Arbeitnehmerentsendung nun auch ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden?
Arbeitnehmerentsendung nun auch ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden?
„New Work“, „Workation“ und „Remote Working“ – das sind die Schlagworte einer veränderten und facettenreichen Arbeitswelt nach der Pandemie. Klassische Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland bleiben jedoch ein wichtiger Baustein international agierender Unternehmen. Gründe für Arbeitnehmerentsendungen sind vielgestaltig und reichen von der Etablierung einheitlicher konzernweiter Standards bis zu Know-how-Transfers oder auch einem Mangel an notwendigen Fach- und Führungskräften im Ausland.
Arbeitgeber und ihre ins Ausland entsandten Mitarbeiter konnten bisher auf Basis eingespielter steuerrechtlicher, aber auch arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Rahmenbedingungen bürokratischen Aufwand verlässlich planen. Hier droht ein Paradigmenwechsel durch ein im Dezember 2023 veröffentlichtes Schreiben des Bundesfinanzministeriums, der für Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit einem gravierenden Verlust an Rechtssicherheit verbunden ist. Arbeitnehmerentsendungen werden zum Spielball von lokalen Finanzämtern und können nicht nur zu Doppelbesteuerungen führen, sondern im „worst-case“ auch die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden nach sich ziehen.
Ansässigkeit des Arbeitnehmers als Abgrenzungsmerkmal
Im Einzelnen: Im Rahmen der internationalen Arbeitnehmerbesteuerung ist die Bestimmung der steuerlichen Ansässigkeit von erheblicher Bedeutung, weil Lohnbestandteile des Arbeitnehmers grundsätzlich im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden. Obwohl es hiervon Ausnahmen (Besteuerung im Tätigkeitsstaat) und Rückausnahmen gibt, ist die Ansässigkeit eines entsendeten Arbeitnehmers wichtig für die Abkommensberechtigung sowie für die Zuweisung und Aufteilung von Vergütungsbestandteilen.
Bislang ist in vielen Entsendungsfällen die abkommensrechtliche Ansässigkeit im ausländischen Tätigkeitsstaat angenommen worden mit der Folge, dass die Arbeitsleistung auch dort besteuert wird. Denn wie das BMF auf seiner Homepage selbst angibt: „Jeder hat seinen fairen Anteil an Steuern zu zahlen – und zwar dort, wo er ansässig ist oder wo er seine wirtschaftliche Aktivität ausübt“. Und hier überrascht das Schreiben aus dem Bundesfinanzministerium die Praxis, insbesondere aber die Arbeitnehmer, mit neuen Nachweisanforderungen – übrigens auch für bereits zurückliegende Veranlagungszeiträume.
Doppelbesteuerung droht
Mit einem lapidaren Hinweis heißt es zunächst, dass die Vorlage ausländischer Ansässigkeitsbescheinigungen keine verbindliche Wirkung mehr entfalten soll. Dies ist deshalb problematisch, weil in vielen Praxisfällen entsendete Arbeitnehmer sowohl im deutschen Heimatland als auch im ausländischen Tätigkeitsstaat (für die Dauer des Aufenthaltes) zwei ständige Wohnstätten unterhalten (Doppelansässigkeit) und Gastländer typischerweise anderen Kriterien für die Frage der Ansässigkeit folgen. Hier drohen künftig Doppelbesteuerungsfälle.
Die Finanzverwaltung beabsichtigt nun im Rahmen einer sehr umfangreichen Einzelfallprüfung den Mittelpunkt der Lebensinteressen zu ermitteln. Hierbei sollen persönliche und wirtschaftliche Beziehungen gleichrangig nebeneinander stehen. Die Finanzverwaltung stellt hierbei auf sehr persönliche Lebensumstände ab, die im Rahmen von erhöhten Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 AO) mitzuteilen sind.
