Rüdiger Litten

Gut gedacht, kompliziert gemacht

Bisher werden Wertpapierfirmen (Wertpapierhändler, Vermögensverwalter, Anlageberater und -vermittler) und Kreditinstitute für Zwecke der Solvenzaufsicht (Anforderungen an Eigenmittel, Risikokonzentration und Liquidität – kurz: Solvenzanforderungen)...

Gut gedacht, kompliziert gemacht

Von Rüdiger Litten *)

Bisher werden Wertpapierfirmen (Wertpapierhändler, Vermögensverwalter, Anlageberater und -vermittler) und Kreditinstitute für Zwecke der Solvenzaufsicht (Anforderungen an Eigenmittel, Risikokonzentration und Liquidität – kurz: Solvenzanforderungen) grundsätzlich gleich behandelt. Für beide Typen von Finanzakteuren gelten die die Basel-Regeln in europäisches Recht umsetzenden CRDIV und CRR, obwohl ihre Geschäftsmodelle sich grundlegend unterscheiden (können). Allerdings stehen große Wertpapierfirmen und Kreditinstitute für bestimmte Geschäftsbereiche in unmittelbarem Wettbewerb und einigen großen Wertpapierfirmen wird eine Kreditinstituten vergleichbare Bedeutung für die Finanzstabilität nachgesagt.

Mit dem Anspruch, Gleiches gleich und Ungleiches differenziert zu behandeln, gelten deshalb ab dem 21. Juni 2021 in der EU die Investment Firm Directive (IFD) – in Deutschland umgesetzt durch das (sich noch im Entwurf befindende – Wertpapierinstitutsgesetz – WpIG) und die Investment Firm Regulation (IFR). Regelungsansatz dieser Gesetze ist es, die an mittlere und kleine Wertpapierfirmen zu stellenden Solvenzanforderungen den Geschäftsmodellen und Risikoprofilen dieser Firmen anzupassen und sie insgesamt (ebenso wie den Organisations- und Meldeaufwand) zu reduzieren.

Wegen der deutlich unterschiedlichen Anforderungen zwischen CRD IV (KWG)/CRR einerseits und IFD (WpIG)/IFR andererseits kommt der nachfolgend (vereinfacht) skizzierten Klassifizierung wichtige Bedeutung zu:

• Für große Klasse-1-Wertpapierfirmen (betreiben Emissionsgeschäft oder Eigenhandel; haben Bilanzsumme von mindestens 15 Mrd. Euro) gelten CRD IV (KWG)/CRR.

• Für kleine Klasse-3-Wertpapierfirmen (betreiben keinen Eigenhandel; haben Bilanzsumme von maximal 100 Mill. Euro) gelten IFD (WpIG)/IFR mit vielen Erleichterungen.

• Für mittlere Klasse-2-Wertpapierfirmen (solche, die weder groß noch klein sind) gelten (überwiegend) IFD (WpIG)/IFR (allerdings mit deutlich weniger Erleichterungen als für kleine).

Nach Erkenntnis der Bundesregierung sind in Deutschland 720 Wertpapierfirmen zugelassen. Davon zählt keine zur Klasse 1 (gab es in der EU nur in Großbritannien), 70 zur Klasse 2 und 650 zur Klasse 3.

Klassifizierung

Ausgangspunkt der Klassifizierung ist die Bilanz des Einzelunternehmens. Ist die Wertpapierfirma jedoch Teil einer Wertpapierfirmengruppe, werden die Geschäftsaktivitäten und Größe anderer Einheiten der Gruppe unter Umständen miteinbezogen – es erfolgt dann eine konsolidierte Aufsicht. Das bedeutet, dass die Gruppe ihren in der IFR festgelegten Solvenzanforderungen sowie diesbezüglichen Transparenzpflichten auf konsolidierter Basis nachkommen muss.

Relevant für die Einstufung zum Beispiel als Klasse-1-Wertpapierfirma ist dann, ob die konsolidierte Bilanzsumme aller gruppenangehörigen Unternehmen 15 Mrd. Euro beträgt. Teil einer – auf konsolidierter Basis beaufsichtigten – Gruppe zu sein, ermöglicht es Klasse-3-Wertpapierfirmen umgekehrt, von den Solvenzanforderungen ausgenommen zu werden, nämlich dann, wenn die Gruppe ein Spitzeninstitut hat, das die Anforderungen (auf konsolidierter Basis) erfüllt. Mit diesen Regelungen einher gehen komplexe Zuständigkeitsregelungen für die behördliche Beaufsichtigung, die in der Regel darauf hinauslaufen, dass die für das Spitzeninstitut zuständige Behörde auch für die konsolidierte Aufsicht der Gruppe verantwortlich ist. Hinter der konsolidierten Aufsicht steht die Absicht des Gesetzgebers, Aufsichtsarbitrage zu vermeiden und den Anreiz für Wertpapierfirmen zu verringern, ihre Geschäfte so zu strukturieren, dass sie als Klasse-3-Wertpapierfirmen qualifizieren.

