Gesetzgeber will Patenttrolle stoppen
Von Susan Kempe-Müller und
Pia Sophie Sösemann*)
Patent-Trollen Einhalt gebieten – das versprechen sich Gesetzgeber und Interessenverbände von der Novelle des Patentgesetzes, die der Bundestag am 10. Juni 2021 verabschiedet hat. Das derzeitige Geschäftsmodell der sogenannten Patent-Trolle ist lukrativ: Dahinter stehen Einzelpersonen oder Unternehmen, die Inhaber von Patenten sind und ihre Patente nicht auf herkömmliche Weise verwerten wollen. Ihre Absicht ist es stattdessen, Dritte, die das Patent in ihren Produkten verwenden, zum Abschluss von Lizenzvereinbarungen zu zwingen.
Der Gesetzgeber hat sich den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch aus § 139 Patentgesetz (PatG), im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vorgenommen. Die ursprüngliche Regelung wurde dabei um den Zusatz ergänzt: „Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.“ Konkret bedeutet dies: Das Gericht hat die Möglichkeit, einen eigentlich bestehenden Unterlassungsanspruch vollständig oder teilweise auszuschließen, wenn die Durchsetzung des Anspruches nicht verhältnismäßig erscheint.
Dass die Verhältnismäßigkeit im Rahmen des patentrechtlichen Unterlassungsanspruches geprüft wird, ist nicht neu und wurde bereits durch den Bundesgerichtshof in der sogenannten Wärmetauscher-Entscheidung festgelegt (Urteil vom 10.5.2016, X ZR 114/13). Es handelt sich, so die jetzige Gesetzesbegründung, um eine gesetzgeberische Klarstellung, die auch bei den Instanzgerichten für eine einheitliche Anwendung sorgen soll. Es ist zu erwarten, dass die Verhältnismäßigkeit ein wichtiger Teil von Patentstreitigkeiten wird.
Verliert der Patentinhaber seinen Unterlassungsanspruch, bedeutet dies jedoch eine erhebliche Einschränkung. Die Gerichte werden den Unterlassungsanspruch deshalb nur in seltenen Fällen vollständig ausschließen. Es besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den Anspruch nur teilweise auszuschließen bzw. ihn zu beschränken. So können die Richter und Richterinnen dem Patentverletzer eine Aufbrauchfrist gewähren, die es ihm erlaubt, bereits produzierte und vorrätige Produkte bis zu einem gewissen Zeitpunkt weiter zu verkaufen. Denkbar ist auch, dass dem Patentverletzer eine Frist zur Umstellung eingeräumt wird, in der der Verletzer eine Alternative entwickeln kann, die das Patent nicht weiter verletzt.
Ohne Konsequenz für den Verletzer bleibt ein Ausschluss bzw. eine Beschränkung des Unterlassungsanspruchs trotzdem nicht: Bei einem (teilweisen) Ausschluss sieht der neugefasste § 139 PatG vor, dass der Verletzte einen angemessenen Geldausgleich vom Patentverletzer er-halten kann. Das Gericht kann also entscheiden, dass im Einzelfall ein Unterlassungsanspruch nicht (vollständig) besteht und gleichzeitig dem Verletzten eine Ausgleichszahlung gewähren. Dieser Ausgleichsanspruch besteht unabhängig von sonstigen Schadenersatzansprüchen, die der Patentinhaber weiterhin geltend machen kann.
Die Neufassung des § 139 PatG verzichtet darauf, Kriterien zu nennen, die zur Abwägung der Verhältnismäßigkeit herangezogen werden können. Die Begründung zum Gesetzesentwurf nennt jedoch beispielhaft Faktoren, die in die Würdigung mit einfließen können. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Frage, was den Patentinhaber tatsächlich dazu bewegt hat, den Patentverletzer abzumahnen: Besitzt der Patentinhaber ein Konkurrenzprodukt, das mit dem verletzten Produkt im Wettbewerb steht, so dass mit dem Unterlassungsverlangen vor allem die eigene Innovation geschützt werden soll? Oder geht es dem Patentinhaber vor allem darum, aus der Verletzung Kapital zu schlagen und den Verletzer dazu zu bringen, eine Lizenzvereinbarung über das Patent abzuschließen? Es liegt an dem Verletzer, diese tatsächlichen Beweggründe darzulegen, was im Einzelfall nicht immer ohne Weiteres gelingen wird.
