GastbeitragCorporate Governance

Buntes Bild der virtuellen Hauptversammlung

Die neuen gesetzlichen Vorgaben für die virtuelle Hauptversammlung werden in der ersten Saison noch recht unterschiedlich genutzt. Aber nur einzelne Dax-Unternehmen lassen Fragen der Aktionäre wie in Pandemiezeiten noch vorab einreichen.

Buntes Bild der virtuellen Hauptversammlung

Buntes Bild der virtuellen Hauptversammlung

Dax-Unternehmen nutzen neue gesetzliche Möglichkeiten sehr unterschiedlich – Nur zwei Konzerne lassen Fragen vorab einreichen

Andreas Merkner und Friedrich Schulenburg *)

Im Zusammenhang mit dem Auslaufen der Sonderregelungen für Hauptversammlungen unter dem Covid-Maßnahmengesetz zum 31. August 2022 hat der Gesetzgeber eine dauerhafte gesetzliche Grundlage für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen im Aktiengesetz implementiert. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens, aber auch nach Inkrafttreten der neuen Regelungen zum 27. Juli 2022 wurden dabei sowohl das virtuelle Format generell als auch viele praktische Umsetzungsfragen intensiv diskutiert.

In der Hauptversammlungssaison 2023 standen Aktiengesellschaften daher zunächst vor der (Grundsatz-)Entscheidung, ob sie eine virtuelle Hauptversammlung nach dem neuen aktienrechtlichen Regime durchführen oder ob sie das (bekannte) Format der Präsenz-Hauptversammlung wählen. Für Emittenten, die sich für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung entschieden, stellte sich zudem eine Vielzahl an Detailfragen im Hinblick auf die praktische Durchführung der Hauptversammlung auf Basis des neuen Regimes.

Ein Viertel sucht Präsenz

Nachdem seit Mitte Mai nun die Hauptversammlungseinladungen sämtlicher Dax-Unternehmen vorliegen, ist eine erste empirische Untersuchung möglich, wobei im Folgenden stets nur die 38 der im DAX-40 notierten Gesellschaften betrachtet werden, die ihren Satzungssitz in Deutschland haben und damit dem deutschen Aktien-recht unterliegen; insofern bleiben die Airbus SE und die Qiagen N.V. außer Betracht.

Für das Format der Präsenzhauptversammlung haben sich Adidas, BASF, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Heidelberg Materials, Henkel , Dr. Ing. h.c. F. Porsche, SAP, Symrise und Volkswagen entschieden – und damit rund ein Viertel der Dax-Unternehmen.

Nahezu alle Dax-Unternehmen haben der Hauptversammlung aber einen Beschlussvorschlag für eine Satzungsermächtigung zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen unterbreitet. Die einzigen Ausnahmen bilden Dr. Ing. h.c. F. Porsche und Symrise die bereits über eine entsprechende Ermächtigung verfügten.

Die gesetzliche Maximallaufzeit der Satzungsermächtigung von fünf Jahren wurde von institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern teilweise (sehr) kritisch gesehen; vielfach wurde insoweit eine Beschränkung der Ermächtigung auf höchstens zwei Jahre gefordert. Die ganz überwiegende Zahl der Gesellschaften (32) hat auf diese Kritik reagiert und die Satzungsermächtigung auf zwei Jahre bzw. drei Jahre (so Continental) befristet, während lediglich vier Gesellschaften den vollen Ermächtigungsrahmen von fünf Jahren ausgeschöpft haben.

Anpassungsbedarf in der Satzung haben die Gesellschaften nahezu einheitlich auch bei der Anwesenheitspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats gesehen. Denn diese bietet im Hinblick auf die intendierte Interaktion mit den Aktionären schon bei der Präsenzversammlung nur bedingten Mehrwert, der gänzlich in Frage steht, wenn bei der virtuellen Hauptversammlung die Aktionäre (auch) nicht vor Ort anwesend sind.

Aufsichtsräte im Bild

Zwar ergibt sich aus dem Gesetz nicht eindeutig, ob die virtuelle Hauptversammlung per se ein bestimmter Fall ist, für den die Satzung die Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern im Wege der Bild- und Tonübertragung vorsehen kann, oder ob darüber hinaus noch besondere Gründe in der Person des Aufsichtsratsmitglieds vorliegen müssen. Die Gesellschaften sind allerdings ganz überwiegend davon ausgegangen, dass eine allgemeine Befreiung der Aufsichtsratsmitglieder für den Fall der virtuellen Hauptversammlung zulässig ist, und haben der Hauptversammlung daher eine entsprechende Anpassung der Satzung vorgeschlagen. Lediglich fünf Unternehmen haben es bei der grundsätzlichen Anwesenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder auch für den Fall der virtuellen Hauptversammlung belassen.

