EU fördert Mobilität von Kapitalgesellschaften
Von Patrick Müller*)
Die Covid-19 Pandemie hält inzwischen seit über einem Jahr Menschen und Unternehmen gleichermaßen in Schach. Unternehmen werden durch diese historische Krise mit einer Vielzahl von wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Herausforderungen konfrontiert. Gleichzeitig stellt diese Krise aber auch eine Chance dar, um gewissermaßen aus der Not eine Tugend zu machen, indem die jeweilige Unternehmensstruktur möglichst effektiv umgestaltet wird.
Nicht wenige Unternehmen machen hiervon in der gegenwärtigen Situation bereits Gebrauch, um die internen Strukturen und Abläufe „fit“ und krisenfest für die nächsten Dekaden zu machen. Das rechtliche Korsett hierfür findet sich hierzulande insbesondere in den Bestimmungen des Umwandlungsgesetzes. Die Gesetzgeber in Brüssel und Berlin sind sich dessen – nicht erst seit Ausbruch der „Coronakrise“ – bewusst und schließen mit einer Reihe aktueller Reformbemühungen gleich mehrere aktuelle Rechtslücken. So wurden unter anderem durch das „EU Company Law Package 2018“ EU-weite Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel geschaffen. Gleichzeitig werden auf nationaler Ebene Personengesellschaften erstmals in den Anwendungsbereich grenzüberschreitend verschmelzungsfähiger Rechtsträger aufgenommen.
Anpassungen
Grenzüberschreitende Verschmelzungen wurden bereits in der Vergangenheit im Zuge der EU-Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesRRL) kodifiziert und durch die Einführung der Paragrafen 122 a ff. Umwandlungsgesetz (UmwG) in nationales Recht umgesetzt. Diese Vorschriften werden durch die 2019 in Kraft getretene Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (MobilRL), welche (neben einer Digitalisierungsrichtlinie) eine wesentliche Säule des EU Company Law Package darstellt, im Detail angepasst und erweitert.
Vor allem wird durch die MobilRL aber erstmals ein EU-weites Regelwerk für grenzüberschreitende Formwechsel (das heißt Änderung der Rechtsform unter Beibehaltung aller Aktiva und Passiva) und Spaltungen (Verteilung bestehender Aktiva und Passiva auf mindestens zwei Gesellschaften) geschaffen. Hierdurch soll die EU-weite Mobilität von Kapitalgesellschaften gefördert werden.
Neue Schutzvorschriften
Die EU-Richtlinie zu grenzüberschreitenden Formwechseln, Spaltungen und Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften enthält für jede der vorgenannten Umwandlungsmaßnahmen Verfahrensregeln und Vorschriften zum Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern sowie Regeln für die Wirksamkeit und Eintragung der betreffenden Vorhaben. Es muss von der Gesellschaft jeweils ein Plan erstellt werden, der die wichtigsten Informationen über die zukünftige Gesellschaft enthält, einschließlich Form, Zeitplan, Sicherheiten und Auswirkungen auf bestimmte Bereiche. Diese Richtlinien-Vorgaben sind bis zum 31. Januar 2023 jeweils in nationales Recht umzusetzen.
Dokumentenaustausch
Eine weitere Neuerung ist, dass der Austausch von Dokumenten und die Kommunikation zwischen den Unternehmensregistern in den Mitgliedstaaten zukünftig ausschließlich über das neue paneuropäische System zur Verknüpfung von nationalen Unternehmensregistern (Business Register Interconnection System – BRIS) erfolgen sollen. Sobald dem zuständigen Register eine Vorabbescheinigung über den grenzüberschreitenden Vorgang vorgelegt wird, muss diese Stelle nur noch prüfen, ob das im Zuzugsmitgliedstaat stattfindende Verfahren gemäß den anzuwendenden Vorschriften stattgefunden hat.
