GastbeitragKlimaschutz

Neuer Rechtsrahmen für Gentechnik

Die EU-Kommission plant eine Lockerung der Regeln für gentechnisch veränderte Pflanzen. Das Vorhaben ist längst überfällig, doch es gibt Gegenwind

Neuer Rechtsrahmen für Gentechnik

Neuer Rechtsrahmen für Gentechnik
für Nahrungs- und Futtermittel

EU-Kommission wagt großen Schritt in die richtige Richtung

Von Wolfgang Schönig *)

Die EU-Kommission will künftig bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen deregulieren. Wegfallen sollen bei risikoarmen Sorten das aufwendige Zulassungsverfahren sowie eine Kennzeichnungspflicht. Aus Teilen der Politik und von Verbraucherverbänden kommt Kritik. Dabei ist das Vorhaben längst überfällig.

Bis 2050 soll die Weltbevölkerung nach Schätzungen der Vereinten Nationen von derzeit 8 auf rund 10 Milliarden Menschen anwachsen. Gleichzeitig bedroht der Klimawandel durch Extremwettereignisse weltweit Ernten. Um darauf zu reagieren, muss die Landwirtschaft effizienter und nachhaltiger werden. Entsprechend soll die „Farm-to-fork“-Strategie als Teil des EU-Green Deals, die Europäische Union bis 2050 klimaneutral machen. Ein ehrgeiziges Ziel.

Dabei setzt die Kommission auch auf grüne Gentechnik, also den Einsatz gentechnischer Verfahren in der Pflanzenzüchtung. Sie können das Erbgut von Pflanzen derart verändern, dass sie schneller wachsen, weniger Dünger, Pestizide und Wasser brauchen oder resistenter gegen Extremwetter sind.

Schon seit Jahrzehnten wird Saatgut hierfür radioaktiver Strahlung ausgesetzt (sog. konventionelle Mutagenese). Unter tausenden so provozierten Mutationen im Erbgut kann dann, mittels Screening-Verfahren, die eine zufällig positive Mutation gefunden werden, die die gewünschte Eigenschaftsverbesserung in der Pflanze bringt. Ein langwieriger und ineffizienter Prozess. Doch die Wissenschaft hat eine Lösung entwickelt. Mittels der 2020 nobelpreisprämierten Genschere Crispr/Cas9 können Gene von Pflanzen nicht mehr zufällig, sondern gezielt geändert werden, um die gewünschte Eigenschaftsverbesserung zu erreichen. Die gezielte Mutagenese (auch Genomeditierung) ist ein echter Game-Changer und eine Chance, die ehrgeizigen Klimaziele in der verbleibenden Zeit doch noch zu erreichen.

Für die Nutzung genetisch veränderter Organismen (sog. GVOs) gilt jedoch die strenge GVO-Richtlinie aus dem Jahr 2001 mit einem aufwendigen Zulassungsverfahren und Kennzeichnungspflichten. Der Europäische Gerichtshof hat ausdrücklich entschieden, dass auch die gezielte Mutagenese diesen Regeln unterliegt - die konventionelle Mutagenese hingegen sei vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen, da diese seit langem als sicher gelte.

Vor allem das strenge Zulassungsverfahren hat die Entwicklung eines Marktes für geneditierte Pflanzen in der EU, welche die Landwirtschaft ohne Produktivitätsverlust nachhaltiger machen könnten, praktisch verhindert. Das Verfahren ist sehr kostenintensiv und dauert mehrere Jahre. Ein Aufwand, der sich – wenn überhaupt – nur für große internationale Player lohnt. Für Start-ups ist er eigentlich nicht zu stemmen.

Änderung zwingend

2001 wurde die strenge Regulierung mit dem Vorsorgeprinzip begründet. Zu groß war die Sorge vor unbekannten Gefahren von GVOs für Mensch, Tier und Natur. Über 30 Jahre Risikoforschung zeigen jedoch: Gezielt geneditierte Pflanzen sind nicht gefährlicher als solche aus konventioneller Züchtung. Es ist nicht haltbar, derart streng nach Methoden der gentechnischen Veränderung zu unterscheiden, statt nach Eigenschaften und Risiken der Pflanze selbst. So sieht es auch die Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die 2019 eine entsprechende Änderung der Rechtslage forderte.

Die Stimmen aus der Wissenschaft sind mittlerweile von der EU-Kommission erhört worden. Am 5. Juli 2023 hat die Kommission einen Vorschlag für eine „Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Verfahren gewonnene Pflanzen und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel“ vorgestellt. Er vollzieht die lang ersehnte Abkehr vom Zulassungsvorbehalt hin zu einem risikobasierten Ansatz. Demnach sind Pflanzen der Kategorie 1 solche, die in ihren Eigenschaften auch natürlich oder als Ergebnis konventioneller Züchtungsmethoden auftreten. Das seien Pflanzen mit bis zu 20 gentechnischen Veränderungen im Erbgut. Sie würden nicht anders behandelt als wären sie natürlich oder konventionell gezüchtet. Das bedeutet: Keine Zulassung, dafür Anmeldung und Eintragung in eine Datenbank, keine Kennzeichnungspflicht.

Alle anderen geneditierten Pflanzen unterliegen als Pflanzen der Kategorie 2 weiterhin einer Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht. Für die Bio-Landwirtschaft gelten die Lockerungen ebenfalls nicht. Ebenso verhält es sich für Pflanzen bei denen Gene einer anderen Art eingeführt wurden (sog. Transgenese).

Weit auseinander

Bei kaum einem anderen Thema liegen Wissenschaft und öffentliche Meinung so weit auseinander. Natur- und Verbraucherschutzverbände sprachen sich gegen den Vorschlag aus. Auch aus der Politik, z.B. von den Grünen hörte man ablehnende Worte. Kritisiert wird die vermeintlich fehlende Erforschung von GVO-Risiken und die fehlende Kennzeichnungspflicht.

Aus der Wissenschaft und aus Reihen der Bundesregierung, u.a. durch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), kommt dagegen Zuspruch. Will man die rasant wachsende Weltbevölkerung auch künftig ernähren und gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen, muss man aus Sicht der Befürworter auch auf grüne Gentechnik setzen und diese risikogerecht regulieren.

Leider droht Vorschlag bei der Europawahl im Sommer 2024 von Gentechnik-Gegnern instrumentalisiert zu werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Stimme der Vernunft durchsetzt und der begrüßenswerte Vorschlag der Kommission erfolgreich den Gesetzgebungsprozess in Parlament und Rat durchläuft.

*) Dr. Wolfgang Schönig ist Partner im Berliner Büro der Kanzlei Morrison & Foerster

Dr. Wolfgang Schönig ist Partner im Berliner Büro der Kanzlei Morrison & Foerster