Großes Echo
Dies hat in Presse und Fachkreisen nachvollziehbar ein großes Echo hervorgerufen. Zwar ist diese Herangehensweise nicht grundsätzlich neu, denn z.B. werden im Einfuhrabgabenrecht derartige „weiche“ Kriterien durchaus herangezogen, wenn es etwa darum geht nachzuweisen, dass eine Person im Zeitpunkt ihrer Einreise in die EU dort entgegen der Annahme der Zollbehörde keinen Lebensmittelpunkt bzw. „Mittelpunkt seines ständigen Interesses“ unterhält. Problematisch ist aber die Bedeutungsabnahme objektiver Bestimmungskriterien,
Keine objektiven Kriterien mehr
Bei den persönlichen Beziehungen sind nach der Finanzverwaltung sämtliche persönlichen Verhältnisse aus der privaten Lebensführung einer Person, insbesondere die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, die politische, kulturelle und sonstige Verwurzelung, die Ausstattung und Größe der Wohnung, private Aktivitäten, Mitgliedschaften in Parteien und Vereinen zu berücksichtigen. Damit wird deutlich, dass entsendete Arbeitnehmer, die nur für ein paar Jahre ins Ausland gehen, ohne ihre Bindungen zur Heimat zu kappen, ins Visier der deutschen Finanzämter geraten könnten.
Denn aus dem BMF-Schreiben geht hervor, dass eine Person, die ihre Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Partei sowie die Wohnung in Deutschland nicht aufgegeben hat, möglicherweise ihren „Mittelpunkt des Lebensinteresses“ nach wie vor im Inland haben könnte – und damit auch im Inland steuerpflichtig bleibt. Überspitzt formuliert wird künftig also zu überdenken sein, ob man aus dem Ausland heraus seinen Heimatsportverein noch weiter fördern oder dort auch nur Mitglied bleiben möchte.
Auch sollte man überdenken, wie mit der bisherigen Wohnstätte während des Auslandsaufenthalts umgegangen werden soll, auch wenn es absurd erscheinen mag, dass das BMF daraus überhaupt auf das Fortbestehen gewichtiger persönlicher Interessen im Heimatland schließen möchte, was sich im Übrigen ebenso begründen ließe, wenn die eigene Wohnung in Deutschland zeitweise an Dritte vermietet würde.
Wirtschaftliche Bezugspunkte
Relevante wirtschaftliche Beziehungen richten sich laut BMF-Schreiben nach den Einnahmen und dem Vermögen einer Person. Je nach wirtschaftlichen Bezugspunkten zum Heimatstaat (bspw. vermieteter Grundbesitz oder sogar die Beibehaltung der Wohnung), scheitert eine Ansässigkeit im Tätigkeitsstaat.
Hier hilft auch nicht die im Erlass aufgestellte Vermutung, dass bei kurzen Entsendungen (bis zu einem Jahr) die Ansässigkeit in der Regel im Heimatland verbleibt und bei langen Entsendungen (ab fünf Jahren) wechselt. Die meisten Entsendungen sind länger als ein Jahr, aber kürzer als fünf Jahre. In der Mehrheit der Praxisfälle verbleibt es also bei einer aufwendigen und wertenden Einzelfallprüfung, die nicht mehr objektiven Kriterien folgt, sondern dem subjektiven Empfinden des zuständigen Finanzbeamten beim Wohnsitzfinanzamt des Arbeitnehmers.
Es kommt dann unter Umständen zur einem „Exkulpationszwang“, wenn der Steuerpflichtige mit großem Aufwand nachweisen muss, dass die subjektive Einschätzung des Finanzbeamten möglicherweise falsch ist. Ganz abgesehen davon, dass das subjektive Vorstellungsbild des im Ausland lebenden Steuerpflichtigen ohnehin völlig anders sein wird.
Arbeits- und datenschutzrechtliche Folgeprobleme
Es liegt auch auf der Hand, dass sich arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Folgeprobleme ergeben. Vollends lebensfremd erscheint auch die Annahme der Finanzverwaltung, dass die Auslandstätigkeit aufgrund einer Rückehrzusage stets als „vorübergehend“ einzustufen ist und zu einer Ansässigkeit im Heimatland führt. Es verwundert dann auch nicht mehr, dass die Unkenntnis von Sprache, Kultur und Gesellschaft des Tätigkeitsstaats als Kriterium der persönlichen Interessen relevant sein soll. Die Tätigkeit im Ausland soll dieses „Defizit“ ja gerade beseitigen.
