GastbeitragUnternehmenssanierung

Das StaRUG muss dringend nachgearbeitet werden

Der Rechtsausschuss des Bundestages hat in letzter Minute wesentliche Elemente aus dem Gesetz zur vorinsolvenzlichen Sanierung StaRUG gestrichen - mit Folgen, die sicher nicht gewollt waren.

Das StaRUG muss dringend nachgearbeitet werden

Das StaRUG muss nachgearbeitet werden

Ohne erhebliche Haftungsrisiken können Geschäftsleiter weder eine vorinsolvenzliche Sanierung einleiten noch das Unternehmen fortführen

Von Kolja von Bismarck *)

Die deutsche Rechtsprechung zu Art und Umfang von Treuepflichten eines Gesellschafters gegenüber seiner kriselnden Gesellschaft wird unter Juristen gerne unter dem griffigen Schlagwort “Sanieren oder Ausscheiden“ zusammengefasst. Sie fußt auf dem Gedanken, dass sanierungswillige Gesellschafter in der Krise ihres Unternehmens nicht von aus welchen Gründen auch immer sanierungsunwilligen oder -fähigen Mitgesellschaftern daran gehindert werden, objektiv gebotene Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Das ist sinnvoll und nicht nur zum Schutz der Rechte der übrigen Gesellschafter auch geboten.

Im November 2020 präsentiert

Die Förderung der Sanierung notleidender Unternehmen im Interesse insbesondere auch der sanierungswilligen Stakeholder lag ebenfalls dem vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) zugrunde. Der Entwurf wurde nach ausführlicher Erörterung mit Vertretern aus Justiz und Wissenschaft, Gewerkschaften, Industrie, Banken und Anwaltschaft im November 2020 präsentiert und sollte eine von der Mehrheit der betroffenen Gläubiger getragene Sanierung insolvenzgefährdeter Unternehmen auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens in Deutschland ermöglichen.

Änderungen in letzter Minute

Denn eine Mehrheit der Gläubiger würde eine solche Sanierung dann unterstützen, wenn das Unternehmen zwar ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell hat, aber vorrangig finanzwirtschaftlich saniert werden muss, eine Sanierung außerhalb einer häufig wertvernichtenden, immer aber sowohl rufschädigenden als auch disruptiven Insolvenz daher sinnvoll und geboten erscheint. Leider räumt das sodann im Januar 2021 in Kraft getretene StaRUG genau diese Option – also die von einer Gläubigermehrheit getragene außerinsolvenzliche Sanierung eines in Not geratenen Unternehmens – in der täglichen Praxis der Mehrheit der betroffenen Unternehmen nicht rechtssicher ein.

Hintergrund ist eine vom Rechtsausschuss des Bundestages in letzter Minute durchgesetzte Streichung wesentlicher Elemente des zuvor ebenso ausgewogen wie praxisgerecht konzipierten Regierungsentwurfes des StaRUG. Nicht umsonst wurde dieser auch als „großer Wurf“ bezeichnet.

Doch dann strich der Rechtsausschuss die in diesem großen Wurf aus gutem Grunde enthaltene Regelung, dass und wann die Leitungsorgane eines Unternehmens in der Krise gesetzlich verpflichtet sind, vorrangig die Interessen der Gläubiger des Unternehmens zu schützen. Dieser sogenannte „shift of fiduciary duties“ bedeutet im Kern, dass die Leitungsorgane im Zweifel nicht mehr an Weisungen der Gesellschafter gebunden sind, die den Gläubigerinteressen absehbar zuwiderlaufen.

Folgen kaum gewollt

Aufgrund der vom Rechtsausschuss insbesondere mit Zeitnot bei der Prüfung der Rechtsfolgen begründeten Streichung dieser für das Gesetz zentralen Regelung in der Praxis, eröffnet es in der großen Mehrheit der Fälle indes nicht mehr die vom Gesetzgeber gewollte und auch in Deutschland so dringend benötigte außerinsolvenzliche Sanierungsoption für Unternehmen. Eine vom Ausschuss so kaum gesehene und sicher nicht gewollte Folge.

Von der Streichung betroffen sind alle Kapitalgesellschaften, insbesondere aber Unternehmen in der Rechtsform der GmbH, der mit Abstand in Deutschland am weitesten verbreiteten Rechtsform bei kleineren und mittelgroßen Unternehmen. Die Bindung der Geschäftsführer einer GmbH an Weisungen der Gesellschafter gilt nach wohl herrschender Meinung in der juristischen Literatur dann nicht, wenn die von den Gesellschaftern gehaltenen Anteile wirtschaftlich wertlos sind, mithin das Eigenkapital der Gesellschaft vollständig aufgezehrt ist.

Das ist folgerichtig, weil die Risiken aus der Fortführung der Unternehmung ab diesem Zeitpunkt nurmehr dessen bestehende Gläubiger, insbesondere also Lieferanten, Dienstleister und Fremdkapitalgeber tragen. Deren Forderungen stehen jetzt im Feuer und werden entwertet, wenn die Sanierung scheitert und ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss.

