GastbeitragEnergiepreisbremse

Das Bundeskartellamt als Allzweckwaffe

Die Gesetze zur Energiepreisbremse können zu Gestaltungsspielräumen der beteiligten Unternehmen führen. Das Bundeskartellamt soll Missbrauch verhindern. Die Rechtsuntersicht ist groß.

Das Bundeskartellamt als Allzweckwaffe

Das Bundeskartellamt als Allzweckwaffe

Einsatz für die Energiepreisbremse – Wettbewerbshüter prüfen Preisgestaltung – Bei Missbrauch drohen Bußgelder – Hohe Rechtsunsicherheit

Von Jan Joachim Dreyer*)

Im Rahmen des Angriffskriegs gegen die Ukraine kam es zu starken Energiepreissteigerungen. Der Gesetzgeber hat deshalb zur Entlastung der Energieverbraucher sogenannte Energiepreisbremsen eingeführt. Dazu gehören etwa die Strompreisbremse (Strompreisbremsegesetz – StromPBG) sowie die Preisbremsen für leitungsgebundenes Erdgas und Wärme (Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz – EWPBG). Die Energiepreisbremsen-Gesetze gewähren Letztverbrauchern über Kunden einen gesetzlichen Anspruch gegen ihre Lieferanten auf Absenkung der Strom-, Gas- bzw. Wärmekosten. Dabei wird der vom Endverbraucher (industriell oder privat) zu zahlende Preis gesetzlich gedeckelt. Um demgegenüber einen Kollaps der Energieversorgungsunternehmen zu verhindern, die zu deutlich höheren Preisen einkaufen müssen, als mit diesen gedeckelten Preisen zu erzielen ist, übernimmt der Staat gegenüber den Energielieferanten die Differenz zu den Marktpreisen.

Gestaltungsspielräume

Es liegt auf der Hand, dass diese Maßnahme zu Gestaltungsspielräumen der beteiligten Unternehmen führen kann. Der Verbraucher hat keine Motivation, nach günstigeren Preisen zu suchen oder Preiserhöhungen oberhalb der Preisbremse gegenüber dem Versorger anzugreifen. Der Versorger könnte daher, ohne Reaktionen der Kunden befürchten zu müssen, die Weitergabe von Preissenkungen verzögern oder Preise erhöhen, ohne dabei zu genau zu kalkulieren. Um die staatlichen Finanzen hiervor zu schützen, sehen die Preisbremsengesetze Missbrauchstatbestände und gegebenenfalls Bußgelder vor, die vom Bundeskartellamt (BKartA) kontrolliert und ausgeführt werden.

Aufgrund von (Nachweis-)Schwierigkeiten in der Praxis sind die Fälle, in denen Kartellbehörden auf Basis des allgemeinen Kartellrechts tatsächlich einen Preishöhenmissbrauch erfolgreich angenommen haben, dünn gesät (vgl. etwa „Wasserpreise Wetzlar“ Bundesgerichtshof vom 2.2.2010 – KVR 66/08). Daher gibt es für betroffene Unternehmen (und für das BKartA) wenig Anleitung zur Herleitung von Handlungsmaßstäben. Weil die Beantragung rechtswidrig und sogar bußgeldrelevant sein kann, haben sowohl Unternehmen als auch die persönlich verantwortlichen Unternehmensentscheider ein hohes Risiko in Kauf zu nehmen.

Eigene Beschlussabteilung

Das Bundeskartellamt hat bereits im Januar 2023 eine eigene Beschlussabteilung (die 11. BA) zur Durchführung dieser neuen Aufgaben eingerichtet. Diese Beschlussabteilung hat Verfahren gegen mehrere Gasversorger eingeleitet. Sie stünden im Verdacht, ungerechtfertigt hohe Preise angesetzt zu haben, um so von den Energiepreisbremsen zu profitieren. Auch im Bereich Strom hat das Bundeskartellamt Prüfverfahren eingeleitet.

