GastbeitragInvestitionskontrolle

Bewegung im Investitionsprüfungsrecht

Im Investitionsprüfungsrecht ist viel Bewegung. Eine wesentliche Entschärfung der Investitionsprüfregime sollten Unternehmen dadurch nicht erwarten.

Bewegung im Investitionsprüfungsrecht

Bewegung im Investitionsprüfungsrecht

Worauf sich ausländische Investoren und Unternehmen einstellen sollten – EuGH-Urteil im Fall Xella setzt neuen Rahmen

Von Maria Brakalova und
Moritz Hellmann*)

Das deutsche und europäische Investitionsprüfungsrecht – also das Recht, das die Überprüfung ausländischer Investitionen im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit regelt – war ab 2017 zahlreichen Änderungen unterworfen, vor allem Verschärfungen und Erweiterungen. Seit Ende 2021 hatte sich die Rechtsentwicklung etwas entschleunigt. In diese (für interessierte Beobachter nahezu trügerisch anmutende) Stille platzten am 13. Juli zwei wichtige Nachrichten. Zum einen entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C‑106/22 „Xella“ erstmals über die Verordnung (EU) 2019/452 (EU-Screening-VO) und legte deren Anwendungsbereich für viele überraschend enger aus. Zum anderen kündigte die Bundesregierung in ihrer China-Strategie offiziell an, das Investitionsprüfungsrecht zu novellieren und in einem eigenen Gesetz zu konsolidieren. Zu den geplanten Änderungen sind inzwischen einige Details bekannt geworden.

EU-Screening-Verordnung

Zunächst aber zum Urteil des EuGH. Der Fall mutet auf den ersten Blick wenig spektakulär an: die ungarische Gesellschaft Xella Magyarország ist auf dem ungarischen Baustoffmarkt tätig und will Janes és Társa, eine andere ungarische Gesellschaft, die Kies, Sand und Ton in einem Steinbruch in Ungarn abbaut, erwerben. Der Marktanteil von Janes és Társa auf den betroffenen Märkten in Ungarn beträgt 0,52% und Xella Magyarország kauft bereits etwa 90% der Jahresproduktion von Janes és Társa. Der ungarische Minister für Innovation und Technologie untersagt den Erwerb jedoch nach ungarischem Investitionsprüfungsrecht. Sollte Janes és Társa indirekt Eigentum einer außereuropäischen Gesellschaft werden, stelle dies ein langfristiges Risiko für die Sicherheit der Rohstoffversorgung im Bausektor dar. Xella Magyarország gehört nämlich nicht nur unmittelbar zu 100% einer deutschen Gesellschaft sowie mittelbar einer luxemburgischen und letztlich einem irischen Staatsangehörigen. Vielmehr ist eine auf Bermuda registrierte Gesellschaft ist Teil der Eigentümerkette.

Die Entscheidung des EuGH auf die Vorlagefrage des ungarischen Gerichts, wonach die Begründung des Ministers für die unionsrechtlichen Anforderungen an eine Untersagung nicht ausreichend war, überraschte kaum. Interessant war aber, was das Gericht zur EU-Screening-Verordnung befand: diese finde grundsätzlich nur Anwendung, wenn der unmittelbare Erwerber ein Unionsfremder ist, also seinen Sitz oder Ort der Leitung nicht in der EU oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) hat. Außer bei Anzeichen für eine Umgehung könne ein Erwerb unmittelbar durch eine unionsansässige Gesellschaft, selbst wenn diese zu 100% im Eigentum eines Unionsfremden steht, nur anhand europäischen Primärrechts geprüft werden.

Das ist brisant, weil Beschränkungen der Grundfreiheiten vom EuGH traditionell streng geprüft werden, die EU-Screening-Verordnung den Mitgliedstaaten bei ihren Investitionsprüfungsmechanismen aber zumindest ihrem Wortlaut nach einen größeren Spielraum gewährt. Zwar wurde in der Wissenschaft bereits vor dem Urteil teils bezweifelt, dass ein Sekundärrechtsakt wie die EU-Screening-Verordnung den materiellen Prüfungsmaßstab des höherrangigen Primärrechts lockern könne. Jedoch richten zahlreiche europäische Regierungen ihre Investitionsprüfungsregime an dem weniger strengen Maßstab der EU-Screening-VO aus.

Auch die damaligen Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD stützten sich 2020 bei der Lockerung des Prüfungsmaßstabs in der sog. sektorübergreifenden Investitionsprüfung, die alle Wirtschaftsbereiche außer die Verteidigungsindustrie betrifft, explizit auf die EU-Screening-VO. Der Prüfungsmaßstab wurde damals von einer „tatsächlichen Gefährdung“ auf eine „voraussichtliche Beeinträchtigung“ der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gesenkt.

Gleichzeitig ging das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als für die Investitionsprüfung in Deutschland zuständige Behörde stets davon aus, dass auch unmittelbar durch Unionsansässige getätigte Erwerbe deutscher Unternehmen von der sektorübergreifenden Prüfung erfasst seien, solange mittelbar auch Unionsfremde in der Eigentümerstruktur in einem bestimmten Umfang beteiligt sind.

