Neues aus Europa zum deutschen Strafrecht
Neues aus Europa zum deutschen Strafrecht
Richtlinie setzt unionsweite Mindestvorschriften für die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen EU-Sanktionen
Von Dirk Uwer und Mathias Priewer *)
Der Europäische Rat hat am 3. April 2024 die „Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen gegen restriktive Maßnahmen der Union“ verabschiedet. Für außenwirtschaftsrechtliche Verstöße können Bußgelder von bis zu 5% des jährlichen Umsatzes auf Unternehmen zukommen. Die Richtlinie ist Ausdruck der zunehmenden Europäisierung des Strafrechts.
Mit der Richtlinie werden unionsweite Mindestvorschriften für die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen EU-Sanktionen eingeführt. Sie wurde am 29. April 2024 veröffentlicht und tritt am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung in Kraft. Ab dann hat der deutsche Gesetzgeber zwölf Monate Zeit für die Umsetzung in nationales Recht.
Harmonisierung der Definitionen
Vor wenigen Wochen wurde schon die „Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt“ verabschiedet. Darüber hinaus hat die EU-Kommission eine „Richtlinie über die Bekämpfung der Korruption“ vorgeschlagen. In allen drei Regelwerken geht es um die Harmonisierung der Definitionen von Straftaten und der strafrechtlichen Sanktionen in den Mitgliedstaaten.
Im (unternehmensbezogenen) Bußgeldrecht ist eine umfassende Neujustierung durch den deutschen Gesetzgeber vor einiger Zeit gescheitert. Stattdessen kommen starke Impulse aus Europa: Die hohe Dichte an Bußgeldvorschriften im Kapitalmarktrecht beruht in weiten Teilen ebenso auf Vorgaben der EU wie die (konzern-)umsatzabhängige Geldbuße.
Missverständliches Urteil
Anlässlich eines missverständlichen Urteils des EuGH wird im Datenschutzrecht derzeit sogar über eine Verkürzung des Zurechnungswegs vom Täter zum Unternehmen diskutiert. Einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes hat der Bundesrat jüngst gemacht („Ein Bußgeld kann […] auch ohne Feststellung des Verschuldens eines Repräsentanten und […] ohne Feststellung einer Aufsichtspflichtverletzung festgesetzt werden“).
Die Bundesregierung hat den Vorschlag abgelehnt, zugleich aber angemerkt, „dass sich zukünftig gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergeben könnte“. Möglicherweise ist dies als Ankündigung eines neuen unternehmensbezogenen Bußgeldrechts mit europäischer Prägung zu verstehen.
Ausgewählte Delikte
Für das Strafrecht sind weniger starke Impulse aus Europa zu erwarten. Nach den europäischen Verträgen darf die EU nur Mindestvorschriften zu ausgewählten Delikten der besonders schweren Kriminalität erlassen. Dazu gehören z.B. Geldwäsche, Korruption, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Außerdem darf die EU in Regelungsbereichen, in denen Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind oder noch erfolgen werden, strafrechtliche Mindestvorschriften erlassen. Das setzt aber voraus, dass die Harmonisierung des Strafrechts „unerlässlich“ für die wirksame Durchführung der Unionspolitik ist.
Das Bundesverfassungsgericht legt die Voraussetzungen für ein Tätigwerden der EU eng aus. Sehr grundsätzlich misst es dem Strafrecht eine identitätsstiftende Funktion bei: „Eine Rechtsgemeinschaft gibt sich durch das Strafrecht einen in ihren Werten verankerten Verhaltenskodex […].“ Das Strafrecht dürfe daher „nicht als rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit“ eingesetzt werden. Für strafrechtliche Vorgaben muss also im Einzelfall eine Notwendigkeit bestehen.
EU als Taktgeber
Damit bleibt kein Raum für eine Vollharmonisierung. Insbesondere ist die EU nicht befugt, Vorgaben zu den allgemeinen Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu machen, zum Beispiel zu Vorsatz und Schuld und zu den Grundsätzen von Täterschaft, Teilnahme und Versuch. Dennoch sind Teile des Strafrechts mittlerweile europäisch geprägt. Besonders stark sind die Einflüsse im sogenannten Nebenstrafrecht, zum Beispiel im Umwelt- und im Kapitalmarktstrafrecht.
Aber auch im Kernstrafrecht tritt die EU gelegentlich als Taktgeber auf. So gehen einige der mehr als zwanzig Änderungen des Geldwäschestraftatbestands auf Vorgaben aus EU-Richtlinien zurück. Auf die besonders umstrittene Änderung aus 2021, wonach jede Straftat als Vortat der Geldwäsche in Betracht kommt, trifft das jedoch nicht zu – auch wenn man etwas anderes hätte erwarten können. Jedes neue Gesetzesvorhaben der EU mit Strafrechtsbezug darf daher mit Spannung verfolgt werden.
