GastbeitragAbfindungsvereinbarungen

BGH sichert Gleichbehandlung aller Aktionäre bei Unternehmensübernahmen

Der Hedgefonds Elliott hat sich bei der Stada-Übernahme mehr Geld gesichert als andere Aktionäre erhalten haben. Dem hat der Bundesgerichtshof nun eine Absage erteilt.

BGH sichert Gleichbehandlung aller Aktionäre bei Unternehmensübernahmen

BGH sichert Gleichbehandlung bei Firmenübernahmen

Die Stada/Elliott-Entscheidung erteilt Abfindungsvereinbarungen mit einzelnen Paketaktionären eine Absage

Von Alexander Kiefner und Lutz Krämer*)

Bei der Stada-Übernahme hatten die Bieter Bain und Cinven mit dem Hedgefonds Elliott nach Erreichen der – zuvor reduzierten – Annahmeschwelle von 63% innerhalb der gesetzlichen weiteren Annahmefrist eine Vereinbarung in Form eines „Irrevocable Commitment“ geschlossen. In diesem verpflichtete sich Elliott, in der Stada-Hauptversammlung einem Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag („BGAV“) zuzustimmen, sofern die Abfindung für außenstehende Aktionäre auf mindestens 74,40 Euro je Aktie festgelegt wird. Die Aktionäre, die das freiwillige öffentliche Übernahmeangebot angenommen hatten, hatten als Gegenleistung lediglich 66,25 Euro erhalten.

Elliott konnte sich also für ihr Stada-Aktienpaket zumindest die Differenz zum Angebotspreis in Höhe von 8,15 Euro je Aktie als künftigen Zusatzerlös sichern, ohne zum Tendern der Aktien des Übernahmeangebots verpflichtet zu sein. Elliott übertrug schließlich die Aktien erst im Rahmen des Delisting-Erwerbsangebots an die Stada-Aktionäre zum nochmals erhöhten Preis von 81,73 Euro je Aktie.

Die Grundlagen

Nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) muss ein Bieter, der innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Annahmefrist Aktien außerhalb der Börse zu einem höheren Preis erwirbt, den Aktionären, die das Übernahmeangebot angenommen haben, den Unterschiedsbetrag nachzahlen. Das Gleiche gilt für in diesem Zeitraum abgeschlossene Vereinbarungen, auf Grundlage derer die Übereignung von Aktien „verlangt werden kann“. Von der Nachzahlungspflicht ausgenommen sind Erwerbe „im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung“, wozu auch die Abfindung bei Abschluss eines BGAV zählt.

Vergegenwärtigt man sich die Ratio des WpÜG, nämlich die Gleichbehandlung aller Aktionäre (jedenfalls einer Aktiengattung) sicherzustellen, überrascht die Zuversicht, mit der die Bieter den für sie so wichtigen BGAV und die hierfür notwendige 75-%-Mehrheit in der Hauptversammlung durch Bevorzugung eines aktivistischen Aktionärs zu erreichen glaubten, ohne einem Nachzahlungsanspruch zugunsten derjenigen Aktionäre, die das Angebot angenommen hatten, ausgesetzt zu sein.

Kein Anspruch auf Lieferung

Der innovative Ansatz des Irrevocable Commitments bestand darin, dass die Bieter die weiteren Aktien nicht unmittelbar erwarben und auch keinen eigenen Anspruch auf Lieferung des Elliott-Aktienpaketes erhielten, sondern die erhaltene Gegenleistung zunächst nur in der Zustimmung zum – richtiger: der unterbleibenden Obstruktion des – beabsichtigten Hauptversammlungsbeschlusses zum BGAV bestand. Da nach dem Wortlaut des Gesetzes einem durchgeführten Nacherwerb nur solche Vereinbarungen gleichgestellt seien, aufgrund derer die Übereignung von Aktien „verlangt werden kann“, werde die Nachzahlungspflicht – so die Argumentation der Bieter – nicht ausgelöst. Zudem beziehe sich die Vereinbarung auf einen Erwerb, der „im Zusammenhang mit einer Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung“ stehe, und sei auch deshalb von der Nachzahlungspflicht ausgenommen.

„Nicht schützenswerte Arbitragemöglichkeiten”

Beiden Argumenten hat der Bundesgerichtshof (BGH) – anders als noch das Oberlandesgericht Frankfurt als Vorinstanz – mit zwei kürzlich veröffentlichten Entscheidungen eine Absage erteilt. Mit ausführlicher Begründung und unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien und den Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen legt der BGH dar, dass es unerheblich ist, wie der Nacherwerb des Bieters zustande kommt, und dass die Ausnahmeregelung für gesetzliche Abfindungen eine Vorfeldabrede zum BGAV wie das Irrevocable Commitment nicht erfasst. Entscheidend sei die „bei objektiver Betrachtungsweise bestehende Dispositionsentscheidung der Bieter“, die Elliott-Aktien zu einem deutlich höheren Preis als dem allen anderen Aktionären im Übernahmeangebot unterbreiteten Angebotspreis zu erwerben. Hierdurch seien Elliott „nicht schützenswerte Arbitragemöglichkeiten eröffnet worden“.

