Ein Hoffnungsträger in stürmischer See
Ein Hoffnungsträger in stürmischer See
Offshore-Windenergie kommt entscheidende Rolle in der Energietransformation zu – Politik setzt ambitionierte Ziele für den Ausbau
Von Sebastian Schneider *)
Kernanliegen der Energietransformation ist der Umstieg von fossilen auf regenerative Energieträger zur Stromerzeugung. Die Windenergie auf See spielt dabei eine Schlüsselrolle. Offshore-Windparks haben gigantische Größe: Heute geplante Projekte werden mehrere Gigawatt Leistung erreichen, während Wind- und Solarparks an Land selten mehr als 100 MW erzeugen. Die Grenzkosten der Erzeugung sind niedriger. Der Ertrag der Turbinen auf dem Meer schwankt Windstärke-bedingt weniger stark als an Land. Die Einspeisung aus Offshore-Windparks führt damit zu geringeren Lastschwankungen im Stromnetz als diejenige aus Photovoltaik und Onshore-Wind. Das ist besonders wichtig, da wir gerade die klassischen grundlastfähigen Erzeuger Kernenergie und Kohlekraft nach und nach abschalten.
Großvolumige Aufträge
Der in Offshore-Windparks erzeugte Strom ist begehrt: Die größten Stromverbraucher wie Technologieunternehmen, die Metall-, Kunststoff- und Chemieindustrie sowie Verkehrs- und Logistikkonzerne schließen langfristige großvolumige Lieferverträge für grünen Strom, sogenannte Corporate Power Purchase Agreements (PPAs), ab. Die dadurch über viele Jahre planbaren Einnahmen erlauben es Windpark-Betreibern, ohne staatliche Förderung auszukommen.
Die Politik hat das Potential erkannt und mit dem Windenergie-auf-See-Gesetz von 2023 ambitionierte Ziele für den beschleunigten Ausbau ausgerufen: Bis 2030 sollen 30 GW Erzeugungskapazität in der deutschen Nord- und Ostsee stehen; bis 2045 sollen es 70 GW sein. Zum Vergleich: In den vergangenen 20 Jahren sind 8 GW entstanden.
Um die Flächen für neue Offshore-Windparks herrscht intensiver Wettbewerb. 2023 wurden acht neue Flächen in Auktionsverfahren vergeben. Die vier größten Projekte mit einer Kapazität von zusammen 7 GW sicherten sich ausgerechnet zwei Mineralölkonzerne für eine Rekordsumme von insgesamt 12,6 Milliarden Euro.
Neben Energieunternehmen ist auch das Interesse von Finanzinvestoren wie Infrastrukturfonds und Pensionskassen ungebrochen. Das breite Investorenfeld wird ergänzt durch Industrieunternehmen mit besonders großem Energiebedarf. Manche von ihnen schließen nicht nur PPAs ab, sondern erwerben gleich Projektbeteiligungen. Und Banken stellen auch im aktuellen Zinsumfeld noch zu ausreichend attraktiven Konditionen Großkredite zur Verfügung.
Widersprüchliche Entwicklung
Die Offshore-Wind-Industrie hat also die technologischen Argumente auf ihrer Seite, erhält politische Unterstützung und zieht ein breites Spektrum von Kapitalgebern an. Das sollten beste Voraussetzungen für erfolgreiche Projekte und Wachstum des Sektors sein. Wer aber zuletzt Nachrichten verfolgte, konnte einen anderen Eindruck gewinnen. In Großbritannien und den USA beendeten Unternehmen die Entwicklung einzelner Projekte, ebenfalls in UK blieb eine Ausschreibung für neue Flächen ohne ein einziges Gebot, führende Turbinenhersteller berichteten zunächst Verluste und erhielten letztlich staatliche Unterstützung.
Das wirft Fragen auf: Wie passt das zusammen und was ist zu tun? Auf die erste Frage gibt es nicht eine Antwort, sondern einen ganzen Strauß.
Nach der Corona-Pandemie stieg der Bedarf an Materialien wie Stahl weltweit rapide. Diese Nachfrage stieß auf leere Lager und begrenzte Frachtkapazitäten. Der Krieg in der Ukraine verstärkte die Inflation. Steigende Rohstoffpreise erhöhen die Kosten der Herstellung von Turbinen, Fundamenten und Kabeln. Europäische Hersteller traf dies in einer Zeit großer Ungewissheit über die langfristige Projektpipeline. Daher zögerten sie, Produktionskapazitäten aufzubauen. Und nicht nur Rohstoffe sind knapp, sondern auch die hochspezialisierten und über Jahre ausgebuchten Errichterschiffe. Für eine Beschleunigung des Ausbaus fehlen zudem Fachkräfte.
