Digitalisierung

Das Wertpapierrecht wird neu justiert

In ihrer Blockchain-Strategie aus dem Jahr 2019 hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, die Potenziale für eine digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zur Entfaltung zu bringen. Das am 6. Mai 2021 im Bundestag verabschiedete...

Das Wertpapierrecht wird neu justiert

Von Stephan Schulz und Karl-Alexander Neumann*)

In ihrer Blockchain-Strategie aus dem Jahr 2019 hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, die Potenziale für eine digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zur Entfaltung zu bringen. Das am 6. Mai 2021 im Bundestag verabschiedete Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) ist ein wesentlicher Baustein dieser Strategie und voll-zieht rechtlich die Entmaterialisierung von Wertpapiertransaktionen. Das eWpG steht dabei im größeren Kontext eines Bündels diverser Gesetzgebungsinitiativen zur Digitalisierung der Finanzmärkte, die mit dem Entwurf einer EU-Kryptowerteverordnung (MiCAR) und Pilotregelungen für Distributed-Ledger-Technologien bis auf EU-Ebene reichen.

Paradigmenwechsel

Für Inhaberschuldverschreibungen, Pfandbriefe und Inhaber-Anteilscheine an Sondervermögen gestattet das eWpG zukünftig eine rein elektronische Begebung. Für Aktien hat der Gesetzgeber davon abgesehen, diesen Weg zu eröffnen. Begründet wird dies mit den „erheblichen gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen“, die aber bei genauerem Hinsehen überschaubar sind. Perspektivisch ist daher zu erwarten, dass auch Aktien nach den Regelungen des eWpG begeben werden können. Zwar vollzog sich der Wertpapierhandel auch bisher schon im Wege elektronischer Depotbuchungen. Er­forderlich blieb gleichwohl stets eine Verbriefung der relevanten Rechte in einer Globalurkunde, die ein Zentralverwahrer – namentlich die Clear­stream Banking AG, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Börse – körperlich verwahrt.

Das eWpG macht diese Sachsubstanz zukünftig verzichtbar, da es Emittenten ermöglicht, Wertpapiere ohne Ausstellung einer Wertpapierurkunde durch Eintragung in ein elektronisches Register zu begeben. Dabei schafft das eWpG das klassische Wertpapier als körperlichen Gegenstand nicht vollständig ab, sondern erweitert das Spektrum um eine elektronische Variante. Emittenten können somit künftig zwischen der Ausgabe von sammelurkundlich verbrieften und elektronischen Wertpapieren wählen. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass physische Urkunden bei börsengehandelten, vom eWpG erfassten Wertpapieren wie Anleihen noch eine nennenswerte Rolle spielen werden.

Die Rechtssicherheit des Handels mit elektronischen Wertpapieren entspricht bruchlos dem für klassische Wertpapiere geltenden Standard. Die Brücke hierfür bildet eine gesetzliche Fiktion, wonach elektronische Wertpapiere als Sachen im Zivilrechtssinne gelten sollen. Auch wenn die urkundliche Verbriefung für die Kapitalmarktakteure seit Einführung der Globalurkunde vor ca. 50 Jahren praktisch bereits stark abgenommen hatte, ist diese Fiktion ein rechtsdogmatischer Paradigmenwechsel, da als Sachen im Rechtssinne bisher nur körperliche Gegenstände galten. Für elektronische Wertpapiere bedeutet dies insbesondere die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs, der für eine gesteigerte Verkehrsfähigkeit dieser neuen Wertpapierkategorie ein zentrales Element ist.

Die Begebung elektronischer Wertpapiere erfolgt durch Eintragung in ein elektronisches Wertpapierregister. Hierbei differenziert das eWpG zwischen „zentralen Registern“ und „Kryptowertpapierregistern“. Je nach Register- bzw. Eintragungstyp handelt es sich dann um ein Zentralregisterpapier bzw. ein Kryptowertpapier. Die Eintragung beider Wertpapiertypen kann jeweils als Einzel- oder auch als Sammeleintragung erfolgen. Im Rahmen der Wertpapierbegebung ist zusätzlich zur Eintragung wertpapierspezifischer Daten wie Kennnummer, Emittent und Nennbetrag insbesondere die Niederlegung der Emissionsbedingungen als beständiges elektronisches Dokument erforderlich. Für Fondsanteilscheine, die der Regierungsentwurf nachträglich in den Anwendungsbereich des eWpG aufgenommen hat, ist der Einsatz von Kryptowertpapierregistern zunächst nicht zugelassen. Digitale Fondsanteile sind daher ausschließlich in einem Zentralregister zu führen.

