Broker als Gamestopper
Von Lars Schmidt*)
Um die Aktie des Videospieleanbieters Gamestop und andere Werte wie AMC und Blackberry entwickelte sich in den vergangenen Tagen ein regelrechter Schlagabtausch. Hedgefonds setzten mit Leerverkäufen auf fallende Kurse, über Social Media organisierte Privatanleger hielten dagegen. Aufgrund der dadurch ausgelösten hohen Volatilität im Markt beschränkten einige Broker, wie das amerikanische Unternehmen Robinhood und der deutsche Neo-Broker Trade Republic, den Handel mit den Aktien. Die zunächst teils dramatisch gestiegenen Kurse gaben wieder nach. Liegt hier ein Marktmissbrauch vor?
Die gewachsene Bedeutung der (Neo-)Broker für den Kapitalmarkt wurde in dieser Situation plötzlich deutlich. Als Begründung für die Handelseinschränkungen führte Trade Republic zunächst den Schutz der Kunden vor Risiken durch die heftigen koordinierten Kursspekulationen an. Später berief man sich darauf, die Stabilität des Handels zu schützen. Die noch andauernde Bewertung der Geschehnisse ist emotional und ideologisch geprägt. Teilweise ist es kleinen Privatanlegern wohl gelungen, mächtige Hedgefonds in die Knie zu zwingen. Zugleich gerieten Aktienkurse etablierter Konzerne wie Nokia in heftige Turbulenzen. Jetzt gilt es, das Handeln der Broker rechtlich einzuordnen und regulatorische Schlüsse daraus zu ziehen.
Durch das Aussetzen der Kaufaufträge haben die Broker erheblich in die Kursentwicklung eingegriffen und ihre Kunden, deren Interessen sie in erster Linie verpflichtet sind, womöglich um Gewinnchancen gebracht. Dabei sind sie vertraglich zur Durchführung der gewünschten Order verpflichtet, auch in volatilen Marktphasen. Ob sie dennoch zur Aussetzung des Handels befugt waren, hängt von der vertraglichen Vereinbarung mit den Kunden ab. Hier wird sich die Frage stellen, ob eine entsprechende Befugnis in den allgemeinen Geschäftsbedingungen dem strengen deutschen Verbraucherschutzrecht standhält. Dafür könnte sprechen, dass die nach dem Wertpapierhandelsgesetz regulierten Broker zur Vermeidung von Interessenskonflikten verpflichtet sind. Dazu gehört auch eine Gleichbehandlung der Kunden, die bei fehlenden Kapazitäten im Markt nicht mehr gewährleistet sein könnte.
Sollten die Broker allerdings von fremden Interessen – etwa denen der unter Druck geratenen Hedgefonds – geleitet worden sein, würden sie für die Nichtausführung der Kaufaufträge haften. In diesem Fall käme auch eine Sanktionierung der Broker wegen handelsgestützter Marktmanipulation in Betracht.
Das Vorgehen der Broker könnte ungeachtet dessen dadurch gerechtfertigt sein, dass ihre technischen Systeme ob der Menge an Handelsaufträgen zusammengebrochen sind oder sie die Aufstockung der Liquiditätsreserven bei den Clearingstellen nicht leisten konnten. Das Clearinghaus NSCC in den USA soll zum Beispiel vom Broker Robinhood zu Beginn des starken Kursanstiegs eine Aufstockung der Reserve um 3 Mrd. Dollar gefordert haben – später wurde sie auf 700 Mill. Dollar reduziert.
Den Clearingstellen steht – auch in Deutschland – ein großer Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Liquiditätsreserve zur Verfügung, was zu Intransparenz führt. Auch hier könnte eine Regulierung ansetzen, um den Prozess für die Broker kalkulierbarer zu machen. Zudem sollte es den Brokern bei derartigen Nachforderungen aufgrund vertraglicher Regelungen mit ihren Kunden möglich sein, die Ausführung der Handelsaufträge auszusetzen. Andernfalls steht zu befürchten, dass sich die Broker über andere Marktteilnehmer – Banken oder Hedgefonds – finanzieren, was Interessenskonflikte verursachen kann. Das gilt es zu vermeiden, da die Unabhängigkeit der Broker bei ihrer gestiegenen Bedeutung für den Markt immer wichtiger wird.
Börsen in der Pflicht
Gleichwohl sollten Broker gar nicht in die Situation geraten, den Handel in einzelnen Wertpapieren aussetzen zu müssen. Diese Rolle ist den Handelsplätzen vorbehalten. Sie sind dafür zuständig, im Fall einer hohen Volatilität den Handel in einzelnen Aktien für alle Marktteilnehmer zu unterbrechen.
Angesichts der immer populärer werdenden Neo-Broker und der über Social Media organisierten Einzelanleger kann es erforderlich sein, die Befugnisse der Börsenbetreiber zu erweitern, um eine schnellere Reaktion auf Marktverwerfungen zu ermöglichen.
Durch die Online-Broker werden auch jüngere Anleger für die Investition in Aktien gewonnen. Dieser Trend wird nur dann anhalten, wenn sie in die Marktteilnehmer vertrauen können. Davon profitieren am Ende vor allem die Unternehmen, die sich am Kapitalmarkt finanzieren. Als Konsequenz aus den Gamestop-Erfahrungen müssen die Befugnisse der Broker, der Handelsplätze und der Clearingstellen überdacht und durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen angepasst werden. Damit nimmt man den Brokern die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Marktes, hinter der sie sich dann auch nicht mehr verstecken können.
*) Lars Schmidt ist Partner der Kanzlei Rittershaus Rechtsanwälte in Frankfurt am Main.