Im Interview: Alena McCorkle und Maximilian Platzer

In einem US-Rechtsstreit kann die Gegenseite die Herausgabe von Dokumenten verlangen

Kommt es nach Übernahmetransaktionen mit US-Beteiligung zu Rechtsstreitigkeiten, gelten andere Regeln als hierzulande. So müssen sich Unternehmen darauf einstellen, dass die Gegenseite die umfassende Herausgabe von Dokumenten verlangt.

In einem US-Rechtsstreit kann die Gegenseite die Herausgabe von Dokumenten verlangen

Im Interview: Alena McCorkle und Maximilian Platzer

In einem US-Rechtsstreit kann Gegenseite die Herausgabe von Dokumenten verlangen

Die Partner von Latham & Watkins zu M&A-Deals mit Bezug zu den Vereinigten Staaten

Frau McCorkle, Herr Platzer, im Nachgang zu M&A-Transaktionen kommt es gelegentlich zu Auseinandersetzungen vor staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten. Warum müssen Unternehmen diesbezüglich gerade bei Transaktionen mit Anknüpfungspunkten in den USA aufpassen?

McCorkle: Bei Transaktionen, in denen eine Partei, die zu erwerbende Gesellschaft oder unter Umständen auch nur eine Unternehmenstochter ihren Sitz in den USA hat, sollten alle Beteiligten bedenken, dass Dokumente im Streitfall bei der Gegenseite landen können. Anders als im deutschen Zivilprozess, in dem jede Partei die Beweismittel für die eigene Position grundsätzlich selbst beibringen muss, können Parteien eines US-Rechtsstreits eine sogenannte Discovery mit Document Production verlangen: eine umfassende Herausgabe von Dokumenten – und zwar überwiegend solchen, die nicht für Dritte bestimmt waren. Eine Discovery in den USA können auch ausländische Parteien zum Zwecke der Durchführung von Gerichtsverfahren außerhalb der Vereinigten Staaten, also zum Beispiel in Deutschland, beantragen. Für private Schiedsverfahren hat Latham hier im Jahr 2022 eine deutliche Einschränkung vor dem US Supreme Court erstritten. Vor allem mit Blick auf staatliche Gerichtsverfahren und mittelbar durchaus auch für Schiedsverfahren bleibt das Thema aber weiterhin hoch relevant.

Welche Punkte werden in der Regel auf dem Klageweg angegriffen?

Platzer: Streitpotenzial haben zum Beispiel die Kaufpreisberechnung, Earn-outs sowie vertragliche Garantien, etwa bezüglich der Richtigkeit der Jahresabschlüsse. Da all diese Ansprüche meist engen Voraussetzungen und einer kurzen Verjährungsfrist unterliegen, ist der mit Abstand am häufigsten erhobene Vorwurf derjenige eines vorsätzlichen Verschweigens relevanter Tatsachen bei Vertragsschluss, sogenannte culpa in contrahendo. Dieser gesetzliche Anspruch hat zwar hohe Hürden, kann aber vertraglich nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden und unterliegt der längeren gesetzlichen Verjährungsfrist. Häufig geht es um die Frage, ob der Verkäufer die tatsächlichen Bewertungsgrundlagen für den Wert des Unternehmens im Verkaufsprozess zutreffend dargestellt und für den Käufer erkennbar relevante Informationen pflichtgemäß offengelegt hat.

Wie weit reichen die Dokumentenherausgabepflichten in einer US-Discovery?

McCorkle: Die Document Production dient der umfassenden Sachverhaltsaufklärung vor Beginn des eigentlichen Verfahrens. Die Parteien können daher im Grundsatz alle Informationen der Gegenseite herausverlangen, die für die Ansprüche oder Verteidigungsmittel relevant sind. Dies betrifft Unterlagen wie Gremienprotokolle, E-Mails und zunehmend sogar Messenger-Nachrichten.
Platzer: Von deutschen Unternehmen wird dies häufig als Ausforschung empfunden, da das deutsche Zivilprozessrecht im diametralen Unterschied zu den Vereinigten Staaten nur sehr vereinzelt Dokumentenherausgabeansprüche gewährt. Ein deutsches Gericht wird allenfalls die Vorlage einzelner, von der Gegenseite ganz konkret bezeichneter Unterlagen anordnen, aber niemals Dokumentenkategorien wie „alle Unterlagen, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Meeting erstellt wurden“, was in den USA so durchaus zulässig sein kann.

Wo enden denn die Herausgabepflichten?

McCorkle: Die wichtigste Grenze zieht vor allem das sogenannte Legal Privilege. Ausgenommen und in diesem Sinne „privilegiert“ ist insbesondere vertrauliche Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant zur Einholung von Rechtsrat. Auch anwaltliche Arbeitsprodukte, die zur Vorbereitung eines Rechtsstreits erstellt werden, müssen nicht offengelegt werden. Aber Vorsicht: Nicht jedes Einkopieren eines Anwalts entzieht das Dokument der Herausgabepflicht, und auch nicht allein die gerne „vorsorglich“ genutzte Kennzeichnung als privileged and confidential.

Bestehen in anderen Ländern ähnliche juristische Chancen und Risiken?

Platzer: Discovery gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen vor allem in Common-Law-Jurisdiktionen. Die im englischen Zivilprozess übliche Disclosure bewegt sich vom Umfang her zwischen den Extrempolen Deutschland und USA. Die Möglichkeiten grenzüberschreitender Discovery sind hier allerdings deutlich limitierter.

Dr. Alena McCorkle ist Litigation-Partnerin und Dr. Maximilian Platzer Corporate-Partner von Latham & Watkins in Frankfurt.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.

Dr. Alena McCorkle

Litigation-Partnerin von Latham & Watkins in Frankfurt

Dr. Maximilian Platzer

Corporate-Partner von Latham & Watkins in Frankfurt

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