was die Umfragen seit Wochen voraussagten: Der ultrakonservative Außenseiter José Antonio Kast ist mit den höchsten Stimmanteilen in die Stichwahl um die chilenische Präsidentschaft am 19. Dezember eingezogen. Und sein Gegner dort ist der erst 35-jährige Gabriel Boric, der Führer der linken „breiten Front“ und Verbündete der kommunistischen Partei. Hart rechts gegen links außen also. Seit Wochen hatten Experten gewarnt: Das chilenische Wohlstandsmodell stehe auf dem Spiel. Drei Jahrzehnte gedeihlicher Entwicklung drohten, verschluckt zu werden von dem tiefen Spalt innerhalb der chilenischen Bevölkerung.

Doch die Apologeten des Untergangs könnten womöglich zu früh gezetert haben. Denn der Sonntag endete tatsächlich weit weniger extrem, als es die knapp 28% für den Pinochet-Bewunderer José Antonio Kast und die 25,7% für den linken Boric erscheinen lassen. Denn fast die Hälfte der Wähler war nicht bereit, Extreme zu unterstützen. Das drückte sich deutlich in den zeitgleich abgehaltenen Parlamentswahlen aus: In beiden Kammern sind Gemäßigte klar in der Überzahl. Keiner der zwei Bewerber wird Mehrheiten vorfinden. Das dürfte vor allem linke Umsturzfantasien einbremsen.

Schon am Wahlabend begann das große Buhlen um die Mitte. Kast begann, inmitten eines Meeres von Nationalflaggen. Begleitet von seiner Gattin, der Mutter seiner neun Kinder, rief der 55-jährige Sohn eines 1951 aus dem Allgäu eingewanderten früheren Wehrmachtsoffiziers: „Wir wollen mehr Chilenen ansprechen!“ Noch am Wahlabend kündigte Kast an, den Vorsitz der Republikanischen Partei abzugeben, die er vor vier Jahren selbst gegründet hat, nachdem er sich von der ultrakonservativen Partei UDI losgelöst hatte, für die er jahrzehntelang auf lokaler und regionaler Ebene tätig gewesen war – und die ihm nicht radikal genug war. Innerhalb seiner Partei war er nicht fähig, in die Mitte zu gehen. Aber jetzt wird er wohl müssen, wenn er es denn ins Amt schafft.

„Sie sagen, ich sei extrem?“

„Sie sagen, ich sei extrem, aber inwiefern extrem?“, fragte Kast im Wahlkampf. Tatsächlich ist sein Auftreten im Gegensatz zu seinen politischen Verbündeten Donald Trump und Jair Bolsonaro stets freundlich und ausgesprochen zurückhaltend. Ohne zu poltern, verteidigt Kast die Verfassung, die 1980 während des diktatorischen Regimes erlassen wurde, dem sein ältester Bruder als Ökonom zuarbeitete. Darum lehnt er auch die Arbeit der verfassungsgebenden Versammlung ab, die in der zweiten Jahreshälfte 2022 ein neues Grundgesetz zur Volksabstimmung bringen will. Als Regierungsprogramm schlug Kast Ausgabenkürzungen, Steuersenkungen und die Abschaffung mehrerer Ministerien vor – darunter auch des Frauenministeriums. Er will auch das während der Diktatur eingeführte private Rentensystems erhalten, dessen enttäuschend magere Resultate für einen Großteil der Beitragszahler zu den Hauptgründen für den Volksaufstand 2019 gehört hatten.

Kast möchte die Uhr in Chile um gut drei Jahrzehnte zurückstellen, in die Jahre, als die Diktatur in die Demokratie überging. Ob eine Mehrheit des Volkes diesen Weg wirklich mitgehen will, wird sich in knapp vier Wochen herausstellen.