Andreas Mundt, Präsident des BKartA, in der Pressemitteilung vom 15.5.2023: „Die ersten eingeleiteten Prüfverfahren betreffen eine zweistellige Zahl von Gasversorgern, die möglicherweise überhöhte Erstattungsanträge nach den Preisbremse-Gesetzen gestellt haben… Weitere Verfahrenseinleitungen, bezogen auf die Bereiche Fernwärme und Strom, stehen bevor. Obgleich es keinen Generalverdacht gibt, werden wir künftig alle Antragsdaten zu den Ausgleichszahlungen der antragstellenden Unternehmen einer regelmäßigen systematischen Untersuchung, d. h. einem Screening unterziehen.“

Diese bisherigen Erkenntnisse des BKartA zeigen, wie schwierig es offenbar ist, sich rechtskonform zu verhalten. Schon die Stand Juni 2023 bereits 30 Seiten lange FAQ-Liste des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Antragstellung der Inanspruchnahme der Hilfen für Unternehmen zeigt die Komplexität der Materie.

Dieser Beitrag kann die Unsicherheiten nicht beseitigen. Um betroffenen Unternehmen indes jedenfalls etwas die Richtung zu weisen, hier einige Eckpunkte:

Was droht? Das BKartA überprüft in den nun eröffneten Verfahren im Schwerpunkt nach § 39 StromPBG bzw. § 27 EWPBG, ob bestimmte Elemente in der Preisgestaltung von Energielieferanten gerechtfertigt sind, und kann ggf. eine Abstellung und Rückzahlung verlangen. Verstöße gegen das Missbrauchsverbot, aber auch Verstöße gegen die Vorgaben der Preisbremsen-Gesetze zu Vergünstigungen bzw. Zugaben und zur Grundpreisgestaltung können zudem mit einer Geldbuße geahndet werden. Der Bußgeldrahmen liegt zwischen 100.000 Euro und 1 Mill. Euro, kann aber bei besonders umsatzstarken (nicht etwa gewinnerzielenden, Sie haben richtig gelesen) Unternehmen auf bis zu 8% des Vorjahresumsatzes erhöht werden (§ 43 Abs. 2–3 StromPGB; §38 Abs. 2–3 EWPBG). Schließlich sind Preiserhöhungen zivilrechtlich gegenüber den Endkunden gegebenenfalls nichtig, diese können sich direkt darauf berufen.

Ex-ante-Genehmigung ausgeschlossen

Kann man das BKartA fragen? Eine Ex-ante-Genehmigung von Energiepreisen, die die Lieferanten von Nachfragern verlangen, ist ausgeschlossen. Ebenso wenig findet eine Prüfung von Verbrauchsrechnungen durch das BKartA statt. Zudem sind es die betroffenen Unternehmen, die die Nachweise erbringen müssen. Ihnen obliegt die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf vom Bundeskartellamt beanstandete Preissetzungen, dass diese sachlich gerechtfertigt sind. Gelingt dies nicht, ist von einer Rückzahlung auszugehen. Sicherheitshalber könnte man also bei empfangenen Leistungen über Rückstellungen für etwaige Rückforderungen nachdenken.

Was genau ist verboten? Welche Preisbestandteile für eine Missbrauchsaufsicht genau relevant sind, ist im Einzelnen schwierig – im Regelfall der Arbeitspreis, aber auch wird es im Detail komplex. Ich teile die Ansicht, dass ohne eine Neukalkulation der Preisklausel in den Kundenverträgen nach der Geltung der Preisbremsen-Gesetze kein Missbrauch vorliegt – ein bloßes Beibehalten der bestehenden Preisanpassungsmechanismen sollte nach dem Sinn des Gesetzes – Schutz des Staates vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme – nicht ausreichen. Gleichwohl wären darauf gestützte Preiserhöhungen möglicherweise dennoch unwirksam – es bleibt spannend.

