Auf dem Weg zur weltweiten Anerkennung von Urteilen?
Auf dem Weg zur weltweiten Anerkennung staatlicher Urteile?
Haager Übereinkommen zielt auf einheitlichen Standard
Von Andrea Leufgen und Florian Wagner *)
Gegenwärtig erlebt Deutschland bei privaten Schiedsverfahren auf der einen und staatlichen Gerichtsverfahren auf der anderen Seite einen gegenläufigen Trend. Während staatliche Zivilgerichte seit Jahren sinkende Eingangszahlen beklagen, konnte etwa die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) als größte deutsche Schiedsorganisation die Summe der administrierten Schiedsverfahren im Jahr 2022 gegenüber dem Jahr 2021 um mehr als 20% steigern. Der Gesamtstreitwert aller Schiedsverfahren verdoppelte sich sogar nahezu.
Als Grund für diese Entwicklung wird häufig genannt, dass Schiedsverfahren den Parteien im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren bessere Qualität bei absoluter Vertraulichkeit bieten. Gerade Unternehmen entscheiden sich daher häufig für Schiedsverfahren.
Von praktischer Bedeutung
Im internationalen Geschäftsverkehr ist aber noch ein anderer Faktor von großer praktischer Bedeutung. Entscheidungen eines Schiedsgerichts sind nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 nahezu auf der ganzen Welt unter den gleichen Voraussetzungen vollstreckbar. Wer hingegen einmal versucht hat, ein deutsches Urteil im (Nicht-EU-)Ausland zu vollstrecken, weiß, dass dies für staatliche Urteile nicht gilt. In praktisch jedem Land der Welt sind unterschiedliche Voraussetzungen zu beachten, was insbesondere dann zur Herausforderung wird, wenn mehrere Staaten für eine Vollstreckung in Betracht kommen. Besonders unbefriedigend ist die Situation in Ländern, die aufgrund ihrer föderalen Struktur die Vollstreckungsvoraussetzungen den einzelnen Bundesstaaten beziehungsweise Provinzen überlassen, wie etwa die USA oder Kanada. Teilweise können (deutsche) staatliche Gerichtsurteile sogar praktisch überhaupt nicht vollstreckt werden, beispielsweise in einigen Ländern Asiens und des Nahen Ostens.
Genau hier möchte das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile (HAVÜ) ansetzen. Sein erklärtes Ziel ist es, einen einheitlichen Standard für die Anerkennung von ausländischen Urteilen in allen Vertragsstaaten zu schaffen. Das Übereinkommen stammt bereits aus dem Jahre 2019. Es trat aber erst zum 1. September 2023 in Kraft, nachdem es von der EU (mit Ausnahme Dänemarks) und der Ukraine ratifiziert worden war. Uruguay wird nach Ratifizierung im vergangen Jahr zum 1. Oktober 2024 dazukommen.
Dennoch ist der territoriale Geltungsbereich aktuell noch sehr begrenzt. Zwar haben schon vor längerer Zeit weitere Länder, darunter u.a. die USA, Russland und Israel, das Übereinkommen unterzeichnet. Eine Ratifizierung und damit Inkraftsetzung stand bei diesen Ländern aber bislang kurzfristig nicht an.
Neue Chance
Nun aber hat im Januar 2024 auch das Vereinige Königreich das HAVÜ unterzeichnet und eine baldige Ratifizierung angekündigt. Sollte es dazu kommen, würde dies dem HAVÜ vermutlich enormen Auftrieb geben und dürfte weitere Staaten animieren, es in Kraft zu setzen. Am Ende dieser Entwicklung könnten dann staatliche Urteile ähnlich wie Schiedssprüche auf der ganzen Welt anerkannt und vollstreckt werden.
Völlig grenzenlos werden die Vollstreckungsmöglichkeiten freilich auch dann nicht sein. Zwar dürfen nach dem HAVÜ Gerichtsentscheidungen im Vollstreckungsstaat grundsätzlich – wie Schiedssprüche – nicht mehr inhaltlich überprüft werden, was erheblich zur Rechtssicherheit beiträgt.
Gleichwohl enthält das HAVÜ auch zahlreiche Ausnahmeregelungen, die es zu beachten gilt. So sieht das HAVÜ eine Vielzahl an Bereichen vor, auf die es von vornherein nicht anwendbar ist. Neben eher exotischen Themen wie der Haftung für nukleare Schäden betrifft das auch praktisch wichtige Bereiche wie etwa das geistige Eigentum und viele wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten.
Mindestvoraussetzungen
Außerdem muss die zu vollstreckende Gerichtsentscheidung einige (Mindest-)Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel muss sie durch ein nach internationalen Maßstäben zuständiges Gericht erlassen worden sein. Gerichtsentscheidungen, die den von Unternehmen gefürchteten Strafschadensersatz (punitive damages) zusprechen, kann die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden. Schließlich steht es jeder Vertragspartei frei, binnen einer bestimmten Frist nach Ratifizierung durch einen weiteren Staat der Geltung des Übereinkommens gegenüber diesem Staat zu widersprechen. Ein Schritt, den die EU beispielsweise im Falle einer Ratifizierung durch Russland bereits angekündigt hat.
Wann genau das HAVÜ im Verhältnis zu weiteren Ländern anwendbar sein wird, ist gegenwärtig noch nicht sicher abschätzbar. In jedem Fall aber gilt es, die Entwicklung genau im Auge zu behalten. Das betrifft sowohl Vertragsverhandlungen und die Wahl der richtigen Streitbeilegungsklausel als auch den Fall, dass bereits Streit entstanden ist. Nur wer das HAVÜ im Blick behält, kann verlässlich Vollstreckungschancen (oder -risiken) beurteilen.
*) Dr. Andrea Leufgen ist Partnerin, Dr. Florian Wagner ist Counsel im Frankfurter Büro von Gleiss Lutz.