Zu Doppelbesteuerungen kann es nun kommen, weil zahlreiche ausländische Tätigkeitsstaaten vor bei der Bestimmung der Ansässigkeit vor allem auf den Aufenthalt der Familie während des Auslandseinsatzes abstellen. Dies entsprach auch der bisherigen Praxis der deutschen Finanzverwaltung. Warum in einer global vernetzen Wirtschafts- und Arbeitswelt der internationale Einsatz von Arbeitnehmern gehemmt wird, ist nicht verständlich. Insbesondere sind durch die Verankerung von Missbrauchsregelungen (vgl. § 50d Abs. 8 und 9 EStG) weiße („nichtbesteuerte“) Einkünfte prinzipiell ausgeschlossen. Umgekehrt nehmen Risiken einer Doppelbesteuerung zu, die am Ende die Arbeitgeber aufgrund von entsprechenden Vereinbarungen tragen müssen.
Rückwirkende Anwendung
Zu einem potentiell steuerstrafrechtlichen Thema kann sich die rückwirkende Anwendung des BMF-Schreibens ggf. entwickeln, weil es auf alle noch nicht bestandskräftigen Fälle anwendbar sein soll. Es ist nicht absehbar, ob die Rückwirkung zur Überprüfung abgeschlossener Veranlagungszeiträume (mit abgeschlossenen Lohnkonten) führen und welche Konsequenzen das haben soll.
Ob und für welche Zeiträume dieser Gefahr nun sinnvoll durch eine Berichtigung nach § 153 AO begegnet werden kann und muss, bleibt offen und kommt auf den Einzelfall an.
Klar ist dagegen, dass z.B. § 10 Abs. 1 BpO eine Anzeigepflicht für Finanzbeamte gegenüber der jeweiligen Bußgeld- und Strafsachenstelle bzw. Steuerfahndungsstelle vorsieht, wenn er zureichende tatsächliche Anhaltpunkte für eine Straftat erkennt. All das zeigt, dass das BMF-Schreiben aus Sicht von Arbeitnehmern und Unternehmen Rechtsunsicherheit und erhebliches Unwohlsein mit sich bringt.
Prüf- und Dokumentationsaufwand
Auch wenn das BMF sich darauf beruft, lediglich eine Aktualisierung bestehender Verwaltungsanweisungen vorgenommen zu haben, ist zumindest zu bedenken, dass das BMF-Schreiben eine wesentliche Verschärfung zur bisherigen Rechtslage mit sich bringen wird. Bisher konnten Finanzämter und Steuerpflichtige Fragen zur Ansässigkeit bilateral diskutieren. Durch das BMF-Schreiben werden die Finanzbeamten gebunden, so dass Arbeitnehmer und Unternehmen ihre Sicht der Dinge ggf. vor Gericht erläutern und klären lassen müssen.
Dabei darf nicht unbeachtet bleiben, dass der Prüf- und Dokumentationssaufwand in den Unternehmen bereits vor einer künftigen Entsendung zunehmen wird, wenn nunmehr − ungeachtet datenschutzrechtlicher Bedenken − sicherheitshalber ausführliche Informationen zum privaten Umfeld des Arbeitnehmers zu erfassen sind.
Verbände laufen Sturm
Dem Vernehmen nach soll das Schreiben einer kritischen Überprüfung unterworfen werden. Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände sind Sturm gelaufen und haben kritisiert, dass das BMF-Schreiben die steuerlichen Regelungen noch komplexer werden lassen, detaillierte Einzelfallprüfungen und Interpretationsdifferenzen sowie Steuerkonflikte mit dem Ausland und eine drohende Doppelbesteuerung fördern würde.
Die Förderung einer offenen und zukunftsfähigen Industrie mit international einsetzbaren Arbeitnehmern sieht anders aus. Es entspricht leider mittlerweile dem „guten“ Ton, dass Gesetze, aber auch Verwaltungsauffassungen durch BMF-Schreiben ohne vorherige Anhörung von betroffenen Wirtschaftsverbänden und damit an der Praxis vorbei „einfach gemacht“ werden. Vertrauen und Rechtsicherheit werden so einfach und ohne Not verspielt.