GastbeitragArbeitsrecht

Neue Entgelttransparenz fordert Unternehmen heraus

Die neue Entgelttransparenzrichtlinie der EU ist in Kraft und soll für mehr Lohngerechtigkeit sorgen. Was kommt auf die Unternehmen zu?

Neue Entgelttransparenz fordert Unternehmen heraus

Neue Entgelttransparenz fordert Unternehmen heraus

EU-Richtlinie geht weit über bestehende Vorgaben hinaus – Chancen für die Mitarbeiterbindung

Von Katja Häferer und Agnes Herwig*)

Am 6. Juni 2023 ist die europäische Entgelttransparenzrichtlinie in Kraft getreten. Ihr Ziel ist es, Entgeltgerechtigkeit zwischen männlichen und weiblichen Beschäftigten in der EU zu fördern. In nationales Recht muss die Richtlinie innerhalb von drei Jahren bis 7. Juni 2026 umgesetzt werden. Dies ist jedoch kein Grund für Unternehmen sich zurückzulehnen. Die Vorgaben der Richtlinie gehen in Teilen weit über die bestehenden Vorgaben hinaus und werden deutlich mehr Unternehmen erfassen als das Entgelttransparenzgesetz. In der Betriebspraxis lassen sich die neuen Vorgaben nicht alle sofort umsetzen. Schließlich gehören Entgelttransparenz und Entgeltgerechtigkeit auch unabhängig gesetzlicher Vorgaben zum Kanon sozialer Nachhaltigkeit von Unternehmen. In Zeiten von Fachkräftemangel und ESG ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen.

Lohngefälle

Unternehmen sind gut beraten, sich mit den neuen Anforderungen frühzeitig auseinanderzusetzen. International agierende Unternehmen sollten dies zur „Chef(innen)sache“ machen und die Einhaltung der EU-weiten Vorgaben auch für ihre Auslandsstandorte im Blick behalten.

Aktuell beträgt das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU im Durchschnitt 13%, das heißt weibliche Beschäftigte verdienen im Schnitt 13% weniger als ihre männlichen Kollegen. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Unterschied auszugleichen, nicht zuletzt durch die Gleichbehandlungsrichtlinie (2006/54/EG). Die Erreichung dieses Ziels hat sich als Herausforderung erwiesen, da Lohndiskriminierung oft unentdeckt bleibt und weder Betroffene noch Unternehmen aktiv Schritte zu deren Beseitigung ergreifen. Auch der politische Druck bleibt verhalten, wenn geschlechtsspezifische Entgeltunterunterschiede unerkannt bleiben. Hier setzt die neue Richtlinie an.

Seit 2017 gilt in Deutschland das Entgelttransparenzgesetz. Das Gesetz sieht einen individuellen Auskunftsanspruch über das Entgelt vergleichbarer Mitarbeiter sowie Berichtspflichten über Gleichstellung und Entgeltgleichheit im Unternehmen vor. Der Auskunftsanspruch besteht in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Er wird in der Praxis selten genutzt, da allein das Wissen um Entgeltunterschiede noch keine Aussichten auf Anpassung des eigenen Entgelts vermittelt.

Die Berichtspflicht trifft Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, sofern sie nach dem Handelsgesetzbuch zur Erstellung eines Lageberichts verpflichtet sind. Eine Verpflichtung für Unternehmen, die Vergütungsstrukturen zu überprüfen und die Ergebnisse der Prüfung offenzulegen, gibt es nicht.

Betriebsräte eingebunden

Die Richtlinie sieht erstmals eine EU-weite Pflicht zur Ermittlung und Berichterstattung über das geschlechtsspezifische Lohngefälle für Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten im Inland vor. Betriebsräte sind dabei eng in die Prüfung einzubinden und vor Veröffentlichung des Berichts von der Unternehmensleitung anzuhören. Sie haben außerdem weitreichende Informationsrechte zu den bereitgestellten Daten.

Ergibt der Bericht ein Lohngefälle von mehr als 5 %, das nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden kann, sind Unternehmen verpflichtet, in Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretern eine Entgeltbewertung durchzuführen, um geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede zu korrigieren und künftig zu verhindern.

Um solche Entgeltunterschiede von vorneherein zu verhindern, setzt die Richtlinie bereits im Ausschreibungs- und Bewerbungsprozess an. Danach sollen Unternehmen verpflichtet werden, Arbeitsuchende über das Einstiegsgehalt oder die Gehaltsspanne der ausgeschriebenen Stelle zu informieren, sei es in der Stellenausschreibung oder (ungefragt) vor dem Vorstellungsgespräch. Außerdem soll es ihnen untersagt werden, Bewerber nach ihrem bisherigen Gehalt zu fragen.