Nach § 131 Absatz 2 Satz 2 Aktiengesetz (AktG) kann die Satzung den Versammlungsleiter ermächtigen, das Fragerecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, wobei dies nach § 131 Absatz 1d Satz 2 AktG auch für das Nachfragerecht gilt. Teilweise wurde angeregt, in bereits bestehenden Satzungsermächtigungen eine Klarstellung der Beschränkungsmöglichkeit im Hinblick auf Nachfragen aufzunehmen. Die Praxis hat hierfür jedoch überwiegend offenbar kein Bedürfnis gesehen, sodass nur fünf Gesellschaften eine entsprechende Klarstellung in der Satzung vorgesehen haben.

Die Abhaltung der virtuellen Hauptversammlungen unter dem Covic-Regime hat dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Unternehmen dazu übergegangen ist, die Hauptversammlung vollständig und unbeschränkt im Internet zu übertragen. Ein Viertel der 28 Dax-Unternehmen, die sich in dieser Saison für eine virtuelle Hauptversammlung entschieden haben, hat diese Praxis auch unter dem neuen Regime beibehalten.

Möglichkeit für Mittelweg

Zu beachten ist, dass Namensaktien hier die Möglichkeit haben, einen Mittelweg zu gehen. Hat eine Gesellschaft Inhaberaktien ausgegeben, so kann sie lediglich zwischen den Optionen wählen, die Hauptversammlung für die gesamte Öffentlichkeit oder nur für die angemeldeten Aktionäre zu übertragen. Demgegenüber können Gesellschaften mit Namensaktien die Hauptversammlung auch für sämtliche Aktionäre übertragen, die im Aktienregister eingetragen sind, ohne dass diese sich zwingend angemeldet haben müssen. Die Anmeldung ist dann regelmäßig nur Voraussetzung für die Ausübung weiterer Aktionärsrechte, nicht aber für die schlichte Verfolgung der Hauptversammlung.

Bei der virtuellen Hauptversammlung unter dem Covid-Regime, das kein Live-Rederecht der Aktionäre in der Versammlung vorsah, hatte es sich im Sinne einer best practice etabliert, auf freiwilliger Basis auch Stellungnahmen und insbesondere Videobotschaften von Aktionären zuzulassen. Nachdem diese Handhabung nun in § 130a Absatz 1 AktG festgeschrieben wurde, hat sich mit 20 Unternehmen die Mehrzahl der Gesellschaften dafür entschieden, keine Stellungnahmen im Videoformat, sondern lediglich in Textform zuzulassen. Das ist konsequent, denn das Instrument der Videobotschaft ist aufgrund des nunmehr zwingenden Live-Rederechts im Wege der Videokommunikation im Grunde überholt.

Wie nicht anders zu erwarten, haben die Unternehmen ganz überwiegend keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, dass der Vorstand vorgeben kann, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind. Denn indem die Antworten auf solche Fragen zwingend vor der Hauptversammlung im Internet zu veröffentlichen sind und auch auf der Hauptversammlung ein normales Back Office zur Beantwortung von (Nach-)Fragen vorgehalten werden muss, ergeben sich für die Gesellschaften durch diese Option so gut wie keine Vorteile. Lediglich Deutsche Bank und Eon haben eine entsprechende Vorabeinreichung vorgegeben.

Sartorius setzt sich ab

Erwähnenswert ist zudem die Vorgehensweise von Sartorius, die ihren Aktionären auf freiwilliger Basis eine zusätzliche Fragemöglichkeit im Vorfeld der Hauptversammlung eingeräumt hat, wobei die Beantwortung der elektronisch eingereichten Fragen ausschließlich in der Hauptversammlung erfolgt.
Im Hinblick auf das Auskunftsrecht ist noch auf den Spezialfall des § 131 Absatz 4 Satz 1 AktG hinzuweisen. Hiernach kann ein Aktionär in der Hauptversammlung eine Auskunft verlangen, die einem (anderen) Aktionär wegen seiner Eigenschaft als Aktionär außerhalb der Hauptversammlung gegeben worden ist.

Unter dem neuen Regime hat sich diesbezüglich eine Diskussion entsponnen, ob auch für dieses besondere Auskunftsrecht die Möglichkeit besteht, dass der Versammlungsleiter die Ausübung auf den Weg der Videokommunikation beschränkt. Aufgrund des vom Gesetzgeber intendierten Gleichlaufs von Präsenz-Hauptversammlung und virtueller Hauptversammlung ist dies richtigerweise zu bejahen (vgl. insofern auch den entsprechenden Hinweis in der HV-Einladung der Allianz).

Gleichwohl haben einzelne Unternehmen aus Vorsichtsgründen darauf hingewiesen, dass Aktionäre – auch bei ansonsten zwingender Videokommunikation – ihr (Auskunfts-)Verlangen nach § 131 Absatz 4 Satz 1 AktG auch im Wege sonstiger elektronischer Kommunikation übermitteln können.

Dr. Andreas Merkner und Dr. Friedrich Schulenburg sind Partner der Kanzlei Glade Michel Wirtz in Düsseldorf.

Dr. Andreas Merkner und Dr. Friedrich Schulenburg sind Partner der Kanzlei Glade Michel Wirtz in Düsseldorf.
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