Distressed M&A will gut vorbereitet sein
Von Henning Block und
Martin Tasma*)
Obwohl die Covid-19-Pandemie die größte Wirtschaftskrise seit der globalen Finanzkrise 2008/09 ausgelöst hat, ist eine breite Restrukturierungswelle im deutschen Markt bislang ausgeblieben. Das könnte sich jedoch kurz- bis mittelfristig ändern, da der tiefgreifende Wandel von Geschäftsmodellen in vielen Sektoren – zum Beispiel in der Automobilbranche und dem Einzelhandel – weiter anhält. Die Transformation von Geschäftsmodellen führt zu einem hohen Liquiditätsbedarf, den nicht jedes Unternehmen stemmen kann. Hinzu kommt die erhöhte Verschuldungsquote vieler Unternehmen, insbesondere im Zusammenhang mit den Covid-19-Finanzierungen, die demnächst zu einem Refinanzierungsdruck führen werden. Dies lässt erwarten, dass die Zahl von Transaktionen im Distressed-M&A- Segment ansteigen wird.
Distressed-M&A-Transaktionen werden in der Regel nicht aktiv eingeleitet, sondern sind Folge von Sondersituationen wie einer finanziellen Restrukturierung oder einer Unternehmensinsolvenz. Verkäufern bleibt in der Prozessgestaltung oft kaum Vorbereitungszeit, sodass Distressed-M&A-Prozesse häufig auf Basis von „imperfect information“ initiiert werden. Eine wesentliche Herausforderung ist dabei die schnelle Identifizierung der Werttreiber, um neben der Equity Story auch ein schlüssiges Restrukturierungskonzept vermarkten zu können. Eine weitere Herausforderung gegenüber dem klassischen zweistufigen M&A-Prozessmodell mit einer initialen Bieteransprache in der Anfangsphase auf Basis erster Informationen und finaler Phase mit verkleinertem Bieterfeld bei voller Due Diligence ist die Flexibilität in der Prozessstruktur. Das zeigt sich zum Beispiel im Rahmen einstufiger Verkaufsprozesse mit einer schnellen Phase der Bieterqualifikation und dem früheren Einstieg in die Due Diligence. Neben einem Gesamtverkauf des Unternehmens wird häufig zugleich auch der Verkauf einzelner Geschäftsbereiche vorbereitet.
Darüber hinaus ist das Stakeholder-Management komplex: Während reguläre M&A-Prozesse häufig allein vom Gesellschafter „kontrolliert“ werden, erfordern Distressed-Transaktionen zusätzlich die Koordination insbesondere von Kreditgebern, Lieferanten und Kunden und unterliegen dabei erhöhten Transparenzanforderungen.
Eine breite Bieteransprache ist auch in Distressed-Transaktionen der Ausgangspunkt, um objektiv nachvollziehbar Transaktionssicherheit und Kaufpreismaximierung zu gewährleisten. Dabei unterscheidet sich die Herangehensweise strategischer Käufer von derjenigen spezialisierter Finanzinvestoren. Auf Turnaround-Situationen spezialisierte Finanzinvestoren tun sich im Krisenumfeld oft leichter: Sie sind mit Strukturierungsmöglichkeiten vertraut, können Risiken auf Basis von Erfahrungswerten bepreisen und sind es gewohnt, eng gesteckte Zeitschienen einzuhalten. Strategische Investoren tun sich in Distressed-Situationen hingegen häufig bei der Bewertung und Umsetzungsgeschwindigkeit schwerer und wenden oft die Erwerbskriterien für „gesunde“ Unternehmen an.
Dieses Spannungsfeld bietet Chancen, Wettbewerb zu erzeugen. Der Kauf aus Krisensituationen eröffnet strategischen Käufern die Möglichkeit, das Synergiepotenzial der Akquisition signifikant zu erhöhen, da zum Beispiel im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Organisationsstruktur des Zielunternehmens bereits vor dem Closing angepasst werden kann. Das steigert den Preisdruck für Finanzinvestoren. Auf der anderen Seite erhöht die Umsetzungsgeschwindigkeit von Finanzinvestoren den Druck auf strategische Käufer, denen ansonsten möglicherweise ein transformativer Zukauf verwehrt bleibt. Neben der Maximierung des Kaufpreises ist es wichtig, alternative Werttreiber zu definieren. Je nach Transaktionsstruktur können der Umgang mit bestehenden Schulden, die Risikominimierung nach Closing sowie die Umsetzung möglicher Earn-out-Mechanismen den „Transaktionswert“ für den Verkäufer deutlich steigern.
