Neuer Rechtsrahmen für Fusionen
Von Klaus von der Linden und Ruprecht Freiherr von Maltzahn*)
Im deutschen Gesellschaftsrecht gibt es aktuell wieder viele Baustellen. Eine der größten ist, dass bis Ende Januar 2023 eine weitere europäische Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden muss: die Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel. Dazu hat das Bundesjustizministerium (BMJ) am 20. April 2022 einen Referentenentwurf vorgelegt.
Im Fokus steht dabei ein europaweit kompatibles Verfahren, in dem Kapitalgesellschaften grenzüberschreitend verschmolzen, gespalten oder in andere Rechtsformen überführt werden können – und die beteiligten Handelsregister digital miteinander kommunizieren. Damit nicht genug: Das BMJ nutzt die Gelegenheit, um einige der neuen Vorgaben auch für innerstaatliche Umwandlungsvorgänge zu übernehmen – insoweit ohne europarechtlichen Handlungszwang. Und schließlich möchte es noch das Spruchverfahren reformieren, das betroffene Gesellschafter unter anderem zur Überprüfung der Umtauschverhältnisse oder ihrer Barabfindungen nutzen können.
Flankiert wird all dies durch einen weiteren Gesetzesentwurf des Bundesarbeitsministeriums: Er novelliert und erweitert die Gesetze über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in solchen Gesellschaften, die durch grenzüberschreitende Fusion, Spaltung oder Formwechsel entstehen.
Grenzüberschreitende Umwandlungen sollen künftig allen Kapitalgesellschaften offenstehen. Das umfasst in Deutschland die AG, die KGaA, die GmbH und auch die deutsche SE. Außen vor bleiben hingegen Personenhandelsgesellschaften. Für sie bleibt es dabei, dass sie nur in einer Sonderkonstellation an grenzüberschreitenden Umwandlungen teilnehmen können, und zwar als aufnehmender oder neuer Rechtsträger einer „Hineinverschmelzung“. Dahinter steht die Erwägung, dass sich ein deutscher Sonderweg ohne parallele Anstrengungen in anderen Mitgliedstaaten als Sackgasse erweisen dürfte – ebenso wie ungelöste Fragen der Arbeitnehmermitbestimmung.
Spaltung zur Aufnahme
In anderer Hinsicht geht der deutsche Gesetzesentwurf hingegen über die Richtlinie hinaus: Grenzüberschreitende Spaltungen sollen nicht nur zur Neugründung möglich sein. Vorgesehen ist auch eine Spaltung zur Aufnahme, also der Übergang des abgespaltenen Vermögens auf eine bestehende Kapitalgesellschaft.
Das soll den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen. Doch sollte man sich davon (noch) nicht zu viel versprechen. Denn auch hier gilt, dass grenzüberschreitende Umwandlungen komplexe Vorgänge sind, die ohne Verzahnung der betroffenen Rechtssysteme im wahrsten Sinne des Wortes an Grenzen stoßen.
Überdies wird eine Vereinfachung des grenzüberschreitenden Registervollzugs angestrebt. Die Erteilung einer Vorabbescheinigung durch das Registergericht des Auswanderungslands dient der Rechtssicherheit. Gleichzeitig wird der gerichtliche Prüfungsrahmen erweitert. Er soll auch die Frage umfassen, ob die Umwandlungsmaßnahme missbräuchliche oder betrügerische Zwecke verfolgt – was allerdings keine Beschleunigung des Verfahrens bewirken dürfte.
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Novelle betrifft den Schutz der Minderheitsgesellschafter bei grenzüberschreitender Umwandlung. Dieser Schutz soll künftig in allen Mitgliedstaaten nicht nur auf Mitentscheidungs- und Informationsrechten beruhen. Vielmehr erhält jeder Gesellschafter, für den die Umwandlung zu einem Rechtswechsel führt, ein Recht zum Austritt gegen Barabfindung.
Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen erhält er überdies einen Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses. Im Gegenzug wird aber auch ein Mehr an Rechtssicherheit für die Unternehmen und die Gesellschaftermehrheit geschaffen. Dies vor allem durch einen umfassenden Ausschluss der Anfechtung wegen Bewertungsmängeln.
Im deutschen Umwandlungsrecht sind diese Ansätze allesamt nicht neu. Sie können daher für grenzüberschreitende Umwandlungen im Wesentlichen übernommen werden. Allerdings ergibt sich im Detail manche Neuerung und Verbesserung. Allen voran: Es werden künftig die Gesellschafter sowohl des übertragenden als auch des übernehmenden Rechtsträgers einer Verschmelzung für Bewertungsrügen auf das Spruchverfahren verwiesen. Die Anfechtungsklage ist insoweit ausgeschlossen.