Das Führen elektronischer Wertpapierregister setzt eine finanzaufsichtsrechtliche Erlaubnis voraus: Zentrale Wertpapierregister dürfen ausschließlich Wertpapiersammelbanken führen oder eine vom Emittenten hierzu ermächtigte Depotbank – gesteigerte Bedeutung dürfte dabei insbesondere der Clearstream Banking AG zukommen, da eine Eintragung in das dort geführte elektronische Wertpapierregister eine Anbindung an den Börsenhandel gestattet. Demgegenüber erfordert das Führen eines Kryptowertpapierregisters eine Erlaubnis als Finanzdienstleistungsinstitut. Registerführende Stelle ist dabei, wen der Emittent gegenüber den Kryptowertpapierinhabern als solche benennt oder – sofern keine Benennung erfolgt – der Emittent selbst. Registerführende Stellen werden zukünftig durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beaufsichtigt.

Das eWpG verlangt, Kryptowertpapierregister auf einem fälschungssicheren Aufzeichnungssystem zu führen, in dem Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Veränderung geschützt gespeichert sind. Mit diesen Anforderungen hat das Gesetz offensichtlich die – etwa dem Bitcoin – zugrundeliegende Distributed-Ledger-Technologie (DLT) im Blick, vermeidet jedoch ganz bewusst spezifische DLT-Begrifflichkeiten wie „Blockchain“ oder „Private Key“. Der grundlegende Ansatz des eWpG ist es vielmehr, einen per se technologieneutral ausgestalteten Rechtsrahmen zu definieren, der zwar auch die bisher entwickelten Strukturen der Krypto- bzw. Token-Wirtschaft umfasst, aber keineswegs auf diese verengt ist.

Praktischer Nutzen

Unternehmen und Kapitalmarktteilnehmer werden durch die Neuerungen, die das eWpG mit sich bringt, unmittelbare praktische Vorteile haben. So wird die Emission von Unternehmensanleihen als elektronische Wertpapiere in Form von Zentralregisterpapieren erheblich schneller vonstattengehen können, als man es bisher mit Ausstellung und Hinterlegung einer physischen Urkunde gewohnt war.

Grundlegender, wenngleich weniger konkret sind die Vorteile, welche die Schaffung eines Rechtsrahmens für Kryptowertpapiere bietet. Unternehmen und Investoren, die die Begebung oder den Erwerb derartiger Finanzierungsinstrumente in Betracht ziehen, erhalten verlässliche Regeln für die Emission und die Übertragung von Kryptowertpapieren. Diese Rechtssicherheit wird die Attraktivität der Finanzierungsform, insbesondere auch für großvolumigere Transaktionen, erhöhen. Daher ist zu erwarten, dass die Praxis von den Neuerungen des eWpG regen Gebrauch machen wird und wir einen Anstieg in Zahl und Volumen von Kryptowertpapier-Emissionen erleben werden.

Zukunftsgerichtete Impulse

Das eWpG sucht die Balance zwischen einer behutsamen Öffnung des Rechtsrahmens für Wertpapiere im Interesse technologischen Fortschritts und Entwicklung einerseits sowie Anlegerschutz, regulatorischer Stabilität und Rechtskontinuität andererseits. Dies erklärt, warum das neue Gesetz in einigen Punkten bestehendes Innovationspotenzial noch nicht voll ausgeschöpft hat und eine gewisse Regulierungshöhe aufrechterhält. So führt das eWpG etwa bewusst noch keine digitale Aktie oder „echte“ Kryptofonds ein, sondern erlaubt für Fondsanteile zunächst nur das Entfallen physischer Urkunden. Gleichwohl stellt das eWpG sehr deutlich die Weichen für eine voranschreitende Digitalisierung des Wertpapierrechts und dürfte kontinuierliche, positive Impulse in den Finanz- und Kapitalmarkt senden.

Auch der Gesetzgebungsprozess hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Digitalisierungsprozess mit der jetzt verabschiedeten Fassung des eWpG nicht an sein Ende gelangt ist, sondern perspektivisch etwa auch eine elektronische Aktie durchaus möglich ist. Bereits mit der Einführung des Kryptoverwahrgeschäfts Anfang 2019 bewies der deutsche Gesetzgeber regulatorische Innovationsfähigkeit und setzt nun mit dem eWpG behutsam nächste Schritte zur Modernisierung des Wertpapierrechts, um Deutschland langfristig in der Riege international führender und zukunftsorientierter Finanzstandorte zu positionieren.

*) Dr. Stephan Schulz ist Partner und Dr. Karl-Alexander Neumann Associated Partner im Hamburger Büro der Kanzlei Noerr.