Bei Fernwärme ist es leichter

Inhaltlich ist eine Festlegung „sicherer“ Aspekte, die Unternehmen guten Gewissens zur Rechtfertigung vortragen können, bei Preissteigerungen bzw. unterbliebenen Senkungen schwierig. Becker/Blau, beide erfahrene Kräfte des BKartA, sehen vor allem eine Weitergabe von marktbasierten Preisen oder Kosten aus Beschaffungsverträgen, die vor dem 25.11.2022 geschlossen wurden, oder auf vom Lieferanten im regulatorischen Sinne nicht beeinflussbare Preis- oder Kostenbestandteile als mögliche sachliche Rechtfertigung an. Dazu zählen könnten auch Preisanstiege für den Energiebezug von Vorlieferanten oder für die Energieerzeugung in eigenen Kraftwerken, Preissteigerungen für den Bezug von Materialien, Lohnerhöhungen und der Anstieg staatlich festgelegter Kosten durch Steuern, Abgaben und abgabe-gleich wirkende Belastungen. Im Bereich der Regulierung können Steigerungen der Netzkosten von Bedeutung sein.

Ausgeschlossen ist es ausdrücklich, vor dem 25.11.2022 ggf. günstig beschaffte Stoffe, insbesondere Gas, zu veräußern, wodurch neues Gas – teurer als vorher – eingekauft werden müsste. So wird verhindert, dass Unternehmen einen Gewinn machen, der dann später nochmals durch den Staat erhöht wird.

Im Bereich der Fernwärme ist es etwas leichter: Wenn die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV erfüllt sind und Preiserhöhungen auf einer bereits am 30.9.2022 bestehenden Preisanpassungsklausel beruhen, gibt es eine gewisse Sicherheit. Ob diese Vorgaben erfüllt sind, ist indes auch nicht völlig einfach zu bestimmen.

Zeitlich ist die Geltung dieser Situation jedenfalls derzeit auf eine vergleichsweise kurze Zeitspanne beschränkt: vom 1.1.2023 (Strom) bzw. 24.12.2022 (Gas/Wärme) bis zum Ablauf des Gesetzes (Ende 2023) bzw. bei Verlängerung bis zum 30.4.2024. Danach kann das BKartA theoretisch die neue Abteilung wieder schließen – allerdings könnte wider Erwarten doch ein neuer Winter kommen, der diesmal vielleicht sogar kühl sein könnte. Hinzu kommen könnte, dass es weiterhin weder genug erneuerbare Energien, nunmehr aber auch keine eigene Atomkraft und zudem keine ausreichenden Importkapazitäten für – sehr teures – Gas geben könnte. In diesem Fall könnte der Zeitraum länger werden.

Durchsuchungen möglich

Die Ermittlungsbefugnisse des BKartA sind umfassend: Nach den Preisbremsen-Gesetzen (vgl. § 39 Abs. 2 S. 10 StromPBG bzw. § 27 Abs. 2 S. 10 EWPBG i.V.m. §§ 59, 59 a, 59 b GWB) kann das BKartA umfangreich Auskünfte einfordern und eine fehlende, unzureichende oder unrichtige Auskunft sanktionieren bzw. eine Auskunft erzwingen. Zudem sind eben auch Durchsuchungen bei den Unternehmen möglich, die insofern ihre „Dawn Raid“-Vorbereitungen noch einmal checken sollten – nach der langen Zeit der Coronapause bei Durchsuchungen drohen nun wieder verstärkte Maßnahmen, nunmehr auch hierzu. Das BKartA kann sich schließlich auch (vgl. Verweis auf § 50 f Abs. 1 GWB) zur Durchführung seiner Aufgaben mit anderen Behörden und Stellen austauschen. In der Folge einer solchen Ermittlung ist es daher wie stets bei Ermittlungen der Kartellbehörde: Sie weiß am Ende deutlich mehr, als die Antragsteller jemals hätten wissen können.

Fazit: Die Rechtsunsicherheit ist angesichts der Berichte über die Ausnutzung von Coronahilfen möglicherweise das kleinere Übel, wenn man den Steuerzahler nicht mit ungerechtfertigten Lasten beschweren möchte, aber ein positives Wirtschaftsklima wird durch diese komplexen Maßnahmen eher nicht befördert.

*) Dr. Jan Joachim Dreyer ist Partner der Kanzlei FPS in Düsseldorf.

Dr. Jan Joachim Dreyer

ist Partner der Kanzlei FPS in Düsseldorf. Er berät Mandanten zu Fragen des Kartellrechts, allgemeiner Compliance, regulatorischen Themen, Vertrieb und Investitionskontrollen.

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