EU-Recht

Dem Fiskus drohen hohe Steuerausfälle

Der Europäische Gerichtshof muss darüber entscheiden, ob die umsatzsteuerliche Organschaft mit EU-Recht vereinbar ist. Im Vorgriff hat die Generalanwältin eine aus deutscher Sicht drastische Entscheidung empfohlen.

Dem Fiskus drohen hohe Steuerausfälle

Von Jörg F. Kurzenberger und Philipp Klinker*)

Die Umsatzsteuer ist Deutschlands ertragreichste Steuer. Weit über 200 Mrd. Euro spült sie jährlich in die Staatskasse. Doch jetzt ist – wieder einmal – der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Vorlagen des Bundesfinanzhofs (BFH) mit der Unionsrechtskonformität der umsatzsteuerlichen Organschaft beschäftigt. Kippt der EuGH dieses seit 100 Jahren geltende Rechtsinstitut nun endgültig, drohen Steuerausfälle allein für das Jahr 2018 in Höhe von ca. 25 Mrd. Euro.

Die umsatzsteuerliche Organschaft geht zurück auf das Bruttoumsatzsteuersystem zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Damals wurde jeder Umsatz mit einem geringen Steuersatz ohne Vorsteuerabzug besteuert. Dies bedeutete eine definitive Umsatzsteuerbelastung, die umso höher wurde, je mehr Unternehmer in die Erbringung der Leistung bis zum Endverbraucher eingebunden waren (Kaskadeneffekt).

Harmonisierung in der EU

Juristische Personen, die in eine Obergesellschaft finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert waren, verloren jedoch ihre umsatzsteuerliche Selbständigkeit. Sie bildeten als Organgesellschaften zusammen mit der Obergesellschaft ein Unternehmen – die Organschaft. Unternehmer war lediglich die Obergesellschaft (Organträger). Nur sie musste eine Umsatzsteuererklärung für die Organschaft abgeben. So konnten (vornehmlich) Konzerne die beschriebenen Kaskadeneffekte verhindern, da Leistungen innerhalb der Organschaft nicht der Umsatzsteuer unterlagen.

In den 1960er/70er Jahren wurde die Umsatzsteuer in der EU harmonisiert. Alle EU-Länder verpflichteten sich zur Umsetzung entsprechender EG-Richtlinien und des Nettoumsatzsteuersystems mit Vorsteuer­ab­zug. Dabei war und ist in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie eine Mehrwertsteuergruppe vorgesehen. Finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbundene Personen können danach als ein Unternehmer behandelt werden.

Eine gesetzliche Anpassung der deutschen Organschaft an die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist trotz umfassender Reformüberlegungen bis heute nicht geschehen. Weiterhin bietet die umsatzsteuerliche Organschaft durch die Nichtbesteuerung der Innenumsätze ins­besondere für eingeschränkt vorsteuerabzugsberechtigte Finanzdienstleister Vorteile.

Enger gefasst

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass die deutsche Organschaft tatbestandlich enger gefasst ist als die Regelung in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Es wird ein Über-/ Unterordnungsverhältnis („Organgesellschaft ist in Organträger eingegliedert“) vorausgesetzt, und nur juristische Personen kommen als Organgesellschaft in Betracht.

Es wundert also nicht, dass der Europäische Gerichtshof schon mehrfach dazu Stellung nahm: Die Voraussetzung der Über-/ Unterordnung wurde dabei nur für den konkreten Fall der Missbrauchsvermeidung gebilligt, die Beschränkung auf juristische Personen als Organgesellschaft im vergangenen Jahr als unionsrechtswidrig eingestuft. Eine gesetzliche Neufassung blieb jedoch aus. Die Rechtsfolgen von Or­ganschaft und Mehrwertsteuergruppe scheinen kongruent (ein Unternehmer).

Beide Umsatzsteuersenate des Bundesfinanzhofs riefen nun den EuGH zur Unionsrechtskonformität der Rechtsfolgen an. Sie stellen die Frage, ob es zutreffend ist, dass die Obergesellschaft einziger Unternehmer ist. Der BFH weist den EuGH für den Fall der Einstufung als rechtswidrig auf einen substanziellen Steuerausfall (knapp 25 Mrd. Euro allein für das Jahr 2018) hin.

Im Vorgriff auf das Urteil hat jetzt die zuständige Generalanwältin Medina dem EuGH eine aus deutscher Sicht drastische Entscheidung empfohlen: Danach sei es unionsrechtswidrig, dass nur die beherrschende Obergesellschaft Unternehmer ist. Vielmehr blieben die Organgesellschaften Unternehmer. Überdies gebe es einen weiteren fiktiven Unternehmer – die Mehrwertsteuergruppe/die Organschaft. Diese sei zur konsolidierten Umsatzsteuerdeklaration für die Gruppenmitglieder verpflichtet und schulde die Umsatzsteuer. Es sei daher auch nicht richtig, dass Innenumsätze zwischen Gesellschaften der Organschaft nicht umsatzsteuerbar seien. Auch auf diese Leistungen würde Umsatzsteuer anfallen, die aber wegen des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers und der Konsolidierung der Steuererklärung liquiditätsneutral sei. Auch der wohlgemeinte Hinweis des BFH auf Steuerausfälle lässt Frau Medina (rechtlich richtigerweise) kalt. Deutschland habe hinreichend Zeit zur Anpassung gehabt.

EuGH an der Reihe

Nun ist also der EuGH an der Reihe. In einem halben Jahr werden seine Urteile hierzu erwartet. In Anbetracht der Schlussanträge von Frau Medina kann dies für den deutschen Fiskus ein heißer Sommer werden. Unbestritten ist, dass die 100-jährige­ deutsche Organschaft Geschichte wird. Sollte künftig auf Innenumsätze Umsatzsteuer anfallen, wird sich hieraus für nur eingeschränkt vorsteuerabzugsberechtigte Finanzdienstleister eine höhere Steuerbelastung ergeben.

*) Dr. Jörg F. Kurzenberger ist Steuerberater und Partner, Dr. Philipp Klinker ist Steuerberater und Assoziierter Partner bei der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg.

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