GastbeitragZukunftsfinanzierungsgesetz

Mehrstimmrechtsaktien – Zukunftsprojekt oder Rückschritt?

Der Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sieht die Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien vor, um insbesondere Wachstumsunternehmen und Start-ups am Kapitalmarkt zu unterstützen. Fraglich ist, ob die erhofften Ziele erreicht werden.

Mehrstimmrechtsaktien – Zukunftsprojekt oder Rückschritt?

Mehrstimmrechtsaktien – Zukunftsprojekt oder historischer Rückschritt

Deutscher Gesetzgeber sollte sich nicht von berühmten US-Vorbildern leiten lassen

Von Alexander Herzog und
Bero Gebhard *)

Stimmrecht ist Macht. Wer die großen „kritischen Hauptversammlungen“ der letzten Jahre miterlebt hat, weiß um die entscheidende Bedeutung, die dem Stimmrecht des Aktionärs zukommen kann. Die Bundesregierung hat kürzlich mit dem Regierungsentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) ihre Vision für eine Reform des Aktien- und Kapitalmarktrechts vorgestellt, wonach künftig in Aktiengesellschaften mehrere Stimmrechte auf eine Aktie entfallen können. Nach dem Entwurf sollen für bis zu 20 Jahre Mehrstimmrechtsaktien mit maximal zehnfachem Stimmrecht ausgegeben werden können. Das Mehrstimmrecht erlischt bei Übertragung der Aktie. Die Einführung muss einstimmig erfolgen und ist daher faktisch nur vor einem Börsengang möglich.

Unterstützung für Gründer

Begründet wird das Vorhaben mit dem Wunsch von Start-up-Gründern und Familienunternehmern, trotz einer Börsennotierung und des Verkaufs von großen Aktienpaketen die Kontrolle über die Gesellschaft zu behalten. Das ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar und kann auf wirtschaftlich erfolgreiche Vorbilder in den USA wie Google oder Facebook verweisen.

Gleichzeitig sollte der deutsche Gesetzgeber sich nicht schlicht von berühmten US-amerikanischen Vorbildern leiten lassen, sondern konkret die Rahmenbedingungen des deutschen Kapitalmarkts berücksichtigen.

Drei wesentliche Punkte sprechen gegen Mehrstimmrechtsaktien in börsennotierten Unternehmen:

Die Geschichte sollte uns eine Lehre sein. Mehrstimmrechtsaktien wurden im Jahr 1998 gerade abgeschafft, um Verbesserungen in der Corporate Governance herbeizuführen und die Attraktivität für internationale Investoren zu verbessern. Der vielbeschworene „Kontrollerhalt“ ist – so viel Ehrlichkeit ist geboten – letztlich nur ein anderes Wort für die eigentlich überwundene Übernahmeabwehr und für die Abschottung von den disziplinierenden Einflüssen des Kapitalmarktes, die deutsche Konzerne in der Nachkriegszeit stark prägte.

Zu einem EU-weiten Verbot von Mehrstimmrechtsaktien, wie rund um die Jahrtausendwende angedacht, kam es zwar schlussendlich nicht. Ein Rückschritt in die Zeiten der Deutschland AG ist aber sicherlich nicht, was die Bundesregierung unter dem Begriff „Zukunftsfinanzierung“ vor Augen hatte. 

Ökonomische Erkenntnisse sprechen gegen Mehrstimmrechtsaktien. Herrschaft und Haftung gehen in unserer Wirtschaftsordnung grundsätzlich einher. Der Gleichlauf von Aktienbeteiligung und Stimmrecht („one share, one vote“) erzeugt in der Regel wohlfahrtssteigernde Ergebnisse.

Zwar stellen auch die immer noch auftretenden stimmrechtslosen Vorzugsaktien eine Ausnahme von diesem Prinzip dar – diese sind aber mengenmäßig auf 50% des Gesellschaftskapitals beschränkt, so dass kein zu starkes Auseinanderfallen von Einfluss und wirtschaftlichem Risiko droht. Wenn aber künftig bei voller Ausnutzung der aktienrechtlichen Möglichkeiten mit ca. 4,5% des Kapitals bereits eine absolute Stimmrechtsmehrheit von 50% möglich ist, fallen Risiko und Einfluss weit auseinander: Die wirtschaftliche Konsequenz von Fehlentscheidungen tragen dann die Kleinaktionäre.

Wenig spezialisiert

Zusätzlich schwächen Mehrstimmrechte die Funktionsfähigkeit des Übernahmemarktes, weil gegen den Willen des Inhabers eine Übernahme oft faktisch unmöglich wird. Damit droht nicht nur eine langfristige Zementierung von Strukturen, sondern auch eine Abkehr von der Innovations- und Erneuerungsfähigkeit, die sich die Bundesregierung von Start-ups gerade verspricht.

Die wahren Probleme liegen woanders. Deutsche Finanzierungsmärkte sind wenig branchenspezialisiert und die Finanzierungsvolumina im Vergleich zu den USA schlicht zu gering. Mit anderen Worten: es fehlt am Geld! Die Bereitschaft für Investitionen in Venture Capital ist aus teils regulatorischen, teils auch kulturellen Gründen nicht mit angloamerikanischen Verhältnissen vergleichbar. Gleiches gilt für die geringeren Bewertungen an deutschen Kapitalmärkten. Wer das ändern will, muss die Attraktivität für Investoren an erste Stelle setzen – insbesondere durch eine moderne und wettbewerbsfähige Corporate Governance.

Trotz alldem ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung sich einer Modernisierung des Kapitalmarktrechts verschrieben hat. Das gilt es fortzusetzen – mit mutigem Reformeifer, aber ohne fehlgeleitete Abkehr von prägenden, ökonomisch untermauerten Prinzipien.

Schutzmechanismen eingebaut

Dem Entwurf der Bundesregierung ist zuzugestehen, dass er durchaus Schutzmechanismen findet, um die Gefahren von Mehrstimmrechten einzudämmen. Aber auch zeitlich beschränkte Übernahmeabwehr bleibt Übernahmeabwehr. Die Möglichkeit weiterer Schutzmechanismen auf Satzungsebene sollte von Investoren dringend genutzt werden, um die Effekte von Mehrstimmrechten einzudämmen.

Klar bleibt: Wer den Kapitalmarkt stärken will, muss attraktive Bedingungen für Investitionen schaffen, ob kulturell, politisch oder regulatorisch. Dafür braucht es Wettbewerbsfähigkeit und Weltoffenheit – und nicht Abschottung.

*) Alexander Herzog ist Rechtsanwalt bei Broich, Bero Gebhard wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kanzlei.

Alexander Herzog ist Rechtsanwalt bei Broich, Bero Gebhard wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kanzlei.