EU will kleineren Firmen Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern.
Sabine Wadewitz
Herr Prof. Schlitt, die EU-Kommission will mit dem EU Listing Act kleinen und mittelgroßen Unternehmen den Börsengang erleichtern. Mit welcher Motivation?
Das im Zuge der Covid-19-Pandemie im Juni 2020 initiierte „Capital Markets Recovery Package“ sah Änderungen in der EU-Prospektverordnung und der MifidII-Richtlinie vor, wie etwa die Einführung eines reduzierten EU-Wiederaufbauprospekts. Allerdings war diese Initiative anlassbezogen und daher nicht ausreichend, den Zugang für KMUs zum Kapitalmarkt nachhaltig zu erleichtern. Die Initiative „EU Listing Act“ der Europäischen Kommission zielt nunmehr darauf ab, den Zugang zum Kapitalmarkt für Unternehmen, vor allem Small- und Mid-Caps (KMU), zu vereinfachen, um diesen eine flexiblere Aufnahme von Eigen- und Fremdkapitalmitteln zu ermöglichen. Auf diese Weise soll eine schnelle wirtschaftliche Erholung im Krisenfall und ein nachhaltiges Wachstum sichergestellt werden.
Welche Vereinfachungen beim IPO und bei Folgeemissionen sind für KMUs geplant?
Die „EU Listing Act“-Initiative setzt insbesondere an der Prospektverordnung, der Marktmissbrauchsverordnung, der MifidII und der Börsenzulassungsrichtlinie an. So wird etwa darüber nachgedacht, die inhaltlichen Vorgaben für Wertpapierprospekte zu reduzieren und den Anwendungsbereich von Prospektausnahmen zu erweitern. Im Bereich des Marktmissbrauchsrechts wird erwogen, die Vorgaben für eine verzögerte Offenlegung von Insiderinformationen zu präzisieren. Zudem sollen die Marktsondierungsregeln vereinfacht werden. Da KMUs nicht der Aktionärsrichtlinie und der Transparenzrichtlinie unterworfen sind, wird ferner die Schaffung eines speziellen Corporate-Governance-Rahmens zur Diskussion gestellt, um die Investorenakzeptanz zu erhöhen. Einen wahren Paradigmenwechsel stellt es dar, dass sogar über die Einführung von Aktien mit Mehrfachstimmrechten nachgedacht wird. Schließlich wird über spezielle Regelungen für Special Purpose Acquisitions Companies (Spacs) nachgedacht. Über Einzelheiten soll im Herbst nach Abschluss der Konsultation entschieden werden.
Würden Unternehmen von Erleichterungen bei der Prospekterstellung profitieren?
Erleichterungen im Hinblick auf den Prospektinhalt und ein verkürztes Billigungsverfahren wären sicher wünschenswert. Das Beispiel des in der Praxis kaum angenommenen EU Growth Prospectus zeigt aber, dass abgespeckte inhaltlichen Vorgaben für sich genommen nicht ausreichen. Die Investorenerwartung bei internationalen Platzierungen und ein unverändertes Prospekthaftungsregime werden eine Reduzierung des Prospektumfangs schwer machen. Die Ausdehnung der Prospektausnahmen wäre sicher wirkungsvoller.
Werden die erwogenen Maßnahmen das Problem des Kapitalmarktzugangs von KMUs lösen?
Sicherlich gehen viele der angedachten Maßnahmen in die richtige Richtung. Die Market-Sounding-Regeln für KMUs zu lockern, ist sicher hilfreich, da Investoren gerade bei wenig liquiden Werten zurückhaltend sind, sich den damit verbundenen Handelsrestriktionen zu unterwerfen. Ob hingegen eine Reduktion des Mindeststreubesitzes hilfreich ist, erscheint mir zweifelhaft. Denn Investoren zielen gerade sehr häufig auf liquide Werte ab. Essentiell ist die Verbesserung der Research-Coverage für KMUs. Nachdem die durch die Mifid eingeführten Restriktionen dem Investoreninteresse einen Bärendienst erwiesen habe, da einige Häuser ihre Research-Aktivitäten reduziert bzw. ganz aufgegeben haben, wären Erleichterungen insoweit sicher begrüßenswert.
Was müsste sich noch ändern?
Ich bin der festen Überzeugung, dass regulatorische Erleichterungen alleine nicht ausreichend sind, um den Kapitalmarktzugang von KMUs nachhaltig zu erleichtern. Ein IPO-williges KMU wird sich kaum durch den zeitlichen und finanziellen Aufwand bei der Prospekterstellung abschrecken lassen. Das Hauptproblem bleibt vielmehr die häufig nicht ausreichende Investorennachfrage und die damit verbundene Transaktionsunsicherheit. Hier würden steuerliche und aufsichtsrechtliche Incentivierungen für Investoren, in Small- und Midcaps zu investieren, einen effektiven Beitrag leisten.
Prof. Dr. Michael Schlitt ist Partner von Hogan Lovells und Honorarprofessor an der Universität zu Köln.
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