Premierministerin Liz Truss tritt ab
Die britische Premierministerin Liz Truss wird ihr Amt niederlegen und auch die Führung der Konservativen abgeben. Sie trat am Donnerstag vor ihrem Amtssitz in 10 Downing Street nur kurz vor die Kameras. Sie habe bereits mit dem König gesprochen, sagte Truss bei diesem anderthalbminütigen Auftritt. Sie könne „angesichts der Situation“, die sie nicht näher spezifizierte, das Mandat nicht erfüllen, mit dem sie von den Parteimitgliedern betraut worden sei. „Liz Truss hatte ein schwieriges Blatt und hat es schlecht gespielt, was sie zur Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit in der britischen Geschichte machte“, sagte Professor Richard Toye von der Universität Exeter. Das Debakel sei das Ergebnis einer weitergehenden Krise, unter der nicht nur die Konservativen, sondern das gesamte politische System des Landes seit Jahren litten.
Am Morgen hatte sich Truss mit Graham Brady getroffen, dem Vorsitzenden des für die Wahl der Parteispitze zuständigen 1922 Committee. „Wir sind dabei übereingekommen, dass die Wahl der neuen Führung in der kommenden Woche abgeschlossen sein soll“, sagte Truss, die bislang 44 Tage Premierministerin ist. „Das wird sicherstellen, dass wir auf Kurs bleiben, um unsere fiskalischen Pläne umzusetzen und die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes und die nationale Sicherheit aufrechtzuerhalten.“ Sie werde als Premierministerin noch so lange im Amt bleiben, bis ein Nachfolger gefunden ist. Der einwöchige parteiinterne Wahlprozess über die Truss-Nachfolge soll bereits am Freitag der nächsten Woche (28. Oktober) enden. Brady sagte, auch die Parteibasis solle in den Prozess einbezogen werden. Wie das aussehen soll, war zunächst unklar. „Wir sind uns sehr bewusst über die Notwendigkeit im Sinne des nationalen Interesses, dies sehr schnell und klar zu regeln“, sagte Brady. Spätestens bis zum 31. Oktober solle daher der neue Premierminister im Amt sein.
„Die Konservative Partei hat gezeigt, dass sie nicht länger das Mandat hat, zu regieren“, sagte Labour-Chef Keir Starmer. Die Öffentlichkeit verdiene es, mitzureden, wenn es um die Zukunft des Landes gehe. „Wir brauchen keinen weiteren konservativen Premier, der sich von Krise zu Krise schleppt“, sagte Ed Davey, der Chef der oppositionellen Liberaldemokraten. „Es ist die Zeit für die konservativen Unterhausabgeordneten, ihre patriotische Pflicht zu erfüllen, das Land an die erste Stelle zu setzen und seinen Menschen die Entscheidung zu überlassen.“
Truss‘ Position wurde unhaltbar, nachdem der Widerstand gegen ihre Politik in der eigenen Fraktion unüberhörbar geworden war. Zuletzt hatten 15 Abgeordnete ihren Rücktritt gefordert. Innenministerin Suella Braverman hatte am Vortag ihr Amt niedergelegt und dabei betont, dass wer Fehler mache, Konsequenzen ziehen müsse. Die Nachfolge ist ungeklärt. Schatzkanzler Jeremy Hunt habe kein Interesse, zitiert der „Telegraph“ Verbündete des Nachfolgers von Kwasi Kwarteng. Kandidaten gibt es reichlich: Dem ehemaligen Schatzkanzler Rishi Sunak und Verteidigungsminister Ben Wallace werden die größten Chancen zugeschrieben. Doch Kemi Badenoch, Suella Braverman und Penny Mordaunt gelten auch als interessiert.
Rund 24 Stunden vor ihrem Rücktritt hatte sie noch im britischen Unterhaus beteuert, nicht aufgeben zu wollen und „eine Kämpferin“ zu sein. Nun wies sie zwar auf die schwierigen ökonomischen Zeiten und die politische Instabilität auf dem ganzen Kontinent hin, räumte aber auch ein, unter den aktuellen Bedingungen ihre Vision des radikalen Wirtschaftswachstums nicht mehr umsetzen zu können.
Pfund und Aktien legen als Reaktion zu
Die Rücktrittsankündigung der britischen Premierministerin Liz Truss gab dem Pfund Sterling Rückenwind. Die Währung verteuerte sich am Donnerstag nach dem Statement von Truss um rund ein Prozent auf 1,13 Dollar, nachdem sie zuvor 0,4% im Minus lag. Die Rendite 30-jähriger britischer Staatsanleihen sank im Laufe des Tages um 9 Basispunkte auf 3,895%. Der britische Aktienmarkt legte ebenfalls etwas zu.
„Da die Politik von Finanzminister Jeremy Hunt die britischen Märkte beruhigt hat, rechnet wohl niemand ernsthaft damit, dass er abgelöst wird – unabhängig davon, wer Truss ersetzt“, sagte Stuart Cole, Chef-Volkswirt des Brokerhauses Equiti Capital. „Die Führung der britischen Wirtschaft liegt in relativ sicheren Händen, was das Pfund vor den schlimmeren Auswirkungen des politischen Chaos schützt.“
Seit Anfang September im Amt
Truss hatte erst Anfang September die Nachfolge von Boris Johnson angetreten, der nach mehreren Skandalen und Eklats auf Druck der eigenen Partei zurückgetreten war. Doch bereits seit Mitte September kämpft Truss um ihr politisches Überleben im Amt, nachdem sie mit ihren Steuersenkungsplänen ein Fiasko an den Finanzmärkten ausgelöst hatte und sich zu einer Kehrtwende gezwungen sah. In ihrer Partei wuchs zunehmend der Unmut und Widerstand gegen sie. Umfragen zufolge liegen die Konservativen etwa 30 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour-Partei. „Es ist ein Scherbenhaufen und eine Schande”, sagte der altgediente Tory-Abgeordnete Charles Walker am 19. Oktober der BBC. „Der Schaden, den sie unserer Partei zugefügt haben, ist außerordentlich.” Bei dem Forschungsinstitut YouGov ist Truss die unbeliebteste Regierungschefin seit dem Beginn der Erhebungen.