Unsicherheiten beseitigt
Die Vorabbescheinigung gilt als Nachweis dafür, dass der Vorgang bis zu diesem Zeitpunkt nach dem bisherigen nationalen und europäischen Recht ordnungsgemäß war. Sobald ein grenzüberschreitender Vorgang eingetragen und wirksam wird, kann er nicht nachträglich für nichtig erklärt werden. Die Mitgliedstaaten können nur in engen Grenzen bei schwerwiegenden Missbräuchen und betrügerischen Handlungen Sanktionen verhängen.
Die Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen regelt zudem sowohl für die Vorhaben selbst als auch bei Rechtsstreitigkeiten klar, in welcher Situation welches nationale Recht anzuwenden ist, was bisherige Rechtsunsicherheiten in der Praxis beseitigen dürfte.
Die Richtlinie findet keine Anwendung auf Personengesellschaften. Personengesellschaften können sich daher auf EU-Ebene für grenzüberschreitende Vorhaben vorerst nur auf die EU-Rechtsprechung (insbesondere die Polbud-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2017) und den allgemeinen Grundsatz der Niederlassungsfreiheit berufen.
Es steht den Mitgliedstaaten jedoch offen, den Anwendungsbereich der Richtlinie im nationalen Recht auf Personengesellschaften auszudehnen. Genau dies hat der nationale Gesetzgeber mit der Neufassung des Paragrafen 122b Umwandlungsgesetz getan.
Reaktion auf den Brexit
Hiermit wurde rechtspolitisch insbesondere auf den inzwischen vollzogenen Brexit reagiert. Den hiervon betroffenen Gesellschaften in der Rechtsform der Ltd. mit inländischem Verwaltungssitz soll so der Weg in eine haftungsbeschränkte Rechtsform deutschen Rechts ohne Mindestkapital in Form der GmbH & Co. KG eröffnen werden. Da auch die Unternehmergesellschaft vom Regelungsgehalt des Paragrafen 54 Umwandlungsgesetz nach herrschender Meinung erfasst wird, wäre diese Neuregelung streng genommen nicht zwingend erforderlich gewesen. Jedoch ist der Anwendungsbereich des Paragrafen 122 b Umwandlungsgesetz (neue Fassung) nicht auf vom Brexit betroffene Gesellschaften begrenzt und daher grundsätzlich zu begrüßen.
Fallstricke
Die Praxistauglichkeit dieser Neuregelung wird indessen durch eine Mehrzahl von Anwendungsbeschränkungen reduziert. So erfasst der neugefasste Wortlaut nur Hineinverschmelzungen in Personengesellschaften deutschen Rechts. Hinausverschmelzungen werden nicht erfasst. Auch muss der übertragende Rechtsträger eine (ausländische) Kapitalgesellschaft sein. Grenzüberschreitende Verschmelzungen zwischen Personengesellschaften werden von der Neufassung nicht abgedeckt.
Ob diese gesetzlichen Beschränkungen einer gerichtlichen Überprüfung im Hinblick auf die EU-Niederlassungsfreiheit standhalten werden, bleibt abzuwarten.
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Gesetzgeber in Brüssel und Berlin die zunehmende Praxisrelevanz grenzüberschreitender Umwandlungsmaßnahmen im Blick haben und auf derzeit bestehende Rechtsunsicherheiten in der Anwendung EU-weiter Rechtsgrundsätze durch die hier dargestellten Reformen zumindest zum Teil schließen. Die Effektivität und der Nutzen der neuen Rechtsvorschriften in der Praxis werden sich aber erst noch bewähren müssen.
In die richtige Richtung
Auch bleiben weitere Rechtsunsicherheiten bestehen. So gibt es beispielsweise weiterhin keine gesetzlichen Bestimmungen für die Durchführungen von grenzüberschreitenden Spaltungen und Formwechsel von Personengesellschaften. Auch regelt die Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen ausschließlich grenzüberschreitende Spaltungen zur Neugründung. Die durchaus praxisrelevante Spaltung zur Aufnahme in eine bereits bestehende Gesellschaft ist von der Richtlinie nicht erfasst. Dies macht weitere Harmonisierungen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in Zukunft erforderlich. Die neuen nationalen und EU-weiten Umwandlungsvorschriften sind aber grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung.
*) Dr. Patrick Müller ist Salaried Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek in Düsseldorf.