Neue Optionen für Restrukturierungen
Von Cristina Weidner undStefan Sax*)
Mit dem am 1. Januar in Kraft getretenen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) wurden die europäischen Vorgaben zur erleichterten Restrukturierung von Unternehmen im Vorfeld einer Insolvenz umgesetzt. Die europäische Richtlinie bezweckt die Harmonisierung der Restrukturierungslandschaft in den europäischen Mitgliedstaaten und sollte nach den Vorgaben aus Brüssel bis Juli 2021 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Was anfänglich als ein Instrument zur frühzeitigen Erkennung von Krisen und Förderung von Investitionen ins Leben gerufen wurde, soll sich nach den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Probleme der Unternehmen als effektives Mittel zur Sanierung von krisengeschüttelten Unternehmen erweisen.
Mit der frühzeitigen Umsetzung der EU-Richtlinie gehören neben Deutschland auch die Niederlande zu den Vorreitern in Europa, die bereits zum Jahresbeginn ein neues Verfahren zur möglichst frühzeitigen Strukturierung und Gestaltung von Gesellschafter- und Gläubigerrechten in der finanziellen Krise von Unternehmen umgesetzt haben. Sowohl das niederländische Restrukturierungsverfahren für Unternehmen (Wet Homologatie Onderhands Akkoord, WHOA) als auch der deutsche Restrukturierungsrahmen unter dem StaRUG ermöglichen es, die von der Mehrheit der Gläubiger getragene Sanierungsabsicht finanziell angeschlagener Unternehmen umzusetzen. Eine mehrheitsgetragene Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens war bisher in Deutschland nicht möglich, so dass immer die Gefahr bestand, dass Sanierungen am Widerstand einzelner Beteiligter scheiterten. Beispielsweise, indem diese darauf beharrten, ihre Rechte uneingeschränkt und ohne Rücksicht auf die bei objektiver Betrachtung für alle Beteiligten vorteilhafte Sanierungslösung zu verfolgen.
Sowohl das niederländische als auch das deutsche Verfahren enthalten Elemente des bekannten US-amerikanischen Sanierungsverfahrens für US-Unternehmen (Chapter 11) und des englischen Scheme of Arrangement. Zugleich wurden beide Verfahren landesspezifisch so ausgestaltet, dass sie sich neben die in den jeweiligen Jurisdiktionen bereits vorhandenen und etablierten Sanierungsinstrumente einfügen. So orientiert sich z.B. der deutsche Restrukturierungsplan in weiten Teilen an der bewährten Funktionalität eines deutschen Insolvenzplanverfahrens.
Internationale Konkurrenz
Als eine der in den letzten Jahren sicherlich führenden Nationen für effektive und effiziente Restrukturierungsverfahren ist aber auch Großbritannien im internationalen Wettbewerb nicht untätig geblieben. Das englische Scheme of Arrangement, welches bei hinreichendem Zusammenhang (sufficient connection) zu den englischen Gerichten auch für Unternehmen aus anderen Ländern zur Verfügung stand, galt international immer als eine denkbare Option zur Umsetzung einer mehrheitsbasierten Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Damit wurde für Unternehmen aus vielen Ländern die Möglichkeit der schnellen und geräuschlosen Umsetzung von Reorganisationen und finanziellen Restrukturierungen vor dem englischen High Court of Justice geschaffen. Die englischen Restrukturierungsgerichte gelten im internationalen Vergleich als erfahren, kommerziell und entscheidungsfreudig, was ihre internationale Attraktivität erklärt. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass bereits im Sommer 2020 mit der Einführung des englischen Restructuring Plan, einer Art Super Scheme of Arrangement, die Voraussetzungen für einen Gleichlauf mit den europäischen Nachbarn geschaffen wurden. Dieser Schritt kam nicht zufällig, sondern stellte vielmehr sicher, dass der Restructuring Plan nunmehr neben dem seit vielen Jahren äußerst erfolgreichen und insolvenzunabhängigen englischen Scheme of Arrangement das Angebot aus Großbritannien erweitert und so im internationalen Vergleich noch attraktiver wird.