Herzstück der IFR sind die Eigenmittelanforderungen. Ihre Systematik ist eine andere als in der CRR. In der IFR wird stärker auf die Aktivitäten der Wertpapierinstitute abgestellt als auf Bilanzwerte; anders als im Bereich der Bankenaufsicht kommt keine Risikogewichtung zur Anwendung.

Die erforderlichen Eigenmittel der Klasse-2-Wertpapierfirmen werden als der höhere der folgenden Beträge berechnet:

• der maßgebliche Anfangskapitalbetrag (der damit die Mindestkapitalanforderung festlegt),

• 1/4 der fixen Gemeinkosten des Unternehmens des Vorjahres (Fixed Overheads Requirements, FOR),

• die Summe der auf Wertpapierfirmen anwendbaren K-Faktoren (Kapitalanforderungen für Risiken, die von der Wertpapierfirma im Hinblick auf Kunden, Märkte und die Firma selbst ausgehen).

Für Klasse-3-Wertpapierfirmen gelten die (im Detail sehr komplexen) K-Faktoren nicht; für sie ergeben sich die Eigenmittelanforderungen aus Anfangskapital und FOR.

Neben den Eigenmittelanforderungen gilt: Wertpapierfirmen dürfen gegenüber einem einzigen Kunden keine Risikopositionen eingehen, die 25% ihres Eigenkapitals oder 150 Mill. Euro übersteigen – mit Vereinfachungsmöglichkeit für Klasse-3-Wertpapierfirmen. Wertpapierfirmen müssen liquide Aktiva (Bargeld, Staatsanleihen) in Höhe von mindestens ein Drittel der Anforderungen für die FOR vorhalten – mit Befreiungsmöglichkeit für Klasse-3-Wertpapierfirmen.

Transparenz gefordert

Für die Umsetzung der Solvenzanforderungen müssen Wertpapierfirmen (der Klasse 2) Maßstäbe zur Beurteilung der Angemessenheit der Eigenmittel und liquiden Aktiva festlegen. Sie müssen über eine solide interne Unternehmensführung (klare Organisationsstruktur, Risikomanagementverfahren, interne Kontrollverfahren, angemessene Vergütungspolitik) verfügen und ihre Leitungsorgane müssen das Risikomanagement regelmäßig überprüfen.

Alle Wertpapierfirmen müssen den Behörden (vierteljährlich) Meldung machen bezüglich ihrer Eigenmittel(anforderungen) und deren Berechnungsgrundlagen, ihres Tätigkeitsprofils, ihrer Klassifizierungskriterien, ihrer Liquiditätsanforderungen und der Erfüllung der Bestimmungen zum Konzentrationsrisiko – mit Befreiung von Klasse-3-Wertpapierfirmen von der Meldepflicht zum Konzentrationsrisiko. Klasse-2-Wertpapierfirmen müssen (jährlich) Informationen zu Risikomanagementzielen, Unternehmensführung, Eigenmittel(anforderungen), Vergütungspolitik und ESG-Risiken veröffentlichen. Für Klasse-3-Wertpapierfirmen sind die Offenlegungspflichten auf einige dieser Komponenten beschränkt.

Solvenzanforderungen dienen der Risikovorsorge. Wertpapierfirmen beschweren sich seit Jahren zurecht darüber, dass an sie die gleichen Solvenzanforderungen gestellt werden wie an Banken. Sowohl die Art des Geschäfts der Wertpapierfirmen (Beratung und der Handel ohne eigenes Risiko v. Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken) als auch ihre typischerweise kleineren Bilanzen machen sie zu einer geringeren Bedrohung für die Stabilität des Finanzsystems. Alle Institute über den gleichen Kamm zu scheren, ist deshalb unangemessen und widerspricht dem vom europäischen Gesetzgeber zunehmend zitierten Proportionalitätsgrundsatz. Ein neues Aufsichtsrecht für Wertpapierfirmen ist daher zu begrüßen.

Allerdings erfüllt der europäische Gesetzgeber einige an sich selbst gestellte (in den Gesetzesgründen ausdrücklich formulierte) Ansprüche nicht: Weder gelingt es den neuen Gesetzen, einen „übermäßigen Verwaltungsaufwand“ für die Wertpapierfirmen zu vermeiden (für sie sollen Regeln angeblich „in vereinfachter Weise“ gelten). Noch können die Firmen immer klar und rechtssicher feststellen, welche Regeln für sie gelten.

Die Komplexität der Gesetze steckt vor allen Dingen in den K-Faktoren (die die Berechnung der Eigenmittel nicht minder kompliziert als für Banken machen und für Klasse-2-Wertpapierfirmen im Übrigen fraglich erscheinen lassen, ob es tatsächlich zu Anforderungserleichterungen kommt) und in den Konsolidierungsregelungen. Letztere können zudem dazu beitragen, dass die an sich klare Grenze zwischen Banken und großen Wertpapierfirmen einerseits und kleinen und mittleren Wertpapierfirmen andererseits wieder verwischt und damit der Wunsch unerfüllt bleibt, zu wissen, ob nun CRR oder IFR gelten (sondern womöglich beide).

*) Dr. Rüdiger Litten ist Partner von Fieldfisher in Frankfurt.

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