Für die Offshore-Windindustrie sind solche Verwerfungen in der Lieferkette besonders kritisch, weil Projekte Jahre im Voraus geplant werden. Ihnen liegt eine Modellierung der Erlöse über eine Projektlaufzeit von bis zu 35 Jahren zu Grunde. Da das deutsche Ausschreibungsmodell de facto dazu führt, dass Projekte keine Förderung mehr erhalten, ist der frühzeitige Abschluss von PPAs Voraussetzung für Planungssicherheit auf der Einnahmenseite. Die Modelle müssen außerdem Annahmen zu Kosten für Bau und Betrieb sowie Zinsen treffen. Sie bestimmen die Einstiegspreise für Investoren und die Gebotspreise, die Bieter im Wettbewerb um neue Projektflächen zu zahlen bereit sind. Diese Preise werden in einem frühen Projektstadium fixiert, während Kosten sich noch erheblich von den Annahmen abweichend entwickeln können.
Der Planungshorizont für Offshore-Windparks ist auch deshalb lang, weil Genehmigungsverfahren lange dauern. Im Durchschnitt vergehen zwei Jahre, bis die aufwendigen Planfeststellungsverfahren abgeschlossen sind. Sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber haben Handlungsbedarf erkannt. Mit dem European Wind Power Action Plan hat die EU-Kommission im Oktober 2023 angekündigt, europaweit die Geschwindigkeit und Planbarkeit von Genehmigungsverfahren zu verbessern. Eine EU-Notfallverordnung ermöglicht bereits, auf die Umweltverträglichkeitsprüfung zu verzichten. Und das Erneuerbare-Energien-Gesetz stellt fest, dass Windparks im überragenden öffentlichen Interesse stehen; dadurch haben sie Vorrang.
Kritik an beiden Verfahren
Die Spielregeln der Auktionen für neue Flächen entscheiden nicht nur darüber, wer ein Projekt realisieren darf. Sie beeinflussen auch Kosten und Planbarkeit der Projekte. Europaweit gelten unterschiedliche Kriterien. In Deutschland gibt es zwei verschiedene Verfahren: Manche Flächen untersucht das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie vor der Auktion auf ihre Eignung.
In der Auktion entscheidet dann eine Kombination aus Gebotspreis und qualitativen Kriterien. Die qualitativen Kriterien messen den Beitrag zur Dekarbonisierung, den Umfang des bereits über PPAs vermarkteten Stroms, die Vermeidung nachteiliger Umwelteinflüsse und den Beitrag zur Fachkräftesicherung. Flächen, die noch nicht auf ihre Eignung untersucht sind, werden an den Höchstbietenden vergeben.
Beide Verfahren werden kritisiert. Über die Sinnhaftigkeit einiger Kriterien lässt sich streiten. Da der rasche Ausbau und die effiziente Systemintegration von Offshore-Wind Priorität haben, läge es nahe, wenn die Vergabekriterien dies reflektierten. Sie könnten etwa den Track Record plangerecht realisierter Projekte oder die Verwendung idealer Turbinen-Technologie berücksichtigen. Wenn stattdessen allein das Höchstgebot entscheidet, gewinnt immer ein Bieter, der seine Gebotsobergrenze entweder nach einer anderen Logik oder mit Annahmen zu Einnahmen- und Kosten bestimmt, die kein Wettbewerber mitträgt. Der Gesetzgeber wird die bekannten Schwächen des Auktionsdesigns dennoch nicht vor den nächsten Auktionsrunden 2024 beheben. Danach wird er aber tätig werden müssen – und auch aus Brüssel getrieben werden. Die EU-Kommission hat sich im European Wind Power Action Plan auch die Harmonisierung der europäischen Auktionsregime vorgenommen. Sie will objektive, transparente und diskriminierungsfreie qualitative Kriterien einführen.
Was ist also zu tun, damit die Schlüsselindustrie der Energiewende zurück in Erfolgsspur kommt? Die Stärken der Offshore-Windenergie sind unverändert. Und ihr Potential ist nicht ausgeschöpft: "Floating Wind", also schwimmende Anlagen, die nicht durch Fundamente im Boden verankert sind, die Bündelung von Offshore-Windparks über Energy Islands und deren grenzüberschreitende Integration in die Stromnetze sowie die Produktion von grünem Wasserstoff durch Elektrolyse auf See zeigen das.
Die Industrie muss aber wieder in die Lage versetzt werden, ihre Stärken auszuspielen. Dazu braucht sie Auktionsverfahren, die nicht zu riskanten Wetten drängen, sondern zukunftsorientierte Planung und Realisierungssicherheit belohnen. Genehmigungsverfahren müssen effizient sein und der großen Bedeutung des Ausbaus der Offshore-Windenergie Rechnung tragen. Und es braucht Planungssicherheit, nicht nur für Windparkbetreiber, sondern auch für die Zulieferer.
Konsequent weiterdenken
Im Dezember 2023 haben sich die Europäische Kommission, 26 Mitgliedsstaaten und mehr als 300 Unternehmen in der European Wind Charta gemeinsam verpflichtet, die Maßnahmen des European Wind Power Action Plan umzusetzen. Die Initiativen auf EU- und nationaler Ebene berühren wichtige Stellschrauben. Sie müssen jetzt konsequent weitergedacht werden und sich praktisch als wirkungsvoll erweisen.
*) Dr. Sebastian Schneider ist Partner bei Hengeler Mueller in Frankfurt.
*) Dr. Sebastian Schneider ist Partner bei Hengeler Mueller in Frankfurt.