Wasserstoffnetze

Entwurf für die Energierevolution

Die Bundesregierung hat einen Entwurf zur Regulierung von Wasserstoffnetzen vorgelegt. Damit setzt sie ein Zeichen – mehr allerdings noch nicht.

Entwurf für die Energierevolution

Von Martin Borning *)

Die Bundesregierung hat ein Zeichen gesetzt. Mit ihrem am 10. Februar 2021 verabschiedeten „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht“ plant sie, eine Regulierung für reine Wasserstoffnetze in das Energiewirtschaftsgesetz aufzunehmen. Das klingt zwar nüchtern, deutet aber den fundamentalen Wandel der Energiewirtschaft an, der nach dem Willen der Bundesregierung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vollzogen werden soll.

Die geplanten Bestimmungen würden in das deutsche Energierecht zum ersten Mal Regelungen für Wasserstoffnetze und Wasserstoffspeicheranlagen einführen. Solche Netze und Anlagen sollen in einigen Jahren das Rückgrat einer umfassenden Wasserstoffwirtschaft bilden. Dabei würde in großem Umfang Wasserstoff CO2-arm, oder sogar CO2-frei, zum Beispiel durch Elektrolyse von Wasser mittels Strom aus erneuerbaren Energien (sogenannter grüner Wasserstoff), erzeugt. Dieser würde dann in großem Umfang in der Industrie, im Bereich des Schwerlasttransports auf Straßen, auf dem Wasser und in der Luft, aber auch im industriellen und gewerblichen Gebäudesektor eingesetzt. Ziel dieser Maßnahmen ist die Erreichung des Klimaziels einer treibhausgasneutralen Wirtschaft bis zum Jahr 2050. Die dafür erforderliche deutliche Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe soll durch den Einsatz von Wasserstoff ermöglicht und durch grünen Wasserstoff CO2-frei möglich werden.

Die Herausforderung: Die Wertschöpfungskette einer (grünen) Wasserstoffwirtschaft muss erst noch geschaffen werden – von der Erzeugung über den Handel, den Transport, die Speicherung und die Verteilung bis hin zum Verbrauch in der Industrie und im Transportbereich. Aus zahlreichen Pilotprojekten ist noch keine zusammenhängende Struktur entstanden. Zur Förderung des Markthochlaufs der Technologien und Anwendungen für grünen Wasserstoff hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr ihre Pläne in der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) niedergelegt. Die Niederlande, Portugal und Frankreich haben ebenso Wasserstoffstrategien veröffentlicht. Österreich, Polen und Italien arbeiten an eigenen Strategien. Auf EU-Ebene hat die Europäische Kommission gleich drei Strategien entworfen: die Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa, die EU-Strategie zur Integration des Energiesystems sowie die Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität.

Zur Kooperation verpflichtet

Die in den verschiedenen Strategien formulierte Vision einer grünen Wasserstoffwirtschaft kommt einer Revolution des Energiesektors in Deutschland und Europa gleich. Der Gesetzgeber steht dabei vor der schwierigen Aufgabe, diese Revolution durch Regeln zu leiten und zu begleiten. Aber kann eine Revolution überhaupt geregelt verlaufen? Wie kann eine entsprechende Regulierung aussehen? Die Bundesregierung wählt einen interessanten Ansatz – Zwischen Kooperationspflichten und Freiwilligkeit. Betreiber von Wasserstoffnetzen sind grundsätzlich zu nichts verpflichtet, bis auf eine Pflicht zur Kooperation mit anderen Betreibern von Wasserstoffnetzen, soweit diese erforderlich ist, „um eine betreiberübergreifende Leitungs- und Speicherinfrastruktur für Wasserstoff sowie deren Nutzung durch Dritte zu realisieren“. Darüber hinaus ist die Regulierung der Wasserstoffnetze, für die der Gesetzentwurf erste Regelungen enthält, die in ihren Grundprinzipien auf den Regeln für Strom- und Gasnetze beruhen, freiwillig.

Die vorgeschlagene Regulierung von Wasserstoffnetzen betrifft einerseits den diskriminierungsfreien Anschluss und Zugang Dritter zum Netz zu angemessenen und transparenten Bedingungen. Andererseits betrifft sie die gesonderte Rechnungslegung für den Netzbetrieb sowie dessen Entflechtung von anderen Aktivitäten der Wertschöpfungskette, wie Erzeugung, Speicherung und Verbrauch von Wasserstoff. Die Netzentgelte für die Nutzung der Infrastruktur müssen kostenorientiert gebildet und von der Bundesnetzagentur genehmigt werden.