Auch der Unternehmenskaufvertrag folgt bei Distressed-M&A besonderen Regeln. Ein Grund hierfür ist, dass der Verkäufer häufig einen sog. „clean cut approach“ verfolgt – jedenfalls, wenn er dem Erwerber eine Mitgift in Form eines negativen Kaufpreises zahlt. Der Verkäufer verlangt dann, dass Risiken im Zusammenhang mit dem Betrieb des Zielunternehmens in der Vergangenheit dem Erwerber zugewiesen werden und der Gewährleistungskatalog auf ein Minimum reduziert bleibt, was in anderen Konstellationen als aggressiv wahrgenommen würde. Weiterhin adressiert der Kaufvertrag bei einem Zielunternehmen in der Krise normalerweise Haftungsrisiken des Verkäufers, die sich gerade bei einem Scheitern der Restrukturierung in einer Insolvenz nach Closing realisieren könnten. Von zentraler Bedeutung sind insofern Haftungsrisiken im Zusammenhang mit gruppeninternen Finanzierungsmaßnahmen (z.B. in der Krise begebene Darlehen) und Austauschgeschäften sowie Carve-outs vor Closing – insbesondere unter dem Aspekt der Insolvenzanfechtung.
Herzstück des vertraglichen Schutzsystems sind Regelungen, wonach der Käufer den Verkäufer im Falle einer Insolvenz der Zielgesellschaft umfassend von Ansprüchen Dritter wie Gläubigern oder einem Insolvenzverwalter freizustellen hat, sog. „insolvency indemnity“. Spiegelbildlich dazu werden oft positive Verhaltenspflichten geregelt – insbesondere sog. „solvency covenants“, womit der Käufer die Durchfinanzierung der Zielgesellschaft für einen gewissen Zeitraum zusichert. In engem Zusammenhang damit stehen „Ringfencing“-Mechanismen, die dem Erwerber bestimmte Handlungen in Bezug auf die Zielgesellschaft für einen konkreten Zeitraum nach Closing untersagen – so etwa Entnahmen in Form von Dividenden oder Managementgebühren. Sind belastbare Käuferzusagen nicht zu erreichen, kann sich der Verkäufer gegen bestimmte Insolvenzrisiken schützen, indem die Transaktion auf Grundlage eines angefertigten Sanierungsgutachtens eines unabhängigen Experten durchgeführt wird. Insbesondere in Bieterprozessen ist hier Fingerspitzengefühl gefragt, weil das Sanierungsgutachten auf dem Business Plan des erfolgreichen Bieters aufsetzen muss, der oft erst kurz vor Zuschlag feststeht.
Besonderes Know-how ist auf Erwerberseite gefordert, wenn die Sanierung der Zielgesellschaft gescheitert ist und ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Der Erwerber steht dann vor der Wahl, das Unternehmen im Wege eines Asset-Deals aus der Insolvenz (sog. übertragende Sanierung) oder Anteile am insolventen Rechtsträger im Wege eines Insolvenz- oder Restrukturierungsplans zu erwerben. Beide Strukturen ermöglichen grundsätzlich eine Bereinigung von Altverbindlichkeiten, unterscheiden sich aber ansonsten recht erheblich und sind nach den Umständen des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen.
Schließlich ist Transaktionserfahrung auf Erwerberseite beim Kauf aus der Insolvenz gefragt: Nur wer die Anforderungen des Insolvenzverwalters kennt und insolvenzrechtliche „No-Gos“ vermeidet, setzt sich in kompetitiven Bieterprozessen erfolgreich durch.
Flexibilität notwendig
Aufgrund der zahlreichen Eigenarten von Distressed-Transaktionen ist es nicht damit getan, standardisierte M&A-Ansätze zu verfolgen und diese in Einzelaspekten anzupassen. Distressed-Transaktionen erfordern einen gesamtheitlichen Ansatz in der Vorbereitung und Ausführung sowie die nötige Erfahrung, um flexibel in äußerst dynamischen Prozessen und Sondersituationen reagieren zu können. Mit dem erwarteten kurz- bis mittelfristigen Anstieg des Transaktionsvolumens sind die Marktteilnehmer gut beraten, sich mit den speziellen Aspekten von Transaktionen in der Krise vertraut zu machen, um attraktive Käufe sowie wertmaximierende und arbeitsplatzsichernde Verkäufe erfolgreich umsetzen zu können. Nur wer gut vorbereitet und aufgestellt in diese Prozesse geht, kann aus den zum Zeitpunkt der Umsetzung vermeintlich risikoreichen Transaktionen eine attraktive und gut berechenbare langfristige Investitionsrendite bzw. ein gutes Verkaufsergebnis erzielen.
*) Henning Block ist Leiter des Restrukturierungsbereichs und Managing Director bei Rothschild & Co., Dr. Martin Tasma ist Partner von Hengeler Mueller.