Einwilligung der Eigentümer

Der herrschenden Meinung in der juristischen Literatur stehen aber – wie fast immer in der Jurisprudenz – andere Auffassungen gegenüber, die den ökonomisch entwerteten Anteilen der Gesellschafter noch einen Wert zumessen. Hinzu kommt, dass jüngst mehrere Gerichtsurteile zumindest auf den ersten Blick die Auffassung stützen, dass die Einleitung eines StaRUG-Verfahrens durch Geschäftsleiter einer deutschen Kapitalgesellschaft ohne ausdrückliche Einwilligung der Eigentümer unzulässig ist. Diese werden sich jedoch in einer Unternehmenskrise in der Praxis bis zum allerletzten Moment weigern, der Einleitung einer Restrukturierung nach dem StaRUG zuzustimmen.

Denn dieser Schritt könnte – und würde regelmäßig – dazu führen, dass die Anteile ganz oder teilweise an diejenigen übertragen werden, die tatsächlich das Risiko der Fortführung des Unternehmens tragen. Das können die bisherigen oder neue Gesellschafter mit „neuem“ Geld sein, sind aber häufig zumindest auch die Gläubiger, die so ihren bislang erlittenen Verlust zu begrenzen versuchen. Leiten die Geschäftsführer einer GmbH jedoch ohne Zustimmung der Gesellschafter ein StaRUG-Verfahren ein, drohen ihnen nach der in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes erhebliche Haftungsrisiken, so dass professionell beratene Geschäftsführer das Risiko in der Regel nicht eingehen werden.

Haftungsrisiken

Auf der anderen Seite drohen den Geschäftsleitungsorganen einer deutschen Kapitalgesellschaft vergleichbar erhebliche zivil- und strafrechtliche Haftungsrisiken, wenn sie ein bilanziell überschuldetes Unternehmen fortführen. Sie müssen im Nachhinein überprüfbar darlegen können, dass und warum sie erwarten konnten, dass das Unternehmen alle in den nächsten zwölf Monaten fällig werdenden Verbindlichkeiten begleichen kann. Denn nach geltendem Recht müssen Leitungsorgane eines Unternehmens, dessen Verbindlichkeiten den Wert der Aktiva in Summe überschreiten und das nicht alle in den kommenden zwölf Monaten fällig werdenden Verbindlichkeiten „überwiegend wahrscheinlich“ begleichen kann, „ohne schuldhaftes Zögern“ einen Insolvenzantrag stellen.

Liquiditätsplanung herausfordernd

Es bedarf kaum einer ausführlichen Darlegung, dass eine Liquiditätsplanung in einem notleidenden Unternehmen für ein ganzes Jahr eine kaum zu bewältigende Herausforderung ist. Führt man sich dann noch vor Augen, dass die dabei getroffenen Annahmen von Gerichten und Staatsanwälten in der Regel nur ex post, also dann auf deren Plausibilität überprüft werden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen, das Unternehmen insolvent geworden ist, wird die Dimension der Haftungsfalle für die Geschäftsleiter deutlich.

Vorschlag von Sanierungsexperten

Im Ergebnis können die Geschäftsleiter einer in die Krise geratenen deutschen Kapitalgesellschaft ohne erhebliche Haftungsrisiken weder eine vorinsolvenzliche Sanierung des Unternehmens nach dem StaRUG einleiten, weil der dazu zwingend erforderliche „Shift of Fiduciary Duties“ in letzter Minute aus dem StaRUG gestrichen wurde, noch können sie das Unternehmen fortführen. Das aber ist weder volkswirtschaftlich sinnvoll noch kann es im Sinne des Gesetzgebers sein.

Wollen wir auch in Deutschland eine möglichst wert- und arbeitsplatzschonende Restrukturierung außerhalb der Insolvenz auf breiter Basis ermöglichen, muss demnach dringend nachgearbeitet werden. Der Berufsverband der deutschen Sanierungsexperten (TMA) hat vor diesem Hintergrund vor einigen Wochen dem Bundesministerium der Justiz einen detaillierten Vorschlag unterbreitet, der die dargestellte Problemkonstellation löst.

Großbritannien lockt

Sollte es beim bisherigen Gesetz bleiben, werden Restrukturierungs-Profis weiterhin mit relevanten Fällen aus Deutschland in das Vereinigte Königreich „umziehen“ – englische Gerichte nehmen in solchen Fällen ihre Zuständigkeit in der Praxis auch nach dem Brexit gerne an - und die Restrukturierung nach dortigem Recht durchführen. Dies läuft nicht nur mit Blick auf die Kosten den Gläubigerinteressen zuwider, sondern ist aus deutscher Sicht auch sowohl volkswirtschaftlich als auch rechtspolitisch problematisch.

*) Kolja von Bismarck ist Partner der Kanzlei Sidley.

Kolja von Bismarck ist Partner der Kanzlei Sidley.