Ein scharfes Schwert gegen die Wettbewerbsverzerrung
Ein scharfes Schwert gegen die Wettbewerbsverzerrung
Die Foreign Subsidies Regulation (FSR) ist seit einem Jahr in Kraft – Mehr Fälle als erwartet – Chinesische Unternehmen im Fokus
Von Sarah Blazek *)
Die Ermittler der Europäischen Kommission schwärmten unangekündigt aus. In Warschau und Rotterdam durchsuchten sie Ende April dieses Jahres die Büros des chinesischen Herstellers für Überwachungstechnik und Sicherheitsausrüstung Nuctech im Rahmen eines sogenannten „Dawn Raids“. Der Verdacht der EU-Wächter: Die Chinesen, die unter anderem auch Gepäckscanner für Flughäfen produzieren, verstoßen gegen die sogenannte Foreign Subsidies Regulation (FSR).
Die FSR – zu Deutsch: Verordnung über drittstaatliche Subventionen – soll Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt infolge drittstaatlicher Subventionen entgegenwirken und die Lücke im europäischen Prüfungssystem schließen.
Denn bis zum Inkrafttreten der FSR im Juli 2023 verhinderte das EU-Beihilferecht gleiche Wettbewerbsbedingungen. Während Subventionen, die von Drittstaaten gewährt wurden, bis vor über einem Jahr in der EU noch weitestgehend unkontrolliert blieben, gilt für Subventionen der EU-Mitgliedstaaten bereits seit den Anfängen der EU die europäische Beihilfenkontrolle, welche seit der Jahrtausendwende kontinuierlich an Effektivität und Bedeutung zunahm.
Somit hat die FSR auch eine starke (industrie-)politische Dimension. Insbesondere sollte sie von Anfang an auch die europäische Antwort auf bestimmte protektionistische Entwicklungen der Globalwirtschaft sein, und von Beginn an standen demzufolge auch Subventionen aus China mit im Fokus.
Heikle Spannungslage
Die Jahresbilanz zeigt, dass die EU-Kommission nicht gezögert hat, von ihren neuen Befugnissen umfassend Gebrauch zu machen. Anfängliche Schätzungen von 30 Fällen pro Jahr waren deutlich zu niedrig angesetzt, das kristallisierte sich bereits nach wenigen Monaten heraus.
Die Razzia gegen das Unternehmen Nuctech, das sich zu 100% im Besitz des chinesischen Staates befindet, war die erste unangekündigte FSR-Inspektion und die zweite Ex-Officio-Untersuchung der EU-Kommission. Die ersten Durchsuchungen fanden bereits Anfang April beim chinesischen Lieferanten von Windturbinen Envision und Mingyang statt. Dieser Auftakt versinnbildlicht die heikle Spannungslage, in welcher sich die FSR regelungstechnisch befindet. Denn mitunter sind die Grenzen zwischen dem Anwendungsbereich der FSR und dem WTO-Handelsrecht, das expliziten Vorrang gegenüber der FSR genießt, fließend, und eine genauere Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Bereiche wird der weitere Zeitverlauf konturieren. Nuctech legte Ende Mai beim Gericht der Europäischen Union Rechtsmittel gegen die Ex-Officio-Untersuchung ein. Die Richter werden nun zum ersten Mal die praktische Anwendung der FSR näher klären müssen.
M&A-Transaktion unter Verdacht
Ein anderes Verfahren, das die erste eingehende Prüfung (die sogenannte „Phase 2-Untersuchung“) einer potenziell binnenmarktverzerrenden drittstaatlichen Subvention darstellte, betraf das chinesische Unternehmen Qingdao Sifang Locomotive („CRRC“), eine Tochtergesellschaft des chinesischen Staatsunternehmens CRRC Corporation Limited. Die Prüfung erfolgte im Zusammenhang mit einem öffentlichen Vergabeverfahren des bulgarischen Ministeriums für Transport und Kommunikation mit einem Auftragsvolumen von 610 Millionen Euro. Das chinesische Unternehmen unterbot bei der Ausschreibung das Angebot des einzig anderen Bieters Talgo, einem spanischen Unternehmen, um die Hälfte. Die EU-Kommission führte das deutlich niedrigere Angebot auf Subventionen der chinesischen Regierung zurück. Nach Einleitung des FSR-Verfahrens zog CRRC sein Angebot zurück.
Die bisherigen Verfahren betreffen aber nicht ausschließlich chinesische Unternehmen. Vor etwas mehr als einem Monat wurde beispielsweise die erste eingehende Prüfung (die sogenannte „in-depth investigation“) einer M&A-Transaktion durch die EU-Kommission eingeleitet. Gegenstand der Transaktion ist der (Teil-)Erwerb des europäischen Unternehmens PPF Telecom Group B.V. durch den staatlich kontrollierten Telekommunikationsanbieter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Emirates Telecommunications Group Company PJSC.
Hohe Bußgelder drohen
Grundlage für all jene Verfahren ist, dass die FSR der EU-Kommission verschiedene Instrumente an die Hand gibt, drittstaatlichen Subventionen zu begegnen – und zu sanktionieren. Kommissionsintern ist die Zuständigkeit zwischen den Generaldirektionen Wettbewerb (M&A) und GROW (Vergabe) aufgeteilt.
Stellt ein Unternehmen fest, dass es finanzielle Zuwendungen (keine Subventionen, ein wichtiger Unterschied) aus einem Drittstaat erhalten hat, ist es nach der FSR – bei Überschreiten der Schwellenwerte – verpflichtet, Transaktionen und Beteiligungen an öffentlichen Vergabeverfahren vorab bei der EU-Kommission anzumelden. Darüber hinaus steht der EU-Kommission ein scharfes Schwert in Form eines allgemeinen Instruments zur Marktuntersuchung zur Verfügung. Mit diesem kann die EU-Kommission von Amts wegen – ex officio – tätig werden, auch wenn keine Anmeldepflicht besteht. Im Rahmen solcher Untersuchungen kann die EU-Kommission aus jeglichen Quellen Informationen beschaffen, um mutmaßlich wettbewerbsverzerrende Subventionen zu prüfen. Dabei sind in der FSR bereits besonders schädliche Subventionen benannt, die mit größter Wahrscheinlichkeit den Binnenmarkt verzerren, zum Beispiel unbegrenzte Garantien.
Für Unternehmen sind die Auswirkungen der FSR beträchtlich. Bei anmeldepflichtigen M&A-Zusammenschlüssen besteht ein Vollzugsverbot. Eine unterlassene Anmeldung eines Angebots in einem öffentlichen Vergabeverfahren führt sogar zur automatischen Ablehnung dieses Angebots. Es ist angesichts der hohen Bußgeldandrohungen (in Höhe von bis zu 10% des weltweiten Gesamtumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs) auch darüber hinaus höchst ratsam, sich FSR-konform zu verhalten.
Sorgfältige Vorbereitung
Unternehmen, die regelmäßig an Transaktionen beteiligt sind oder an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen oder allgemein in Sektoren tätig sind, in welchen drittstaatliche Subventionen eine Rolle spielen, sind dazu angehalten, sich intern sorgfältig vorzubereiten. Das betrifft beispielsweise die Bestimmung der internen Zuständigkeit für FSR-Angelegenheiten und eine schnelle Datenverfügbarkeit.
Abschreckend für Investoren
Was oft im Kontext der FSR untergeht: Begrifflich unterscheidet der Normtext zwischen Subventionen und finanziellen Zuwendungen, sodass der Anwendungsbereich der FSR auch eröffnet sein kann, wenn ein Unternehmen mit einem Drittstaat oder einem dem Drittstaat zuzurechnenden privaten Unternehmen – marktüblich – kontrahiert hat. Der weite Anwendungsbereich bedingt die Notwendigkeit einer breiten Datensammlung und entsprechende rechtzeitige Vorbereitungsmaßnahmen.
Die FSR wirkt abschreckend, nicht zuletzt, weil durch die Anmeldepflicht auch das Timing und die Sicherheit von Transaktionen beeinflusst werden. Zwar gilt die FSR auch für EU-Unternehmen gleichermaßen – etwa kann die Anmeldepflicht ebenso bei EU-internen M&A-Transaktionen greifen – jedoch dürften die Vorbehalte gerade für ausländische Investoren am größten sein. Die Hürde ist jedoch mit ausreichender Vorbereitung im Regelfall nicht unüberwindbar.
Hinzu tritt, dass tiefergehende Erkenntnisse zum materiellen Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Verzerrung des Binnenmarktes durch Drittstaatsubventionen noch fehlen. Zwar gibt es seitens der EU-Kommission publizierte Frage- und Antwort-Kataloge, und kürzlich wurde auch ein „Staff Working Document“, welches materielle Fragen adressiert, veröffentlicht. Dennoch bleibt die Erkenntnislage zu materiell-rechtlichen Kriterien nach wie vor dünn, zumal eine „Phase-2-Entscheidung“ – die Orientierung bieten könnte – noch gänzlich fehlt. Das birgt zusätzliche Unsicherheit fü beteiligte Unternehmen.
Auch außenpolitisch wohnt der FSR Sprengpotenzial inne. Das chinesische Handelsministerium etwa zeigte sich durch die Anwendung der FSR zuletzt irritiert und leitete als Gegenreaktion eine Untersuchung der Auswirkungen der Maßnahmen gegenüber chinesischen Unternehmen ein, die sogenannte „Trade Barrier Investigation“.
Angesicht dieser – möglicherweise – heiklen Auswirkungen für Unternehmen, das Investitionsklima in der EU und die außenpolitische Lage, wird die Foreign Subsidies Regulation in der kommenden Zeit umso mehr beweisen müssen, dass sie in der Lage ist, den Wettbewerb im Binnenmarkt wesentlich und wirksam zu schützen und zu fördern.
*) Sarah Blazek ist Partnerin der Kanzlei Noerr und ist spezialisiert auf Kartellrecht, das EU-Beihilferecht und die EU-Drittstaatensubventionsverordnung.