EU-Whistleblower-Richtlinie fordert Unternehmen heraus
Sabine Wadewitz
Herr Dr. Degenhart, zum 17. Dezember 2021 tritt die EU Whistleblower-Richtlinie in Kraft. Was hat es damit auf sich?
Die drei wichtigsten Regelungen: Erstens dürfen Arbeitnehmer Regelverstöße anonym an das eigene Unternehmen oder Behörden melden, wobei sie umfassend geschützt werden. Zweitens müssen alle Unternehmen ab 50 Mitarbeitern Hinweisgebersysteme einrichten. Drittens müssen Behörden Meldestellen einrichten, an die sich Hinweisgeber – auch prioritär – wenden dürfen.
Beginnen wir mit dem Schutz für Arbeitnehmer. Was bedeutet das für die Unternehmen?
Ab dem Moment des Eingangs des Hinweises beim Unternehmen oder der Behörde ist der Hinweisgeber umfassend vor allen denkbaren Repressalien geschützt. Wichtig ist hier die vorgesehene Beweislastumkehr: Zugunsten des Hinweisgebers wird zunächst vermutet, dass eine vom Hinweisgeber geltend gemachte Benachteiligung eine ungerechtfertigte Repressalie war. De facto entsteht also eine Art „Sonderkündigungsrecht“ für Hinweisgeber.
Welche Firmen sind betroffen?
Die Richtlinie trifft sämtliche Unternehmen ab 50 Mitarbeitern. Dies führt zu massiven Konsequenzen. Während die bisherige Rechtslage Hinweisgebersysteme schwerpunktmäßig im Finanzsektor vorschreibt, gelten die neuen Pflichten branchenunabhängig für sämtliche Unternehmen.
Wie hat so ein internes Hinweisgebersystem konkret auszusehen?
Ein internes Hinweisgebersystem ist ein vertraulicher Kommunikationskanal zum Unternehmen. Dieser Kommunikationskanal sollte persönliche und digitale Erreichbarkeit vorsehen. Wichtig ist die Person, die für das Unternehmen die Hinweise entgegennimmt: Die Anforderungen an diese Person sind hoch, denn sie muss Hinweise unabhängig und ohne Interessenkonflikte entgegennehmen und bearbeiten. Das Unternehmen kann hierfür einen Mitarbeiter beauftragen oder einen externen Compliance-Beauftragten engagieren. Eine abhängige Beschäftigung muss der Unabhängigkeit der Vertrauensperson zwar nicht zwingend entgegenstehen. Aber gerade für kleinere Unternehmen werden diese Anforderungen Schwierigkeiten mit sich bringen. Hier bietet die Beauftragung eines externen Compliance-Beauftragten Vorteile.
Wie müssen Unternehmen mit Meldungen umgehen?
Der Hinweisgeber hat die Wahl, ob er die Meldung über ein internes Hinweisgebersystem abgibt oder ob er sich an einen behördlichen Meldekanal wendet. In Ausnahmefällen kann der Hinweisgeber die Meldung auch öffentlich bekannt machen. Nach Eingang eines Hinweises muss das Unternehmen den Hinweis prüfen und dem Hinweisgeber innerhalb einer engen Frist eine qualifizierte Rückmeldung geben.
In welchem Verhältnis steht der Schutz von Hinweisgebern zu Verschwiegenheitspflichten?
Diese Frage birgt großes Konfliktpotenzial: So könnten sich Organe einer Gesellschaft, die besonderen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, wie zum Beispiel Aufsichtsräte, auf die Whistleblower-Richtlinie berufen, wenn sie Regelverstöße intern oder extern melden.
Ist ein nationales Umsetzungsgesetz geplant?
Deutschland muss die Richtlinie bis Dezember 2021 umsetzen. Aufgrund eines Koalitionsstreits ist mit einer rechtzeitigen Umsetzung nicht mehr zu rechnen. Da die Richtlinie konkret genug und unbedingt ist, entfaltet sie in weiten Teilen unmittelbare Wirkung.
Was kann man Unternehmen aktuell empfehlen?
Aus eigener Erfahrung als externer Compliance-Beauftragter kann ich sagen, dass Whistleblowing funktioniert und befürchtete Denunziationen in der Praxis äußerst selten vorkommen. Ein Pluspunkt eines Hinweisgebersystems ist zudem die Möglichkeit, früh substanzielle Erkenntnisse über Fehlentwicklungen zu erlangen und rechtzeitig gegensteuern zu können. Am Ende des Tages sollten die Unternehmen stets Anreize schaffen, dass mögliche Hinweisgeber sich zuerst an das Unternehmen wenden und nicht extern an eine Behörde oder gar die Öffentlichkeit melden. Denn ist der Geist erst aus der Flasche, lässt er sich nicht mehr zurückzwingen.
Dr. Maximilian Degenhart ist Rechtsanwalt und Compliance Officer (TÜV) bei Beiten Burkhardt.
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