Entschädigungsanspruch

Nach erfolgreichem Abschluss der Bewerbung sollen Beschäftigte das Recht haben, Auskunft von ihren Arbeitgebern über ihr individuelles Einkommen im Vergleich zum durchschnittlichen Lohnniveau zu erhalten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, für Arbeitnehmerkategorien, die die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten. Sie sollen auch Zugang zu den Kriterien haben, die für die Festlegung des Entgelts und des beruflichen Aufstiegs herangezogen werden und die objektiv und geschlechtsneutral sein müssen.

Die Richtlinie sieht zudem einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung im Fall von Entgeltdiskriminierung vor, der rückständiges Arbeitsentgelt und entsprechende Prämien oder Sachleistungen umfasst. Während die Beweislast in Fällen von Entgeltdiskriminierung bisher auf Arbeitnehmerseite lag, muss nun das Unternehmen beweisen, dass kein Verstoß gegen die EU-Vorschriften zur Entgeltgleichheit und Lohntransparenz vorliegt. Die nationalen Sanktionen für Verstöße müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und können Bußgelder umfassen.

Zum ersten Mal wurde die intersektionelle Diskriminierung (die Kombination mehrerer Formen von Ungleichheit, zum Beispiel Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit oder Sexualität) in den Geltungsbereich der neuen Vorschriften aufgenommen. Die Richtlinie enthält auch Bestimmungen, die sicherstellen, dass die Bedürfnisse von Arbeitnehmern mit Behinderungen berücksichtigt werden.

Gleichheitsgebot

Eine zeitnahe und umfassende Prüfung von geschlechtsspezifischen Entgeltunterschieden ermöglicht Unternehmen, solche Unterschiede anzugehen und gegebenenfalls zu beseitigen, bevor sie künftig darüber Bericht erstatten müssen. Ein besonderer Fokus wird dabei auf der Bewertung der verschiedenen Tätigkeiten im Unternehmen liegen, um zu ermitteln, welche im Rahmen der Überprüfung und Berichterstattung über Entgeltunterschiede als gleichwertig anzusehen sind. Denn das Gebot der Entgeltgleichheit gilt nicht nur für gleiche, sondern auch für gleichwertige Tätigkeiten wie beispielsweise das Auffüllen von Regalen mit frischer Ware in Supermärkten im Vergleich zum Entladen und Verteilen der Warenlieferungen im Lager.

Unternehmen sollten im Weiteren die Kriterien überprüfen, die im Unternehmen für den beruflichen Aufstieg und die Beförderung gelten. Diese Kriterien sollten objektiv, fair und geschlechtsneutral sein. Von zentraler Bedeutung im Rahmen der Beseitigung von Entgeltunterschiedenen und Verbesserung von Beförderungspraktiken sind unternehmens- oder konzerninternen Richtlinien und Verfahren. Diese müssen die Grundsätze der Entgeltgleichheit und der Entgelttransparenz widerspiegeln und klare Schritte beschreiben, die Mitarbeiter unternehmen können, um Entgeltinformationen anzufordern und Fälle von Entgeltdiskriminierung zu melden. Sollte ein Unternehmen ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle von mehr als 5 % feststellen, das nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden kann, müssen zukünftig in Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretern Maßnahmen erarbeitet werden. Hier kann ein sinnvoller Dialog mit den Arbeitnehmervertretern bereits vor der nationalen Umsetzung der Richtlinie begonnen und vorbereitet werden.

Ein weiterer Aspekt stellt die Information der Führungskräfte und Mitarbeiter der Personalabteilung über die neuen Vorschriften und ihre Auswirkungen dar. Hier sollten Schulungen zur Förderung der Lohngleichheit, zur Erkennung und Behandlung von Lohndiskriminierung und zur angemessenen Reaktion auf Anfragen und Beschwerden von Mitarbeitern im Zusammenhang mit dem Lohn durchgeführt werden.

Aktiv werden

Für Unternehmen in Deutschland ergeben sich aus der EU-Entgelttransparenzrichtlinie sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Wenn sich Arbeitgeber proaktiv auf ihre Umsetzung vorbereiten, kann ein gerechteres Arbeitsumfeld gefördert, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede beseitigt und die neuen Vorschriften eingehalten werden. Unternehmen sollten die notwendigen Schritte ergreifen, um die Lohntransparenz zu verbessern, Ihre Lohnpraktiken zu überprüfen und anzupassen und effektive Berichts- und Kommunikationskanäle einzurichten. Auf diese Weise können sowohl die Compliance im Unternehmen sowie die Position als attraktiver Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels aktiv gestärkt werden.

*) Katja Häferer ist Partner, Agnes Herwig Senior Associate bei der Kanzlei Baker McKenzie in Frankfurt.

Katja Häferer ist Partner, Agnes Herwig Senior Associate bei der Kanzlei Baker McKenzie in Frankfurt.

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