Ob diese englischen Instrumente auch nach dem Inkrafttreten des StaRUG für deutsche Unternehmen weiterhin zur Verfügung stehen, wird künftig von den (bilateralen) Abkommen in der Post-Brexit-Welt und der Möglichkeit der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen abhängen. Umgekehrt stellen sich auch bei der Einbeziehung von ausländischen Konzerngesellschaften in ein StaRUG-Verfahren komplexe Fragen der Anerkennung des deutschen Verfahrens im Ausland, die je nach Jurisdiktion im Rahmen des internationalen Privatrechts zu beantworten sind.
Im europäischen Vergleich verlangen die meisten vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren eine finanzielle Schieflage als Zugangsvoraussetzung zum Restrukturierungsverfahren – in Deutschland die drohende Zahlungsunfähigkeit. Die Möglichkeit einer dreimonatigen Aussetzung der Gläubigervollstreckung stellt die ungestörte Umsetzung des Restrukturierungsplans im deutschen Verfahren sicher. Diese Möglichkeit zur Stabilisierung des Unternehmens hat der englische Gesetzgeber dagegen versäumt. Der in Deutschland vom Schuldner vorgestellte Restrukturierungsplan kann einen Schuldenschnitt oder andere gestaltende Regelungen für bestehende (vornehmlich Finanzierungs-)Verträge des Unternehmens vorsehen, sofern in der Mehrheit der gebildeten Gläubigergruppen eine 75-prozentige Summenmehrheit der absoluten Forderungen erreicht wird (sog. Cram-down). Auch die Überstimmung von einzelnen, opponierenden Gläubigergruppen ist möglich, um mehrheitsbasierte Sanierungslösungen umsetzen zu können (sog. Cross-Class Cram-down).
Erhöhte Flexibilität
Dabei sieht der deutsche Restrukturierungsrahmen die schon aus dem Insolvenzplanverfahren bekannte absolute Vorrangregel als Schutz für opponierende Gläubiger vor (kein Wertzuwachs bei nachrangigen Planbetroffenen und Anteilseignern). Wie auch beim niederländischen Pendant kann diese Regelung aber durchbrochen werden, wenn entweder die Gesellschafter für die Fortführung essenziell sind oder sie in anderer Form Sanierungsbeiträge leisten. Dies führt zu einer erhöhten Flexibilität: Eingriffe in Gläubigerrechte können so unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen, auch wenn nicht oder nur teilweise in die Gesellschafterrechte eingegriffen wird. Im internationalen Vergleich steigert dieses Merkmal die Effizienz und Praxistauglichkeit des StaRUG, so dass der Sanierungsstandort Deutschland deutlich an Attraktivität gewonnen hat.
Dagegen hat der deutsche Gesetzgeber praktisch in letzter Sekunde die Möglichkeit der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen aus dem Gesetzesentwurf gestrichen, um den notwendigen Abstand zu einem deutschen Insolvenzverfahren zu wahren. Während das niederländische WHOA die Beendigung derartiger Verträge gestattet und das englische Verfahren mit Hilfe des Company Voluntary Arrangement (CVA) die Möglichkeit eröffnet, erst in der Zukunft fällige Forderungen aus gegenseitigen Verträgen im Restrukturierungsplan zu regeln, ist diese Möglichkeit der operativen Sanierung in Deutschland nunmehr weiterhin den Insolvenzverfahren vorbehalten – ein deutlicher Standortnachteil, der den Blick von Unternehmen über die Landesgrenze hin zu den ausländischen, alternativen Verfahren bestärken wird. Gerade das niederländische Verfahren bietet weitreichende Möglichkeiten, indem es neben einer rein bilanziellen Restrukturierung auch eine operative Sanierung ermöglicht. Ein WHOA steht auch ausländischen Unternehmen bei Vorliegen einer „ausreichenden Verbindung“ zu den Niederlanden offen.
In der finanziellen Krise wird folglich jedes gut beratene Unternehmen im Rahmen seiner individuellen Optionsanalyse die für sich passenden Sanierungsinstrumente aus dem nationalen und internationalen Angebot bewerten. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Verfahren und der zum Teil noch ungeklärten Anerkennungsfragen wird allerdings die Nutzung ausländischer Verfahren zur Restrukturierung deutscher Unternehmen weiterhin eher die Ausnahme bleiben.
*) Dr. Cristina Weidner ist Counsel und Dr. Stefan Sax Partner im Bereich Restructuring/Insolvency von Clifford Chance.