Bei Ermittlungen des US-Kongresses kann viel auf dem Spiel stehen
Bei Kongress-Verfahren kann viel auf dem Spiel stehen
Untersuchungen in den USA haben mitunter erhebliche Auswirkungen für Unternehmen in Deutschland – Staatsanwaltschaften müssen Verdacht nachgehen
Von Simone Kämpfer, Andrew Dockham, Lea Babucke und Loren Terry *)
Unternehmen, die in den USA tätig sind, sehen sich in den letzten Jahren immer öfter mit besonders öffentlichkeitswirksamen Verfahren und rechtlichen Herausforderungen konfrontiert. Ein Beispiel hierfür sind die häufig spektakulären Untersuchungen des US-Kongresses. Geographisch weit entfernt, können solche Untersuchungen auch in Deutschland erhebliche Auswirkungen für Unternehmen haben. Ein Grund hierfür ist das Legalitätsprinzip der deutschen Strafprozessordnung. Nach diesem Prinzip müssen deutsche Staatsanwaltschaften dem Verdacht von Straftaten nachgehen, wenn sie nach deutschem Recht verfolgbar sind. Das gilt selbst dann, wenn der Verdacht im Ausland entsteht.
Weitreichende Befugnisse
Der US-Kongress verfügt über weitreichende Befugnisse zur Untersuchung sämtlicher Angelegenheiten, die er gesetzlich regeln kann. Formeller Fokus seiner Untersuchungen ist stets, ob die gegenwärtige Gesetzeslage in den USA wirksam (genug) ist oder ob neue Gesetze erlassen werden müssen. In der Praxis sind die Untersuchungen des US-Kongresses jedoch weitaus stärker auf parteipolitische Auseinandersetzungen ausgerichtet. Die generierte mediale Aufmerksamkeit soll gezielt genutzt und auf leitende Kongressmitglieder und ihre eigenen Agenden gelenkt werden.
Diese jeweils ganz eigenen Agenden kann der US-Kongress auf verschiedene Weise durchsetzen. Denn es steht ihm nahezu frei, wie er konkret bei seinen Untersuchungen vorgeht. Verfahrensregeln existieren kaum – genauso wenig wie Beschränkungen. So erlaubt es die US-Verfassung dem US-Kongress etwa, ohne richterlichen Beschluss – beinahe unbeschränkt – Dokumente zu beschlagnahmen und diese im Anschluss ohne Einschränkungen zu veröffentlichen bzw. freizugeben.
Auch der US Supreme Court hat bisher keine engeren Regeln aufgestellt; es gibt dementsprechend keine gesicherte Kontrolle darüber, was, wann und wie der Öffentlichkeit gezeigt wird. Dieser Umstand birgt für Unternehmen die erhebliche Gefahr, dass Unternehmensinterna veröffentlicht werden; gerade auch solche, die mit der Untersuchung tatsächlich in keinerlei Zusammenhang stehen.
Keine engeren Regeln
Ähnlich weitgehende Befugnisse hat der US-Kongress mit Blick auf Zeugenbefragungen. Der US-Kongress führt Untersuchungen – und damit auch jede Anhörung – zwar stets zu einem bestimmten und festgelegten Thema durch; es gibt jedoch keine Regeln, die die Ausschussmitglieder daran hindern, Zeugen über mehrere Sitzungen zu jedem anderen beliebigen Thema zu befragen. Ein Zusammenhang zwischen gestellten Fragen und dem Anhörungsthema muss nicht zwingend vorliegen. Zeugen müssen in Anhörungen vor dem US-Kongress dementsprechend darauf vorbereitet sein, unterschiedlichste Fragen zu beantworten – insbesondere zu Themen, die mit Medieninteresse einhergehen. Schließlich gibt es auch für die befragenden Personen (fast) keine größere politische Bühne, um aus ihrer Sicht brisante Themen öffentlichkeitswirksam anzusprechen, und zwar in einer Art und Weise, wie sie es für richtig halten.
Trotz dieser Ausgangssituation sind Unternehmen und Führungskräfte überwiegend bereit, freiwillig umfassend auszusagen und Unterlagen herauszugeben; Grund hierfür ist häufig eine Mischung aus Kooperationsbereitschaft, öffentlichem Druck und Sorge vor Zwangsmaßnahmen.
Internationale Dimension
In der Theorie betreffen die Untersuchungen des US-Kongresses nur US-Belange. In der Praxis zeigt sich jedoch schon lange ein weitaus internationaleres Bild. Die Fragestellungen beschränken sich selten nur auf US-Themen; immer häufiger erfolgt der Blick auch in andere Jurisdiktionen. Untersuchte Sachverhalte haben dabei Anknüpfungspunkte im Ausland oder spielen sich sogar vollständig im Ausland ab.