Erhebliche Zweifel

Nun bestehen erhebliche Zweifel, ob das deutsche Investitionsprüfungsrecht unionsrechtskonform ist, zumindest soweit es bloß mittelbar durch Unionsfremde getätigte Erwerbe betrifft. Also ab jetzt „freie Fahrt“ für unionsfremde Investoren, wenn sie über Tochtergesellschaften in der EU erwerben?

Wohl nicht. Denn eine Transaktion mit einer ausländischen Investition trotz Meldepflicht nicht zu melden hätte drastische Konsequenzen für die Beteiligten. So sind alle Rechtsgeschäfte, die dem Vollzug eines meldepflichtigen Erwerbs dienen, schwebend unwirksam, bis der Erwerb freigegeben ist oder als freigegeben gilt. Bis dahin ist auch verboten, Stimmrechte an der Zielgesellschaft auszuüben oder dem Erwerber bestimmte unternehmensbezogene Informationen offenzulegen, wobei Verstöße als Ordnungswidrigkeit und sogar als Straftat mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden können. Investoren ist bis zur Klärung der Rechtslage also dringend zu raten, Investitionen wie bisher zumindest vorsichtshalber dem BMWK zu melden.

Sollten diese Fragen jemals gerichtlich geklärt werden, wäre das Ergebnis dann vermutlich vor allem rechtshistorisch von Interesse: Die Entwicklung des Investitionsprüfungsrechts auf deutscher und europäischer Ebene dürfte in der Zwischenzeit weit vorangeschritten sein.

Wie erwähnt hatte die Bundesregierung schon vor dem Xella-Urteil geplant, das deutsche Investitionsprüfungsrecht zu novellieren.

Absolutes Novum

Die nächste Novelle könnte noch viel weitere Kreise ziehen als bisher: so sollen nach einem Medienbericht zukünftig auch bestimmte IP-Lizenzierungen sowie Greenfield Investments in Deutschland von der Investitionskontrolle umfasst werden, was ein absolutes Novum wäre. Auch sollen neue kritische Bereiche in die Investitionsprüfung aufgenommen werden. Die reguläre 25-%-Stimmrechtsschwelle soll eingeschränkt werden, wenn bei den Hauptversammlungen eines Unternehmens stets wenig Aktionäre anwesend sind und die Stimme des ausländischen Aktionärs dadurch mehr Gewicht bekommt. Andererseits soll die Prüffrist des BMWK auf 45 Kalendertage verkürzt werden. Letzteres zeigt, dass das BMWK bei der Novelle sicherlich auch die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort im Blick haben wird.

Die Investitionsprüfung hat im heutigen geopolitischen und -ökonomischen Umfeld weltweit einen festen Platz erlangt; nur wenige stellen ihre Daseinsberechtigung grundsätzlich in Frage. Raum für Optimierung gibt es allerdings reichlich: Die Kernvorschriften der deutschen Investitionsprüfung, die §§ 55 ff. Außenwirtschaftsverordnung (AWV), sind ein Palimpsest teils kaum mehr verständlicher Vorschriften. Im Zuge einer Novellierung wäre insbesondere eine klarere Herausarbeitung wünschenswert, welche Arten von Einfluss- und Informationsmöglichkeiten ausländischer Investoren auf deutsche Unternehmen für Deutschland gefährlich sein können.

Beitrag zur Konsolidierung

Einen Beitrag zur Konsolidierung könnte auch das EU-Investitionsprüfungsrecht leisten. Hier lief im Sommer eine Stakeholder-Konsultation der Kommission, um bis Ende 2023 einen Bericht zu Evaluation und möglicher Revision der EU-Screening-VO zu veröffentlichen. Das Xella-Urteil wird hierbei sicher eine wichtige Rolle spielen.

Wie der Kommissionsvorschlag zur Zukunft der EU-Screening-VO aussehen wird, ist allerdings schwer vorherzusagen. Zwischen ungeklärten Fragen der Grundfreiheiten und der Unionskompetenzen sowie dem Autonomiebedürfnis der Mitgliedstaaten herrscht eine rechtlich-politische Gemengelage.

Im Investitionsprüfungsrecht ist also wieder viel Bewegung. Eine wesentliche Entschärfung der Investitionsprüfregime sollten Unternehmen dadurch nicht erwarten, sondern eher mit zusätzlichen Erweiterungen und Verschärfungen rechnen. Zu hoffen ist aber auch, dass die in den letzten Jahren gewonnen Erfahrungen in eine klarere und schnellere Differenzierung zwischen kritischen und unkritischen Transaktionen umgesetzt wird. Ob sich das bewahrheitet, wird sich voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres zeigen.

*) Dr. Maria Brakalova ist Partnerin, Moritz Hellmann Associate bei Dentons.

Dr. Maria Brakalova ist Partnerin, Moritz Hellmann Associate bei Dentons.