Gleiches soll künftig für Umwandlungen innerhalb der deutschen Grenzen gelten. Darin liegt eine wesentliche Neuerung des nationalen Umwandlungsrechts. Sie senkt das Anfechtungsrisiko für die Unternehmen spürbar ab. Dies wiederum mag im Einzelfall eine schnellere Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister erlauben.
Darüber hinaus erhalten Unternehmen in der Rechtsform der AG, KGaA oder SE die Möglichkeit, etwa erforderliche Anpassungen der Wertverhältnisse als Ergebnis eines Spruchverfahrens nicht in bar auszugleichen, sondern mit zusätzlichen Aktien. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen. Entweder durch Nutzung eigener Aktien. Oder durch eine nachträgliche Kapitalerhöhung mit dem Ausgleichsanspruch der Aktionäre als Sacheinlage.
Voraussetzung ist jeweils, dass der Verschmelzungs- oder Spaltungsvertrag frühzeitig die Weichen stellt, indem er die Aktionäre auf zusätzliche Aktien anstelle einer baren Zuzahlung verweist. So können die Gesellschaften ihre Liquidität schonen. Und auch den Aktionären ist gedient. Denn sie werden so gestellt, als hätte der Umwandlung von vornherein das angemessene Umtauschverhältnis zugrundegelegen.
Allerdings steckt der Teufel bekanntlich im Detail. So auch in diesem Kontext. Denn nur selten wird sich das angemessene Umtauschverhältnis nachträglich durch Gewährung zusätzlicher Aktien glatt herstellen lassen, möglicherweise nicht einmal näherungsweise. Außerdem ist zu bedenken, dass Spruchverfahren zumeist viele Jahre dauern – bis zur Rechtskraft allemal. In dieser Zeit steht der Zielrechtsträger nicht still. Seine wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse sind in ständiger Bewegung. Man denke nur an weitere Kapitalmaßnahmen, Verschmelzungen oder Abspaltungen.
All dies ist zu bedenken, um das richtige Wertverhältnis nachträglich in Aktien abzubilden. Dafür hält der Entwurf sehr granulare und komplexe Regelungen bereit, die einen Praxistest erst noch bestehen müssen.
Im Übrigen gilt, dass Entschädigungen für entgangene Dividenden sowie Zinsen in bar nachzuzahlen sind. Auch haftet die Gesellschaft für etwaige weitere Schäden der Aktionäre und trägt das Beschaffungsrisiko für die zusätzlichen Aktien. Das ist nicht trivial, weil die Festlegung auf zusätzliche Aktien im Verschmelzungs- oder Spaltungsvertrag verbindlich sein soll – solange die Beschaffung der Aktien nicht unmöglich wird.
Reform des Spruchverfahrens
Auch das Spruchverfahren möchte der Referentenentwurf reformieren. Dies mit dem Ziel, die bislang sehr schwerfälligen und langwierigen Verfahren zu beschleunigen, ohne ihre Qualität zu mindern oder Rechte der Verfahrensbeteiligten zu beschneiden. Erreicht werden soll dies durch ein Paket verschiedener Maßnahmen.
Erstens gehört hierzu die Einführung eines Anwaltszwangs. Zweitens soll das (in der Praxis ohnehin fruchtlose) Abhilfeverfahren aufgegeben werden. Und drittens soll die sogenannte mehrheitskonsensuale Schätzung eine gesetzliche Grundlage erhalten.
Dahinter steht der Gedanke, dass Spruchverfahren oft viele Beteiligte haben. Nicht selten tritt dann die Situation ein, dass die weit überwiegende Mehrheit der Antragsteller sich vergleichsbereit zeigt, während Einzelne auf einer (noch) höheren Kompensation beharren.
Das Gericht kann dann die breite Akzeptanz des Vergleichsbetrags als Indiz für dessen Angemessenheit heranziehen. Das führt zurück zu dem Kerngedanken, dass Unternehmenswerte sich ohnehin nicht mathematisch exakt bestimmen lassen – sondern nur im Wege qualifizierter Schätzung.
*) Dr. Klaus von der Linden ist Partner und Dr. Ruprecht Freiherr von Maltzahn Managing Associate von Linklaters in Düsseldorf und München.