Insolvenzverwalter von Air Berlin will Clearstream verklagen
Sabine Wadewitz
Herr Professor Verse, der Insolvenzverwalter von Air Berlin will die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream auf fast 500 Mill. Euro verklagen. Warum soll denn der Wertpapierzentralverwahrer für Schulden der Fluggesellschaft geradestehen?
Der Insolvenzverwalter will sich zunutze machen, dass Air Berlin nicht als deutsche Aktiengesellschaft organisiert ist, sondern – obwohl der Schwerpunkt der Geschäftsaktivitäten in Deutschland lag – als Aktiengesellschaft nach englischem Recht, Public Limited Company, mit Börsenzulassung in Frankfurt. Solange das Vereinigte Königreich Teil der EU war, war das unkritisch. Denn das europäische Recht gebietet es, dass die EU-Mitgliedstaaten die Rechtsformen anderer Mitgliedstaaten auch dann anerkennen, wenn die Verwaltung einer Gesellschaft nicht im Inland sitzt.
Mit dem Brexit gilt das nicht mehr?
Genau. Soweit zwischenstaatliche Abkommen nichts anderes vorgeben, folgen die deutschen Gerichte der sogenannten Sitztheorie. Das bedeutet, dass es für die Anerkennung einer Rechtsform darauf ankommt, wo die Verwaltung des Unternehmens tatsächlich sitzt. Liegt dieser „effektive Verwaltungssitz“ in Deutschland, sind ausschließlich deutsche Rechtsformen zulässig.
Welche Konsequenzen hat das für die Anteilsinhaber einer solchen Gesellschaft?
Die Konsequenzen können drakonisch sein. Aus Sicht des deutschen Rechts wird eine im Ausland eingetragene Kapitalgesellschaft dann nicht als solche anerkannt, sondern sie wird in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder in eine offene Handelsgesellschaft „umqualifiziert“. Bei diesen Rechtsformen haften die Gesellschafter bekanntlich persönlich und grundsätzlich unbeschränkt. Genau diesen Effekt möchte der Insolvenzverwalter ausnutzen.
Lässt sich dies denn alles auf die Air Berlin PLC übertragen?
Da muss man sehr vorsichtig sein. Um wirklich durchzudringen, müsste die Klage des Insolvenzverwalters eine ganze Reihe von Hürden überspringen. Zuerst ist zu klären, ob der „effektive Verwaltungssitz“ von Air Berlin auch nach dem Brexit tatsächlich noch in Deutschland lag oder liegt. Falls ja, müsste das Gericht anschließend prüfen, ob das Post-Brexit-Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich die Sitztheorie nicht doch sperrt. Auch stellt sich die Frage, ob nicht schon deswegen Modifikationen geboten sind, weil es sich um eine börsennotierte Publikumsgesellschaft handelt, bei der den Gesellschaftern nur eine passive Investorenrolle zukommt. Hinzu kommt, dass die Insolvenz der Air Berlin lange vor dem Brexit eingetreten ist, die Lage also nicht mit einem am Markt noch aktiven Unternehmen vergleichbar ist. Die „Umqualifikation“ in eine Gesellschaft mit persönlicher Gesellschafterhaftung wäre ein nachträgliches Geschenk an die Gläubiger, lange nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Clearstream ist aber doch kein normaler Aktionär der Air Berlin PLC, sondern als Intermediär in einer besonderen Funktion tätig geworden. Inwieweit spielt das eine Rolle?
Clearstream steht nur als Platzhalter für die Aktionäre im Aktienregister. Die Eintragung von „Nominees“ im Aktienregister ist in England durchaus üblich. Im Fall von Air Berlin mit der ursprünglich deutsch geprägten Aktionärsstruktur diente sie wohl auch dazu, eine Brücke zum deutschen System der Wertpapierverwahrung zu schlagen. Wir kennen im deutschen Recht ein ähnliches Institut. Bei Namensaktien können auch bei uns Banken als „Legitimationsaktionäre“ ins Aktienregister eingetragen werden. Nach deutschem Verständnis sind diese Platzhalter schon gar nicht Eigentümer der Anteile, aber das könnte nach englischem Recht anders sein. Ob dieser Umstand bei einer „Umqualifizierung“ einer bisher englischen Aktiengesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft ins Gewicht fällt, ist noch völlig ungeklärt.
Prof. Dr. Dirk Verse M. Jur. (Oxford) ist Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg.
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