In einer jüngst erfolgten Untersuchung ermittelte das US Permanent Subcommittee on Investigations (PSI), ein Unterausschuss des US-Kongresses, wie sanktionierte russische Oligarchen durch den Kauf hochwertiger Kunst in Auktionshäusern und Galerien in New York City Geld gewaschen und westliche Sanktionen umgangen haben. Die langjährige Untersuchung stützte sich auf die Auswertung von Millionen von Dokumenten und zahlreiche stundenlange Befragungen, u.a. auch von ausländischen Führungskräften der Auktionshäuser.
Bankunterlagen beschlagnahmt
Außerdem beschlagnahmte das PSI Bankunterlagen und Überweisungen von sieben weltweit vernetzten Finanzinstituten; hierunter befanden sich auch US-Niederlassungen ausländischer Banken, die dadurch in den Fokus des US-Kongresses und zugleich der Weltöffentlichkeit gerieten. Aus dem abschließenden und umfangreichen Bericht des PSI geht hervor, wie die Gelder über den Transfer durch mehrere Länder und Städte (von Moskau über Estland bis London) gewaschen wurden, bevor sie auf den Konten von Auktionshäusern und Händlern in New York gefunden werden konnten.
Darüber hinaus deckte das PSI auf, dass die erworbenen Kunstwerke von New York nach Frankfurt verschifft und in Köln gelagert wurden – von dort aus gelangten die Kunstwerke schließlich nach Moskau. Der Bericht des PSI fand nicht nur in den USA und im Vereinigten Königreich große Beachtung in der Presse. Auch in Deutschland erschienen diverse Artikel – insbesondere wegen des in Deutschland befindlichen Kunstlagers.
Strafrechtliche Auswirkungen
Derartige Ermittlungen des US-Kongresses stoßen allerdings nicht nur in der deutschen Medienlandschaft auf Interesse. Aufgrund des Legalitätsprinzips können und müssen auch deutsche Strafverfolgungsbehörden aufmerksam werden – mit erheblichen Folgen.
Nach dem Legalitätsprinzip ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, einzuschreiten und ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, sobald sie von einer möglichen Straftat Kenntnis erlangt, also ein Anfangsverdacht vorliegt. Hier reichen Anhaltspunkte für eine Straftat in Form von konkreten Tatsachen. Derartige Tatsachen können sich aus unterschiedlichen Quellen – zum Beispiel Ermittlungen aus dem Ausland – ergeben. Neben offiziellen Berichten des US-Kongresses reicht für die Informationsweitergabe bereits ein Pressebericht aus; diese enthalten bisweilen nicht nur Anhaltpunkte, sondern bereits konkret beweisbare Tatsachen, die auf auch in Deutschland verfolgbare Straftaten hinweisen und von den Staatsanwaltschaften berücksichtigt werden müssen.
Strafanzeige kann jeder stellen
Deutsche Staatsanwaltschaften sind also aufgrund der weitreichenden Untersuchungsbefugnisse des US-Kongresses dazu verpflichtet, Ermittlungsverfahren auf Basis von Informationen einzuleiten, die sie ansonsten wohl nicht erhalten hätten. Zugleich wirkt sich eine weitere Entwicklung aus. Immer öfter verschaffen in Deutschland gestellte Strafanzeigen den Presseberichten über vom US-Kongress untersuchtes angebliches Fehlverhalten zusätzliches Gewicht. Strafanzeigen kann in Deutschland jeder stellen, unabhängig davon, ob er persönlich involviert oder anderweitig betroffen ist. Es müssen keine Tatsachen oder auch nur ein besonderes Interesse an der Ermittlung dargelegt werden.
Risiken verstehen und vorbeugen
Für deutsche Unternehmen kann bei Untersuchungen des US-Kongresses viel auf dem Spiel stehen. Sie müssen allerdings nicht nur darauf vorbereitet sein, sich gegen Behauptungen oder Anschuldigungen zu verteidigen und unternehmensinterne Informationen zu schützen, die in den USA in aufsehenerregende Untersuchungen öffentlich gemacht werden können.
Rechtliche Risiken ergeben sich durch die mediale Aufarbeitung derartiger Untersuchungen auch im Nachgang zu der eigentlichen Untersuchung des US-Kongresses. Die „internationale Strafverfolgung“ ist eine reelle Gefahr – gegebenenfalls sogar neben einer gleichzeitigen Strafverfolgung in den USA. Es droht eine „Doppelbestrafung“. Bei der Vorbereitung auf eine Anhörung vor dem US-Kongress muss dementsprechend ein umfassendes Bewusstsein für alle potenziellen rechtlichen Konsequenzen geschaffen werden – auch die einer strafrechtlichen Haftung in Deutschland. In der heutigen globalen Geschäftswelt reicht es nicht mehr aus, die Verteidigung eines Unternehmens auf ein Land oder einen Staat zu beschränken. „Bad news travels fast“ gilt ohne Rücksicht auf nationale Grenzen.