Erweiterung der strafrechtlichen Kompetenzen der EU
Der Verabschiedung der „Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen gegen restriktive Maßnahmen der EU“ ist die erstmalige Erweiterung des Deliktskatalogs zu besonders schwerer Kriminalität vorausgegangen. Die EU begründete die Notwendigkeit für ihr Tätigwerden bei Verstößen gegen EU-Sanktionen damit, dass es in den Mitgliedstaaten „nur ein paar wenige laufende Gerichtsverfahren“ gebe. Außerdem seien die Strafen sehr heterogen. Hierdurch werde die Durchsetzung von EU-Sanktionen geschwächt. Insbesondere sei zu befürchten, dass sanktionswidrige Tätigkeiten in solche Mitgliedstaaten verlegt werden könnten, die Verstöße gegen EU-Sanktionen weniger streng ahnden (sog. forum shopping).
Restriktive Maßnahmen
In der Richtlinie legt die EU diejenigen Handlungen fest, die bei Verstößen gegen restriktive Maßnahmen künftig von allen Mitgliedstaaten als Straftaten zu behandeln sind. Unter restriktiven Maßnahmen werden dabei alle Arten von EU-Sanktionen verstanden, unabhängig davon, gegen wen sie sich richten. Die gegen Russland gerichteten Sanktionen sind damit ebenso erfasst wie die gegen Venezuela oder Myanmar.
Die relevanten Handlungen umfassen u.a. die Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen, Verstöße gegen Einfrierungspflichten, den Handel mit Waren, die Erbringung von u.a. Finanzdiensten, Rechtsberatung und Steuerberatung sowie diverse Maßnahmen zur Umgehung von restriktiven Maßnahmen. Dafür gibt die Richtlinie überwiegend Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor. In allen Fällen sollen die Mitgliedstaaten zusätzlich Konsequenzen für Unternehmen vorsehen.
Vorgaben erfüllt
Deutschland zählt zu den Mitgliedstaaten, die entweder mit dem Strafrecht oder mit dem Bußgeldrecht auf Verstöße gegen EU-Sanktionen reagieren. Vereinfacht gesagt können fahrlässige Verstöße als Ordnungswidrigkeit und müssen vorsätzliche Verstöße als Straftat geahndet werden. Für Straftaten drohen bereits jetzt Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren, womit die diesbezüglichen Vorgaben der Richtlinie erfüllt sind.
Mit der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten aber auch dazu aufgefordert, die Strafverfolgung auszubauen. Bei (vermeintlichen) Verstößen gegen EU-Sanktionen wird der Ermittlungsdruck gegen Einzelpersonen und Unternehmen daher europaweit zunehmen.
Enge Zusammenarbeit
Außerdem werden Ermittlungen in Zukunft noch internationaler sein: Die Richtlinie mahnt eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten über und mit Europol, Eurojust und Europäische Staatsanwaltschaft ausdrücklich an – auch wenn von einer eigenen Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft abgesehen wurde. Unternehmen werden dabei ein finanziell höheres Sanktionsrisiko haben: Während derzeit eine Geldbuße von bis zu 10 Mill. Euro droht, gibt die Richtlinie für den Großteil der Verstöße als Obergrenze 5% des jährlichen Umsatzes oder 40 Mill. Euro vor. Daneben hebt die Richtlinie die Bedeutung der Vermögensabschöpfung für die effektive Strafverfolgung ausdrücklich hervor.
Zunächst freiwillig
Der deutsche Gesetzgeber wird des Weiteren zu berücksichtigen haben, dass grob fahrlässige Verstöße gegen EU-Sanktionen zukünftig ebenfalls strafbar sein müssen – jedenfalls dann, wenn Güter mit doppeltem Verwendungszweck und EU-Militärgüter betroffen sind. Für einige der in der Richtlinie genannten Umgehungshandlungen, wird er sich dahingegen auf den Standpunkt stellen können, dass die Strafbarkeit schon über die Grundsätze der strafrechtlichen Zurechnung und des Versuchs sichergestellt ist.
Um zukünftige Entwicklungen abzuschätzen, lohnt sich auch ein Blick auf Vorgaben, die von den Mitgliedstaaten nicht verpflichtend umzusetzen sind. Als Reaktion auf Verstöße gegen EU-Sanktionen schlägt die Richtlinie für Unternehmen zum Beispiel die richterliche Aufsicht und die gerichtlich angeordnete Auflösung vor. Die Mitgliedstaaten können diese Maßnahmen (derzeit noch) freiwillig einführen.
*) Prof. Dr. Dirk Uwer (Düsseldorf) ist Partner, Dr. med. Mathias Priewer (Berlin) ist Senior Associate von Hengeler Mueller.
*) Prof. Dr. Dirk Uwer (Düsseldorf) ist Partner, Dr. med. Mathias Priewer (Berlin) ist Senior Associate von Hengeler Mueller.