Lieferkettengesetz

Gesetz ruft zahlreiche Risiken hervor

Die Kritik der Wirtschaftsverbände, das Gesetz rufe unüberschaubare Risiken hervor, erscheint angesichts der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe und umfangreicher Handlungspflichten berechtigt.

Gesetz ruft zahlreiche Risiken hervor

Von Anke Sessler und

Sarah Johnen*)

Anfang März hat die Bundesregierung den Entwurf eines Lieferkettengesetzes zur Verhinderung menschenrechts- und umweltbezogener Verletzungen verabschiedet, welches das Parlament noch in dieser Legislaturperiode durchwinken will. Die Kritik der Wirtschaftsverbände, das Gesetz rufe unüberschaubare Risiken hervor, erscheint angesichts der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe und umfangreicher Handlungspflichten berechtigt.

Die Regierung will zunächst – stufenweise – nur große Unternehmen in die Verantwortung nehmen: Etwa 600 Betriebe ab 3000 Mitarbeitern müssten das Gesetz ab 2023 umsetzen; 2300 weitere (mit mehr als 1000 Mitarbeitern) ab 2024. Kein Handlungsbedarf besteht für Unternehmen, welche die Kriterien des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) erfüllen.

Indem der Entwurf vorsieht, die Pflichten seien „in angemessener Weise“ zu beachten, zeigt die Regierung zwar, dass sie nicht jedes Unternehmen gleichermaßen in der Verantwortung sieht. Wie weit die Handlungspflicht geht, soll jedoch von vagen Kriterien abhängen, etwa von Art und Umfang der Geschäftstätigkeit oder Einflussvermögen auf Verursacher. Die Begründung konkretisiert: „Bergbau und Mineralien“, „Entsorgung“, „Forstwirtschaft“, „Im­mobilien“ und „Wasserwirtschaft“ seien wegen vorwiegend in Deutschland stattfindender Wertschöpfung und geringer Risiken von der Neuregelung „praktisch nicht betroffen“. Höhere, aber vorwiegend innerdeutsche Risiken sieht das Kabinett im „Baugewerbe“, bei „Landwirtschaft und Fischerei“, „Personal-, Reinigungs- und Sicherheitsdienstleistungen“ sowie „Transport und Logistik“. Allen anderen Branchen werden schwerere Risiken attestiert und sogar sehr schwere für Importeure aus dem außereuropäischen Ausland. Besonders hart träfe es wohl das produzierende Gewerbe, zum Beispiel die Automobilindustrie und alle von der außereuropäischen Textilproduktion abhängigen Branchen. Abzuwarten bleibt, ob der Gesetzgeber zumindest der Forderung des VDMA nachkommt, Länder zu benennen, in denen angesichts einer staatlich garantierten Durchsetzung der Menschenrechte keine Risikoanalyse durchzuführen ist.

Adressierte Unternehmen haben künftig besondere Prüf-, Berichts- und Dokumentationspflichten zu erfüllen: Sie müssen einen Menschenrechtsbeauftragten benennen und mit einer Risikoanalyse eigene Risiken und die der unmittelbaren Zulieferer identifizieren. Auch zur Einrichtung eines Beschwerdesystems sind sie verpflichtet, wobei bestehende interne Whistleblower-Systeme oder Systeme der Branchenverbände genutzt werden können. Die Pflichtenerfüllung ist zu dokumentieren und ein öffentlich zugänglicher Bericht zu fertigen.

Werden Risiken ermittelt, gelten Präventionspflichten wie die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung und die Umsetzung einer risikovermeidenden Beschaffungsstrategie. Auch Schulungen und risikobasierte Kontrollmaßnahmen werden erwartet. Bei der Auswahl neuer Zulieferer müssen eigene menschenrechtsbezogene Erwartungen (Lieferantenkodex) berücksichtigt und vom Geschäftspartner zugesichert werden. Wird eine (drohende) Verletzung festgestellt, muss diese verhindert bzw. ihr abgeholfen werden. Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich müssen beendet werden, während hinsichtlich der Zuliefererebene „nur“ entsprechende Bemühungen geschuldet sind. Ist die Beendigung unmöglich, fordert der Entwurf ein Konzept zur Verletzungsminimierung, etwa durch Einflussnahme im Rahmen von Brancheninitiativen, und als Ultima Ratio den Abbruch der Geschäftsbeziehung.

Im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern gelten Pflichten nur bei Kenntnis von Verletzungen. Es ist Unternehmen allerdings davon abzuraten, durch Umstrukturierung der Vertragsbeziehungen den gegenüber unmittelbaren Zulieferern geltenden Pflichten entgehen zu wollen. Die Regierung hat Umgehungsmöglichkeiten bedacht und fingiert die unmittelbare Zulieferereigenschaft, wenn der zwischengeschaltete Zulieferer keiner nennenswerten Wirtschaftstätigkeit nachgeht. Unternehmen können die im NAP vorgesehenen Unterstützungsangebote nutzen, zum Beispiel das Infoportal der Regierung zur Unternehmensverantwortung und Schulungsangebote des Deutschen Global Compact Netzwerks. Weitere Angebote hat das BMZ angekündigt.

Von einer zunächst angedachten zivilrechtlichen Haftung für Schadensfälle bei Zulieferern blieb allein eine besondere Prozessstandschaft für inländische Gewerkschaften und NGOs. Dies dürfte die Klageerhebung erleichtern. Über die Hürde, eine geeignete Anspruchsgrundlage zu finden, hilft der Entwurf jedoch nicht hinweg. Dennoch können Unternehmen nicht aufatmen: Die EU-Kommission will bald Sorgfaltspflichten für Unternehmen mit Zugang zum EU-Binnenmarkt festlegen. Das EU-Parlament empfiehlt die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung entlang der gesamten Lieferkette. Selbst kleinere Betriebe werden gezwungen sein, ihre Prozesse zu überprüfen, da die EU-Regelung statt an die Mitarbeiterzahl an Börsennotierung oder Branchenzugehörigkeit anknüpfen könnte. Die Ankündigung der Bundesregierung, das deutsche Lieferkettengesetz an eine europäische Regelung anzupassen, um „Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu verhindern“, klingt deshalb zynisch.

*) Dr. Anke Sessler ist Partner, Dr. Sarah Johnen Associate bei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom.