Recht und KapitalmarktVerbraucherrechte

Die Verbandsklage – ein disruptives Gesetz mit Fragezeichen

Das Bundeskabinett hat Ende März nach langen Diskussionen zwischen den Fachministerien den Regierungsentwurf für das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz beschlossen.

Die Verbandsklage – ein disruptives Gesetz mit Fragezeichen

Die Verbandsklage – ein disruptives Gesetz mit Fragezeichen

Bundesregierung legt Entwurf für das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz vor

Von Martin Mekat*)

Zentrales Merkmal des neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (VDuG) ist eine Abhilfeklage, welcher sich nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen, die weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz 10 Mill. Euro nicht übersteigt, anschließen können. Anders als bei der Musterfeststellungsklage ist auch keine spätere Individualklage mehr erforderlich, da im Rahmen eines sich an das gerichtliche Verfahren anschließenden Umsetzungsverfahrens die Verteilung der titulierten Summe durch einen Sachwalter vorgesehen ist.

Nachdem Mitte September 2022 ein inoffizieller Referentenentwurf erarbeitet wurde, beschloss das Bundeskabinett Ende März 2023 nach langen Diskussionen zwischen den Fachministerien und Druck aus Brüssel nun einen in überwiegenden Teilen inhaltlich identischen Regierungsentwurf. Bereits Anfang Februar wurden vonseiten der Kommission 24 Mitgliedsstaaten angemahnt, da die ersten Umsetzungsfristen der Verbandsklagenrichtlinie ergebnislos verstrichen sind.

Aus der Vielzahl von kritischen und überaus diskussionswürdigen Punkten sollen im Folgenden der Anmeldezeitraum, die Funktion des Sachwalters und das Thema der Offenlegung von Beweismitteln vertieft werden.

Der Regierungsentwurf sieht einen Anmeldezeitraum von bis zu zwei Monaten nach der ersten mündlichen Verhandlung vor und geht damit erheblich weiter als der Referentenentwurf. Dieser hatte sich an der Musterfeststellungsklage orientiert, bei der die Anmeldefrist am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung endete. Die nun vorgesehene Verlängerung des Anmeldezeitraums beruht wohl maßgeblich auf dem Einfluss des Verbraucherschutzministeriums, welches den ursprünglichen Anmeldezeitraum als zu kurz kritisiert hatte.

Dort präferierte man sogar eine Anmeldung auch noch nach Erlass eines Endurteils in erster Instanz, um so ein risikofreies Zuwarten durch die von einer Sammelklage profitierenden Personen zu ermöglichen. Allerdings führte ein solcher Ansatz zu einer enormen Rechtsunsicherheit; die Abschätzung von Prozessrisiken oder der Abschluss eines Vergleichs wären nahezu unmöglich.

Umgekehrt ist auch ein Anknüpfen an den Tag vor Beginn des ersten Termins kritisierbar. Beispielsweise würden hierdurch Prozessführungsmaßnahmen des Gerichts wie frühe erste Termine unterbunden, ohne dass hierfür ein echter Sachgrund besteht. Sinnvoll wäre es stattdessen, wenn im Gesetzgebungsverfahren Alternativen wie eine feste Zeitspanne nach Eintragung der Klage im Verbandsklageregister diskutiert würden.

Systemfremde Sanktion

Ein weiterer, wesentlicher offener Punkt ist die Ausgestaltung des Sachwalters. Hierbei handelt es sich um einen neuen Akteur im System des deutschen kollektiven Zivilrechtsschutzes. Der Sachwalter ist für die Abwicklung eines auf Leistung an die Verbraucher zusprechenden Abhilfeurteils zuständig. Dabei geht es vor allem um die Prüfung der Anspruchsberechtigung der am Umsetzungsverfahren teilnehmenden Verbraucher sowie der entsprechenden Erfüllung ihrer Ansprüche. Der nunmehr vorliegende Regierungsentwurf sieht dabei vor, dass die Parteien selbst dem Gericht aus ihrer Sicht geeignete Kandidaten vorschlagen.

Der Sachwalter nimmt faktisch materiell-rechtliche Prüfungen vor und damit originär gerichtliche Aufgaben. Es handelt sich letztlich um eine Privatisierung von Gerichtsaufgaben, die mit Blick auf die Belastung der Justiz durch Masseverfahren in Kauf genommen wird. Die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Gerichts sind nur schemenhaft umrissen, so dass ein weitreichender – aus Sicht der Parteien potenziell nicht hinreichend kontrollierbarer – Entscheidungsraum des Sachwalters verbleibt.

Schließlich handelt es sich bei den Neuerungen zur Offenlegung von Beweismitteln um einen offenen Streitpunkt. Das deutsche Recht ist traditionell sehr restriktiv mit Offenlegungspflichten. Auch die Verbandsklagerichtlinie sieht eine Offenlegung von relevanten Unterlagen nur unter dem Vorbehalt der Grundsätze der Vertraulichkeit und Verhältnismäßigkeit vor. Diesen Erfordernissen wird das deutsche Recht mit seinen unterschiedlichen Instrumenten grundsätzlich gerecht. Aus diesem Grund ist die erstmals vorgesehene Möglichkeit der Androhung und Festsetzung von Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro im Fall einer Nichtvorlage von Dokumenten als überaus kritisch zu sehen.

Eine solche Sanktion ist systemfremd für das deutsche Zivilprozessrecht. Anstatt wie üblich eine etwaige Nichtvorlage im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, wird nun – ganz im Sinne eines aus dem Common Law stammenden Contempt of Court – versucht, eine strafbewehrte Vorlagepflicht einzuführen.

Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass eine Vielzahl von Dokumenten in Common-Law-Rechtskreisen gar nicht vorlagepflichtig wäre, da diese unter weit verstandene Verteidigungsprivilegien fallen (sog. „legal privilege“, bspw. für rechtliche Verteidigungsunterlagen, Untersuchungsberichte oder ähnliche relevante Unterlagen). Der Ansatz des VDuG durchbricht die tradierten und grundsätzlich ausgewogenen Darlegungs- und Beweisgrundsätze des deutschen Zivilprozessrechts daher erheblich.

*) Martin Mekat ist Partner für Dispute Resolution bei Freshfields Bruckhaus Deringer.