Ein wichtiger Anhaltspunkt kann eine überzogene Lizenzforderung sein, die der Patentinhaber an den Verletzer stellt. Die Gesetzesbegründung geht jedoch nicht davon aus, dass es sich zwangsweise zulasten des Patentinhabers auswirkt, wenn er nicht selbst das Patent nutzt, sondern durch Dritte nutzen lässt. Dies soll vor allem kleine Unternehmen und Einzelerfinder schützen, die bei der Verwertung auf die Unterstützung Dritter angewiesen sind.
Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Unterlassungsverfügung sollen bei der Abwägung von den Gerichten berücksichtigt werden. Hat der Verletzer in die Entwicklung und Herstellung des patentverletzenden Produkt viel investiert, so kann ihm bei einer Unterlassungsverfügung ohne Aufbrauchfrist ein Schaden in einer Höhe drohen, der außer Verhältnis zum Wert des verletzten Patents steht. Dies ist vor allem bei dem Vertrieb komplexer Produkte der Fall, die oft eine Vielzahl patentgeschützter Komponenten enthalten und deren Umgestaltung einen hohen wirtschaftlichen und finanziellen Aufwand bedeutet. In solch einem Fall kann es angemessen sein, dem Patentverletzer eine Aufbrauchfrist einzuräumen.
Neben den wirtschaftlichen Faktoren sollen auch subjektive Elemente nicht außer Acht gelassen werden. Hat ein Produzent die Patentverletzung sehenden Auges begangen, ohne Vorkehrungen zu treffen oder sich um Lizenzvereinbarungen zu bemühen? Hätte die Patentverletzung durch eine vorgehende Analyse vermieden werden können? Diese Fragen sind für den Abwägungsvorgang von großer Bedeutung. Unter engen Voraussetzungen können auch die Interessen Dritter in diese Abwägung mit einfließen, zum Beispiel wenn ein sofortiger Produktionsstopp wichtige Infrastruktur wie die Versorgung eines Krankenhauses erheblich beeinträchtigen würde.
Die Interessenverbände aus der Wirtschaft bewerten die Reform des § 139 PatG sehr unterschiedlich. Großen Zuspruch erhält die Neuregelung in der Automobilindustrie. Moderne Fahrzeuge sind hochkomplexe Produkte mit einer Vielzahl von Komponenten. Das ruft Patent-Trolle auf den Plan. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betonte in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf der Patentnovelle, dass die Gesetzesreform ein wichtiges Instrument ist, um genau diese missbräuchliche Nutzung des Unterlassungsanspruches zu unterbinden.
Auch die Initiative IP2Innovate, zu der Unternehmen wie Google, SAP, Microsoft, BMW, Daimler und Adidas gehören, begrüßt die Gesetzesänderung. Die Initiative betont, dass die Neuregelung vor allem deshalb notwendig sei, um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Innovationsstandorts Deutschland zu erhalten.
Kritik aus der Pharmabranche
Kritisch betrachtet hingegen die Pharmaindustrie die Novelle. In ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf haben der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der Ver-band Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) die Einführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 139 PatG grundsätzlich abgelehnt. Die Pharmaverbände sind an einem hohen Innovationsschutz interessiert und hätten eine Lösung über prozessrechtliche Instrumente vorgezogen (Vollstreckbarkeit eines patentrechtlichen Unterlassungstitels nur bei Zahlung einer hohen Sicherheitsleistung). Die Neuregelung des § 139 PatG führe dazu, dass der Wert der Patentportfolien der Pharmaunternehmen geschwächt werde.
Diese Kritik wird auch von anderen Branchen aufgenommen, die damit zu kämpfen haben, dass ihre Produkte regelmäßig nachgeahmt werden. Die Verteidigung dieser Produkte ist zeit- und kostenintensiv, so dass eine Schwächung des Unterlassungsanspruches die Durchsetzung des Patentschutzes erschwere.
Die Meinungen sind also geteilt. Die Ausfüllung der Verhältnismäßigkeitskriterien und die Bewertung durch die Gerichte wird in den kommenden Jahren zeigen, ob die Novelle die erhoffte Erleichterung bringt oder im Gegenteil den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächt. Die Hersteller komplexer Produkte dürfen gespannt sein.
*) Dr. Susan Kempe-Müller ist Partnerin, Pia Sophie Sösemann ist Associate von Latham & Watkins.