Jeder Betreiber eines Wasserstoffnetzes soll dabei selbst entscheiden können, ob er sich dieser Regulierung unterwirft. Dies gilt jedoch nur, soweit die Bundesnetzagentur (BNetzA) nach entsprechender Prüfung überhaupt einen Bedarf für das Netz des jeweiligen Betreibers festgestellt hat. Geprüft wird dabei insbesondere ein zwischen Netznutzer und Netzbetreiber für den Netzzugang abgestimmter Realisierungsfahrplan. Ein Bedarf ist aber regelmäßig gegeben, wenn das Netz nach den Förderkriterien der Nationalen Wasserstoffstrategie gefördert wird.

Warum sollten Betreiber von Wasserstoffnetzen Interesse an der Regulierung haben? Hier argumentiert der Gesetzentwurf, dass die Infrastruktur durch die regulierten Anschluss- und Zugangsbedingungen eine höhere Attraktivität für ihre Nutzer haben könnte. Da die BNetzA die kostenorientierte Bildung der Netzentgelte sowie die Einhaltung der Regulierungsvorgaben prüft, ist auch die Höhe der Netzentgelte in den Augen der Nutzer leichter zu rechtfertigen.

Bericht zum Ausbaustand

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei hier klargestellt: Die Darstellung der freiwilligen Regulierung bezieht sich nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung allein auf die Regulierung der Betreiber von Wasserstoffnetzen. Betreiber von Wasserstoffspeicheranlagen hingegen unterfallen den genannten Regelungen nicht – mit einer einzigen Ausnahme, für die auch kein Wahlrecht besteht: Sie müssen Dritten grundsätzlich den Anschluss und Zugang zu ihren Speicheranlagen zu angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen gewähren.

Um den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur kontrolliert zu begleiten, sieht der Gesetzentwurf vor, dass ein Bericht zum Ausbaustand der Wasserstoffinfrastruktur und zur Entwicklung einer künftigen Netzplanung erstellt wird. Auf dessen Basis entwickelt die BNetzA Empfehlungen für einen verbindlichen Netzentwicklungsplan Wasserstoff. Dieser Bericht muss erstmals zum 1. April 2022 durch die regulierten Wasserstoffnetzbetreiber in Kooperation mit den nicht regulierten Wasserstoffnetzbetreibern erstellt werden. Darin sind Wechselwirkungen mit dem Netzentwicklungsplan Strom, dem Netzentwicklungsplan Gas und notwendigen Umrüstungen von Erdgasleitungen zu berücksichtigen.

Eine Öffnung des bestehenden – unpassenden – Rechtsrahmens für Wasserstoffinfrastrukturen ist dringend erforderlich. Der Ansatz der Bundesregierung, die noch nicht existierenden Wasserstoffnetze zunächst auch nicht oder nur dort zu regulieren, wo Regulierung vom Markt als hilfreich angesehen werden könnte, ist richtig. Gleiches gilt für die allgemeine Kooperationspflicht der Netzbetreiber. Auch die Klärung der Fragen, wer den notwendigen Netzausbau plant und wie dieser geplant wird, ist notwendig. Allerdings scheint der Gesetzentwurf zu stark vom Ziel einer reinen Wasserstoffinfrastruktur her gedacht zu sein. Übergangstechnologien wie die emissionsarme Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas oder die Beimischung von Wasserstoff zu Erdgas im bestehenden Gasnetz werden nicht berücksichtigt. Schon die Nationale Wasserstoffstrategie hat diese eher als notwendige Übel denn als förderungswürdige Zwischenschritte angesehen. Die Bundesregierung riskiert damit das Ausbleiben oder Verlangsamen dieser Schritte, was letztlich dem Gesamtziel eher schadet als nützt.

Darüber hinaus ist fraglich, wie lange und rechtssicher die vorgeschlagene Regulierung Bestand haben kann. Denn letztlich erfolgt Energieregulierung durch Richtlinien auf europäischer Ebene, die dann in nationales Recht umzusetzen sind. Entsprechende Überarbeitungen des Rechtsrahmens sind von der Europäischen Kommission bereits angekündigt worden. Auch hier stellt sich die Frage, wie die politisch gewünschte Revolution rechtlich geregelt ablaufen kann. Die entsprechenden Regelungsvorhaben können sich daher durchaus hinziehen. Dass die Bundesregierung vor diesem Hintergrund nicht auf Europa wartet und selbst einen ersten Vorschlag macht, ist gut. Damit hat sie ein Zeichen gesetzt. Mehr allerdings noch nicht.

*) Dr. Martin Borning ist Local Partner von Greenberg Traurig in Berlin.