Die Richtigkeit dieser Überlegung wird durch den zeitlichen Ablauf unterstrichen: Während die weitere Annahmefrist für alle Aktionäre bereits am 1. September 2017 endete, veröffentlichte die Gesellschaft erst am 3. September 2017 die zwischen den Bietern und Elliott geschlossene Vereinbarung per Ad-hoc-Mitteilung. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte ein mit den Grundprinzipien des WpÜG vertrauter Aktionär die Wahrscheinlichkeit einer höheren Gegenleistung für Elliott – in einem überschaubaren Zeitraum – vermuten.

Konsequenzen der Entscheidung

Das neue BGH-Urteil liegt auf der Linie einiger anderer jüngerer Leitentscheidungen (McKesson/Celesio; Deutsche Bank/Postbank), die bezogen auf das Vorfeld einer Übernahme bei der Gleichbehandlung der Aktionäre eine wirtschaftliche Betrachtung in den Mittelpunkt zu stellen. Nunmehr schränkt der BGH bezogen auf das Nachfeld einer Übernahme Individualvereinbarungen ein, die bestimmte Großaktionäre mit Blick auf einen künftigen BGAV, ein Delisting oder einen Squeeze-out bevorzugen.

Für Aktivisten wie Elliott ist die Entscheidung nachteilig, weil sie die Nutzung von Individualvereinbarungen und damit ihre Verhandlungsmacht eingeschränkt. Für Bieter, die auf einen BGAV zwecks Konzernintegration oder Zugriff auf die Liquidität des Zielunternehmens angewiesen sind, ist das Urteil mindestens zweischneidig: Es nimmt aktivistischen Aktionären zwar ein gewisses Druckpotenzial für deutlich höhere Abfindungen/Gegenleistungen; andererseits wird die Wahrscheinlichkeit eines schnellen Zustandekommens eines BGAV erschwert. Vereinbarungen, mit denen die 75-prozentige Zustimmung in der Hauptversammlung „erkauft“ wird, dürften unmöglich werden.

Für Zielgesellschaften ambivalent

Für Zielgesellschaften ist die Auswirkung der Entscheidung ebenfalls ambivalent. Insbesondere dürfte eine durch die Gleichbehandlung aller außenstehenden Aktionäre gegebenenfalls erhöhte Gegenleistung den Druck auf die Zielgesellschaft, den Übernahmepreis „zu verdienen”, tendenziell erhöhen.

Aus Sicht der außenstehenden Aktionäre ist die Linie des BGH rundheraus zu begrüßen: Ungeachtet ihres in Übernahmesituationen spürbaren Informations- und Zeitnachteils wird gewährleistet, dass sie weitestgehend gleichbehandelt werden.

Informationsnachteil

Auch wenn es sich inzwischen herumgesprochen hat, dass aufgrund der bisherigen Praxis zur Ermittlung von Abfindungen bei BGAVs und Squeeze-outs der Angebotspreis im Übernahmeverfahren selten der beste Preis vor einem Taking Private ist, können sie jetzt bei ihrer Entscheidung zur Annahme des Angebots darauf vertrauen, dass nicht bereits ohne ihr Wissen die Weichen für eine baldige Strukturmaßnahme mit höherer Abfindungszahlung gestellt wurden. Dass im Stada-Fall der Abschluss des Irrevocable Commitments erst unmittelbar nach Ablauf der weiteren Annahmefrist bekannt gemacht wurde, zeigt, dass die Privatanleger, die das Übernahmeangebot angenommen hatten, einen durch das WpÜG nicht gewollten Informationsnachteil erlitten haben.

Internationale Angleichung

Überaus praxisrelevant ist der Beginn der Verjährungsfrist für den Nachzahlungsanspruch, die nach der BGH-Rechtsprechung drei Jahre beträgt. Für den Beginn kommt es – der Bieter soll nicht noch nach Jahrzehnten Ansprüchen auf eine erhöhte Gegenleistung nebst Zinsforderungen ausgesetzt sein – auf die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände an. Danach ist nicht erst die BGH-Entscheidung, welche erstmals einen Anspruch bejaht, sondern bereits die Kenntnis aller Umstände, aus denen sich – nunmehr im Lichte der neuen Rechtsprechung – der Anspruch ableitet, maßgeblich. Im Regelfall wird man hier an die Mitteilung an den Kapitalmarkt anknüpfen können, mit welcher das Publikum über die anspruchsauslösende Vereinbarung informiert wird, sofern die Mitteilung den Sachverhalt ausreichend transparent macht.

Der BGH hat durch den fortgesetzten Abbau von nicht schützenswerten Arbitragemöglichkeiten von Großaktionären das deutsche Übernahmerecht von einigen Besonderheiten der Preisbildung bei BGAV und Squeeze-out entkoppelt und dadurch an internationale Preis- und Übernahmeregeln angeglichen. Auch wenn der internationale Markt für Unternehmensübernahmen ein erzkapitalistischer ist: Der Sozialismus hat im Übernahmerecht im Interesse der Aktionäre seine Berechtigung!

*) Dr. Alexander Kiefner ist Partner und Dr. Lutz Krämer Retired Partner of Counsel der Kanzlei White & Case in Frankfurt.

Dr. Alexander Kiefner

Partner der Kanzlei White & Case in Frankfurt

Dr. Lutz Krämer

Retired Partner of Counsel bei White & Case

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